Do 01.07.1999
„Einbinden statt Ausgrenzen“ – neue Strategien gegen die Armut“, unter diesem Titel wurde im Juni eine Studie zur Armutssituation in Österreich und Reformvorschläge publiziert. Diese wurde vom Sozialministerium in Zusammenarbeit mit Sozialexperten aus Universitäten, Organisationen, Vereinen und dem Armutsnetzwerk erstellt.
Armut wird als Mangel an Mitteln definiert, der eine Teilhabe an zentralen gesellschaftlichen Bereichen zumindest in einem Mindestmaß verunmöglicht.
Wenn man alle Menschen als arm bezeichnet, die weniger vedienen als die Hälfte des durchschnittlichen Pro Kopf – Einkommens, das sind weniger als ÖS 7.500,-/Monat, dann sind ca. eine Million Menschen in Österreich armutsgefährdet. Ohne das Sozialsystem würden 40% der Bevölkerung unter der Einkommensgrenze liegen.
Wird zusätzlich ein „Mangelindikator“ erfüllt – Substandardwohnung, Zahlungsrückstände bei Miete und Strom, finanziell bedingte Einschränkungen im Ernährungsbereich – dann wird in der Studie von Armut gesprochen. In Österreich sind 420.000 Menschen, oder 5% der Bevölkerung arm.
10% aller Vollzeit unselbständig Erwerbstätigen haben Nettoeinkommen von weniger als ÖS 10.000,- S pro Monat. 6% der Bevölkerung wohnen in 150.000 Substandardwohnungen. Die Mieten stiegen in den letzten zehn Jahren doppelt so stark wie die Verbraucherpreise insgesamt. Von 700.000 Arbeitslosen pro Jahr sind fast 200.000 länger als sechs Monate arbeitslos. Von den registrierten Arbeitslosen haben fast 20% körperliche oder psychische Behinderungen, von den Langzeitarbeitslosen ein Drittel.
Welche Menschen sind von Armut betroffen?
- Besonders betroffen von Armut sind aufgrund der mangelnden Qualifikation Personen, die nur Pflichtschulabschluß besitzen.
- Alleinerziehende Mütter, Auszubildende, Kranke und Invalide gelten als Personen mit generell unzureichenden Erwerbschancen.
- Langzeitarbeitslose, und die „neue“ Gruppe der „Working poor“ (geringfügig Beschäftigte, neue Selbständige, untere Einkommensgruppen) sind ebenfalls stark von Armut bedroht oder betroffen.
- Auch PensionistInnen und erwerbslose geschiedene Frauen haben immer weniger Geld zur Verfügung und einen zunehmend niedrigen Lebensstandard.
- Weiters sinken besonders hoch Verschuldete oft weit unter die Armutsgrenze und können dem Teufelskreis der Verschuldung nicht mehr entkommen.
- Insbesondere soziale Randgruppen, wie Haftentlassene, Obdachlose, Drogen-/Alkoholkranke oder Spieler sind meist von Armut betroffen.
- Auch bei Behinderten, MigrantInnen aus Nicht-EU-Ländern oder Substandardwohnenden schnappt die Armutsfalle nicht selten zu.
Wenn man alle diese armutsgefährdeten Gruppen zusammen nimmt, zeigt sich, daß Armut kein „Randgruppenproblem“ ist, sondern einen großen Teil der Gesellschaft betrifft. Armut führt dazu, an vielen Dingen, die für die meisten Menschen (noch) selbstverständlich sind, nicht teilhaben zu können. 69% der armen Personen fahren nicht auf Urlaub, 60% haben kein Auto, 48% (!) können sich aus Kostengründen keine Freunde einladen, 40% haben keine Kategorie A oder B-Wohnung.
Lebensstandardprinzip
Das österreichische Sozialsystem ist so gestaltet, daß viele Leistungen davon abhängig sind, wieviel man „vorher“ verdient hat. zB bei der Pension, dem Arbeitslosengeld, der Notstandshilfe. Dafür wurden auch Beiträge entrichtet. Das Ziel ist ein „Lebensstandardprinzip“. Jemand der arbeitslos wird, soll sich seinen Lebensstandard erhalten können , bis er eine neue Arbeit findet. Wer in Pension geht, soll sein Leben weiterführen können, ohne aus der Wohnung ausziehen zu müssen.
Real ist das für Menschen, die ein niedriges Einkommen haben oft nicht möglich. Z.B. beträgt das Arbeitslosengeld nur 60% der Erwerbseinkommens, und die Notstandshilfe etwa 90% des Arbeitslosengelds. Wenn jemand aber mit seinem Lohn gerade durchgekommen ist, reicht für ihn/sie diese Absicherung nicht aus. Bei einem Nettoeinkommen von ÖS 11.000,- 14 mal jährlich bleiben weniger als ÖS 7.000,- Arbeitslose zwölfmal. Das betrifft mehr als 10% der Bezieher und fast die Hälfte der Bezieherinnen. Bei der Notstandshilfe betrifft dies 30% der männlichen und 60% der weiblichen Leistungsempfänger.
Von den Sozialwissenschaftlern und den Vereinen wird deshalb in der Studie ein Mindesteinkommen von ÖS 6.500,- bis ÖS 8.000,- für ehemalige Vollzeitbeschäftigte vorgeschlagen. Der Vorschlag zielt zwar in die richtige Richtung und würde eine Verbesserung für viele Betroffene bedeuten. Das „Lebensstandardprinzip“ für die, die es tatsächlich brauchen, wirklich umzusetzen heißt aber, daß im Falle von Arbeitslosigkeit bei den Niedrigeinkommen eine Leistung in Höhe des Lohnes weiter gezahlt wird. Das fordert die SOV.
In der gesamten EU hat sich in den letzten Jahren die soziale Polarisierung verschärft: Die Reichen wurden reicher, die Armen ärmer. Es gilt hier gegen zu steuern: Zunächst soll die Erwerbslosigkeit durch eine radikale Arbeitszeitverkürzung – 30 Stundenwoche bei vollem Lohn und Personalausgleich – bekämpft und ein Mindestlohn von 13.000 S netto eingeführt werden. Das ist eine effektive Form der Armutsvermeidung und außerdem wird dadurch eine Steigerung der Beitragseinnahmen erreicht, weil diese vom Lohn abgezogen werden und daher mit der Zahl der Beschäftigten und den Löhnen steigen.
In Verbindung mit der Einführung der Wertschöpfungsabgabe für die Dienstgeberbeiträge würde auch die Bemessungsgrundlage für die Beiträge steigen. Diese bemißt die Beiträge der Unternehmer nicht nach der Lohnsumme, sondern der gesamten betrieblichen Wertschöpfung. Dadurch kommt es nicht zu den starken Einnahmeausfällen, wenn Arbeit durch Kapital ersetzt wird.
Strategien
Wichtig ist es zu erkennen, daß gegen Armut und Ausgrenzung ein politische Kampgane geführt werden muß. Armut hat ihre wesentliche Ursache auf dem Arbeitsmarkt, deswegen ist Armut nicht nur eine Frage von Sozialpolitik, sondern auch der Einkommens- also Lohnpolitik. Während sich bisher Armut vor allem auch über das Ansteigen der Arbeitslosenrate ausdrückte, sind durch Flexibilisierung, Aufweichung von Kollektivverträgen... auch immer mehr Beschäftigte sind von Armut betroffen. Die „Working poor“ sind ein wachsender Sektor, der über den Lohndruck (und damit höheres Armutsrisiko) Druck auf alle anderen Bereiche und Sektoren ausübt. Die Organisierung von Arbeitslosen und „Working poor“, und gemeinsame Gegenwehr mit den traditionellen Organisationsformen der ArbeiterInnenklasse – also den Gewerkschaften – wäre das Gebot der Stunde.
Doch genauso wie die Gewerkschaftsspitze fast überall in Europa nicht in der Lage war den massiven Sozialabbau der 90er abzuwehren, versucht sie bis jetzt kaum mit von Armut Betroffenen Gegenwehr auf die Beine zu stellen. Alle relevanten Initativen – z.B. Euromarsch – der letzten Jahre kamen „von unten“ und stießen oft auf Ablehnung und Ignoranz von Seiten vieler Gewerkschaften.
Die SOV unterstützt die Organisierung von Betroffenen und arbeitet z.B. bei Euromarsch oder der Initative „AM Sand“ mit. Wir treten für eine breite, internationale Mobilisierung für Arbeitszeitverkürzung und Mindestlöhne ein, für eine Vernetzung und Zusammenarbeit aller kämpferischen Initiativen, BetriebsrätInnen und SozialistInnen gegen Armut, Ausbeutung und Ausgrenzung.