ABC des Marxismus: Gewerkschaften

Was sind Gewerkschaften? Wie sind sie entstanden und welche Funktion haben Sie? Und warum arbeiten Revolutionär*innen in den Gewerkschaften?
von Gerhard Ziegler

Gemeinsam erreicht man mehr als alleine – diesen Grundsatz machten sich die Arbeiter*innen Anfang des 19. Jahrhunderts zu eigen, als sie sich zusammenschlossen, um gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen, überlangen Arbeitszeiten und für höhere Löhne zu kämpfen. Oft waren sie gezwungen, Hilfskassen einzurichten oder für Streiks Geld zu sammeln. Das war die Geburtsstunde der Gewerkschaften. 

Sie hatten sich auf betrieblicher Ebene gebildet, konnten sich aber schnell ausbreiten. Es kam zu branchenweiten regionalen und nationalen Zusammenschlüssen, die sich oft nach ideologischen Grundsätzen ausrichten: sozialdemokratische, kommunistische, christliche, anarchistische bzw. anarcho-syndikalistische etc. Gewerkschaften oder Gewerkschaftsfraktionen.

Trotz unterschiedlicher ideologischer Zugehörigkeit und Kampftradition sehen die Gewerkschaften ihre Aufgabe allgemein im Kampf um Arbeitsbedingungen und Löhne innerhalb des bestehenden kapitalistischen Systems. Das heißt nicht, dass dieser Kampf nicht auch radikale und antikapitalistische Dynamiken entwickeln kann: Wir sehen manchmal von Gewerkschaften geführte knallharte Arbeitskämpfe mit Straßenschlachten, Betriebsbesetzungen, Auseinandersetzungen mit Repressionskräften des Staates – bleiben diese Kämpfe jedoch auf gewerkschaftlicher Ebene, bleiben sie auch im Rahmen des Systems.

Nicht zuletzt aufgrund dieser Beschränktheit entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neben den Gewerkschaften Arbeiter*innen-Parteien. Diese führten den politischen Kampf für soziale und demokratische Verbesserungen bis hin zum Sturz der kapitalistischen Gesellschaft. Marxist*innen erfassten dabei die Wichtigkeit der Gewerkschaften als elementare Klassenorganisation: durch den Arbeitskampf lernen die Arbeiter*innen, sich als Klasse mit gemeinsamen Interessen zu identifizieren, erkennen ihren Gegner, erfahren Repression durch den Staat etc. – Klassenkampf als Lehrmeister der Revolution!

Grundsätzlich gilt dieser Ansatz für uns bis heute. Doch die Bedingungen haben sich verschlechtert. Waren die Gewerkschaften Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts mehrheitlich klassenkämpferisch orientiert (obgleich sich die Gewerkschaftsführungen meist auf dem rechten Flügel ihrer Parteien fanden), spielt die Gewerkschaftsbürokratie heute eine bremsende Rolle, am schlimmsten die österreichische, die dem Mythos „Sozialpartnerschaft“ immer noch nachläuft.

Trotzdem sind die Gewerkschaften aufgrund der gegensätzlichen Stellung von Kapital und Arbeit – Unternehmer*innen wollen, dass Arbeiter*innen möglichst lange und billig arbeiten, diese wollen möglichst wenig fremdbestimmt arbeiten und gut entlohnt werden – immer wieder gezwungen, Arbeitskämpfe zu führen, wenn die Unternehmer*innen aus ökonomischen Zwängen zur Sicherung ihrer Profite auf hart schalten. Auch die österreichischen – wie die Streiks im letzten Herbst gezeigt haben. 

Marx forderte von den Gewerkschaften, “als organisierende Zentren der Arbeiterklasse zu handeln, im großen Interesse ihrer vollständigen Emanzipation.” Das hieß für ihn: “Sie müssen jede soziale und politische Bewegung unterstützen, die diese Richtung einschlägt.” Auch heute kämpfen Marxist*innen für Gewerkschaften, die über den engen ökonomischen Rahmen hinaus auch allgemeine politische Fragen der Arbeiter*innenklasse (wie Rassismus und Sexismus) aufgreifen. Besonders unterdrückte Schichten der Klasse werden jedoch von der Gewerkschaftsbürokratie meist ignoriert. Dagegen forderte Marx: die Gewerkschaften “müssen sich sorgfältig um die Interessen der am schlechtesten bezahlten Gewerbe kümmern”, und zwar um zu beweisen, dass ihre Bestrebungen “auf die Emanzipation der unterdrückten Millionen gerichtet sind”.

Die Aufgabe von Marxist*innen ist es heute, sich in den Betrieben zu verankern, um sowohl von innen wie von außen Kämpfe zu unterstützen und weiterzutreiben, die Beschränktheit der Logik der Gewerkschaftsbürokratie („Sozialpartnerschaft“) aufzuzeigen, Vertrauen in uns und über unsere Methoden aufzubauen und so neue Aktivist*innen für den Kampf um andere Gewerkschaften - klassenkämpferisch und demokratisch – bis hin zum Sturz des Kapitalismus zu gewinnen.  

 

 

 

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