Di 06.11.2018
Kampf gegen Rassismus und Abschottungspolitik bedeutet Kampf gegen Kapitalismus.
Auch wenn viele am liebsten die Augen vor den Gräueln verschließen möchten, spätestens die Bilder ertrinkender Kinder oder die Hundertschaften von (staatlichen oder selbst ernannten) GrenzschützerInnen lassen dies nicht zu. Ob nun in der Hetze der österreichischen Bundesregierung, in moralisch empörten ARTE-Dokumentationen, bei den Stammtischen dieser Welt oder in den Debatten der ArbeiterInnenbewegung: Überall werden Lösungen und Scheinlösungen für die „Migrationskrise“ gesucht. Abschiebungen und Hochrüsten der Außengrenzen Europas sind die Antwort „unserer“ EntscheidungsträgerInnen und ihrer GeldgeberInnen. Fatalerweise ist es gerade die Linke, die oftmals keine oder nur letztendlich arbeiterInnen- und flüchtlingsfeindliche Antworten zu präsentieren weiß.
Im Deutschen Bundestag fordert z.B. die „linke“ Sahra Wagenknecht ein „Umdenken“ linker Migrationspolitik. Sie meint damit v.a. ein Übernehmen von rechten Denkmustern und argumentiert das mit dem „Schutz“ der „kleinen Leute“ vor „unreglementierter Migration“. Auch in Österreich ist eine derartige Argumentation wohlbekannt. Zum Schutz der heimischen Beschäftigten müsse der Nationalstaat geschützt werden, er wäre sonst ein „Eunuchenstaat“ erklärte beispielsweise Werner Murgg (Landtagsabgeordneter der KPÖ Steiermark) am Höhepunkt der „Flüchtlingskrise“ . Und auch von gewerkschaftlicher Seite gibt es kaum Solidarität für Flüchtlinge. Versuche, undokumentierte KollegInnen zu organisieren, bekommen kaum Unterstützung. Auch hat man es jahrzehntelang verabsäumt, migrantische KollegInnen, die zum Arbeiten oder als Flüchtlinge kamen, in die Gewerkschaftsbewegung zu integrieren. Im Gegenteil: An den Spitzen von ÖGB und AK herrscht noch immer die Auffassung, „österreichische“ Beschäftigte müssten vor der migrantischen „Konkurrenz“ geschützt werden – und das obwohl rund 20% der Bevölkerung in Österreich Migrationshintergrund besitzen. Die überwältigende Mehrheit davon sind ArbeiterInnen, Angestellte, Lehrlinge und Arbeitslose. „Sie“ sind also längst zu „wir“ geworden. Eine ArbeiterInnenbewegung, die diesen Teil der ArbeiterInnenklasse ignoriert oder gar als Feinde sieht, steht im Widerspruch zu ihrer grundlegendsten Aufgabe – der Organisierung der Klasse an sich. Die bewusste Spaltung in In- und AusländerInnen im Sinne des Kapitals wird von diesen „Linken“ mit stetem Brennstoff versorgt.
Sie alle machen einen zentralen Fehler: Sie kapitulieren vor den Widersprüchen des Kapitalismus, Kapital und Arbeit. Selbstverständlich werden MigrantInnen zum Abbau des Sozialstaates und zur Senkung des Lohnniveaus missbraucht. Das ist jedoch nicht ihre Schuld! Es ist nur möglich, wenn das Kapital und seine PolitikerInnen stark genug sind, um damit durchzukommen – und die ArbeiterInnenbewegung zu schwach. In Österreich haben sich die Lebens- und Arbeitsrealität nicht verschlechtert, weil uns von außerhalb Europas eine Flüchtlingsinvasion eingeholt hätte, sondern weil die Spitzen der Wirtschaft sich sicher genug fühlen, die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte zu zerschmettern.
Letztendlich geht es um die Kräfteverhältnisse und die Frage, ob man sie ändern kann. Wenn man davon ausgeht, man könne an der ungleichen Verteilung des Reichtums, am Besitz der Produktionsmittel durch eine kleine Minderheit sowieso nichts ändern, bezeichnet man sich eben als Pragmatiker und blickt bloß der „Realität ins Auge“. Wer nicht nach oben schlagen kann (oder will), tritt halt nach unten. Das ist kein Pragmatismus, sondern Verrat an all jenen Menschen, die nichts zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft. Und dies schließt die fliehenden Massen mit ein. Grund dieses Fehlschlusses ist die ideologische Basis der Führung der ArbeiterInnenbewegung – in Österreich, aber auch international: Reformismus, also das akzeptieren kapitalistischer Spielregeln, führt zwangsweise früher oder später zu Nationalismus.
Besonders fatal ist der Irrglaube, die ArbeiterInnenbewegung könnte durch ein Übernehmen dieser Logik soziale Errungenschaften verteidigen, nach der Logik: „Wir müssen uns zuerst um österreichische ArbeiterInnen kümmern“. Ein Einlenken gegenüber dem Rassismus und der Spaltung stärkt uns nicht einmal kurzfristig, dafür legitimiert es die rassistische Hetze von oben. Es spielt den Reichen und Rechten in Hände: Ihr Geschrei, Flüchtlinge würden „unsere“ Arbeitsplätze, Wohnungen und Sozialleistungen stehlen, lenkt von den tatsächlichen Schuldigen ab - dem einen Prozent der Menschen, die in Österreich über 800 Milliarden Euro besitzen. Somit führt kein Weg vorbei an einem Kampf gegen Zuzugsbeschränkungen einerseits und dem Kampf für soziale Verbesserungen andererseits. MigrantInnen, egal woher sie kommen, sind Teil der österreichischen ArbeiterInnenbewegung und sollten endlich auch in ihren Organisationen gleichberechtigt willkommen sein. Nur so kann verhindert werden, dass ein Teil der Beschäftigten vom Kapital zum Schaden aller missbraucht wird.
Nationalstaatliche Grenzen sind im Kapitalismus also kein „Schutzraum“ für die jeweilige Bevölkerung, wie Wagenknecht, Murgg & Co behaupten. Sie sind Instrumente der Herrschenden. Für Kapital werden sie geöffnet oder geschlossen, wie es die Herrschenden gerade brauchen. Für uns bedeuten sie entweder tödlichen Ausschluss oder ideologische Geiselhaft. Deswegen hat sich die ArbeiterInnenbewegung bereits von Anfang an grenzüberschreitend organisiert. Der Kampf gegen Kapitalismus ist für uns auch ein Kampf für die Möglichkeit aller Menschen, frei nach ihren Bedürfnissen das Land, in welchem sie leben wollen, zu wählen. Doch solange es dieses kapitalistische System gibt, brauchen die Herrschenden dieser Welt Grenzen und werden diese nicht hergeben – zumindest nicht ohne Gewalt. Die Grenzen selbst sind ein Symptom der kapitalistischen Ausbeutung und können nicht ohne jene „abgeschafft“ werden. Wenn wir den Kapitalismus überwunden haben, werden in weiterer Folge auch Nationalstaaten und damit Grenzen überflüssig – und sterben ab.
Während Menschen elendig verhungern, Wälder gerodet werden und Wasser gestohlen wird, Kriege um sich greifen und der Klimawandel immer horrendere Ausmaße annimmt, ist es nur verständlich, dass Menschen – derzeit 68,5 Millionen weltweit – fliehen. Nicht die Gier oder der Neid auf „unser schönes Leben“ treibt sie in die Hände von Schlepperbanden. Die tatsächliche Fluchtursache lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Kapitalismus. Jede Ausrede für die Notwendigkeit, Flüchtlingen nicht die nötige Solidarität zu geben, macht jene, die sie aussprechen, mitschuldig an dem Leid der ArbeiterInnen – egal ob in Österreich, im Kongo oder in Syrien. Denn es ist keine Frage der vorhandenen Mittel, ob alle Menschen in Würde leben können, sondern ausschließlich eine Frage der Verteilung!
Jedes Zurückweichen aus „taktischen“ Überlegungen schwächt unsere Widerstandskraft in anderen Fragen. Nur ein gemeinsamer Kampf gegen Rassismus und Kapitalismus – gemeinsam mit allen davon betroffenen – kann auch erfolgreich sein. Und Erfolg haben wir bitter nötig!