Mi 15.01.2025
Ingeborg Bachmann war die wichtigste österreichische Schriftstellerin der Nachkriegszeit. In ihren Gedichten, Erzählungen und (unvollendeten) Romanen verarbeitet sie auf unvergleichliche Weise das Fortwirken des Nazi-Faschismus und patriarchale Gewalt - gleichzeitig handeln ihre Texte auch immer vom Versuch, als Unterdrückte und Ausgeschlossene eine eigene Stimme zu finden. Zeitlebens wurde sie vom kapitalistischen Literaturbetrieb und von der zutiefst sexistischen Literaturkritik darauf reduziert, eine junge Frau zu sein, die schöne Gedichte schreibt. Ihr Privatleben wurde ausgeleuchtet und Gerüchte verbreitet - an jedem ihrer Texte deutelte man herum, welche Affäre denn da drin verpackt sein könnte. Sie war also selbst betroffen von der systemischen Brutalität, gegen die sie anschrieb - auch das trug zu ihrem frühen Tod mit 47 Jahren bei.
Ingeborg Bachmann. Reise in die Wüste, der neue Film von Margarete von Trotta, ist eine Hommage an Bachmann anlässlich des Todestags. In ihm wird der Sexismus, mit dem Bachmann konfrontiert war, anhand ihres zeitweiligen Partners, des Schriftstellers Max Frisch gezeigt. Leider kommt jedoch auch dieser Film nicht davon weg, sie hauptsächlich über ihr Privatleben zu definieren - und nicht über ihr vielfältiges Schaffen.
Die politische Bachmann
Ingeborg Bachmann war ein hochpolitischer Mensch. Schon in ihrer Dissertation stellte sie sich vor allem gegen den Nazi-Philosophen Martin Heidegger, der im Nachkriegsdeutschland ungebrochen großes Ansehen besaß. Aus Protest gegen die Zusammenarbeit ihres Verlages Piper mit dem früheren HJ-Führer Hans Baumann kündigte sie öffentlich die Zusammenarbeit auf. Doch gerade die politische Bachmann spart Von Trottas Film aus. Teilweise nimmt er wörtliche Zitate von Bachmann und schneidet die explizit politischen Stellen hinaus. So gibt es im Film eine Szene, in welcher Bachmann sagt: “Ich habe von Anfang an gewusst, dass ich gegen die Ehe bin”. Der Satz stammt aus einem Statement für eine Fernseh-Doku, das Bachmann kurz vor ihrem Tod verfasste. Darin beschrieb sie die Situation in Italien, wo sie lebte, und fuhr folgendermaßen fort: “Die italienische Arbeiterin wehrt sich zum ersten Mal gegen die Ehe, und sie kämpft für ihre Freiheit. Unter Freiheit versteht sie nicht, dass sie nicht arbeiten will, sondern dass sie nicht mehr die Sklavin sein will, zu der man sie gemacht hat.” Bachmann verstand, dass Kapitalismus und Sexismus - also auch Feminismus und Klassenkampf - untrennbar voneinander sind.
In einem weiteren Statement für die Doku hält sie fest: “Ich glaube nicht an diesen Materialismus, an diese Konsumgesellschaft, an diesen Kapitalismus, an diese Ungeheuerlichkeit, die hier stattfindet, an diese Bereicherung der Leute, die kein Recht haben, sich an uns zu bereichern.” Kein Wunder also, dass Bachmann sich immer mehr für sozialistische Ideen interessierte. Die stalinistischen Diktaturen lehnte sie dabei konsequent ab. So schrieb sie an ihren Freund Hans Werner Henze: “Alle meine Neigungen sind auf der Seite des Sozialismus, des Kommunismus, wenn man will, aber da ich seine Verirrungen, Verbrechen etc kenne, kann ich nicht votieren.” Mit der stalinistischen Verdrehung des Marxismus konnte und wollte sie sich nicht abfinden. In einem Interview wurde sie 1963 gefragt, was sie gerade lese. Ihre Antwort: ”Im Moment sieht es sogar nach recht systematischer Beschäftigung aus mit dem historischen Materialismus, von Marx und Lenin über die diversesten Stationen bis zu Ernst Bloch und Kolakowski.” Der Pole Leszek Kolakowski war damals einer der wichtigsten antistalinistischen Marxist*innen. Bachmanns Widerstand gegen Sexismus und Kapitalismus und ihre Suche nach einer Alternative endeten nicht mit ihrem Tod - sie leben in ihren Schriften weiter und können uns heute noch viel lehren.
Info:
Zu den wichtigsten Werken Ingeborg Bachmanns zählen: Die Gedichtbände Die gestundete Zeit und Anrufung des großen Bären, der Erzählband Das dreißigste Jahr und ihr einziger vollendeter Roman Malina.