Di 10.12.2002
Nimmt also die Zahl der "Religiösen" wieder zu? Woher lässt sich dieser gesellschaftliche Trend zum Glauben an Gott ableiten? Als marxistische Partei fordert die SLP die konsequente Trennung von Kirche und Staat. Wir verteidigen aber auch das Recht auf freie Religionsausübung gegenüber (vermeintlicherweise) religiös motivierten Verfolungen und Diskriminierungen und sind aktiv gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, was oft einher geht. Gleichzeitig weisen wir öffentliche Zahlungen an den Vatikan entschieden zurück. Diese Steuergelder wären in Volksbildung und öffentliche Aufklärung gegen weitverbreiteten Aberglauben und Mythen besser investiert.
Die Geister, die wir riefen?
Wir wollen die Weihnachtszeit dazu nutzen, die Positionen der SLP zu Religion und Kirche im Folgenden näher zu erläutern und so mitunter einen theoretischen Beitrag zur Beseitigung der christlich-abendländischen Verklärtheit bieten. Außerdem machen Esoterik-Boom und "New Age" (oder "New Millenium") eine solche kritische Auseinandersetzung mehr als notwendig. "Wir fordern, dass die Relgion dem Staat gegenüber zur Privatsache wird, können sie aber keinesfalls unserer Partei gegenüber als Privatsache betrachten", so Lenin. (Sozialismus und Religion, Werke 10, S.70ff.)
Der wachsende Trend zu Esoterik und Spiritualität ergibt sich im Wesentlichen aus 2 Faktoren. Erstens ist er gewissermaßen Vorbote der wirtschaftlichen und sozialen Krise, in die der Kapitalismus immer stärker schlittert. Zweitens wird das resultierende politische Vakuum vermehrt von rechtsextremen, populistischen Gruppierungen sowie von der "Eso-Welle" aufgesogen. Mit der endgültigen Verbürgerlichung der Sozialdemokratie und dem Wegfall der vermeintlichen Systemalternative im Osten suchten sich die meisten erstmals eine neue Heimat - für viele war dies der religiöse Glaube an etwas. Und diese Schwäche des subjektiven Faktors, dieser politische Ausdruck des zurückgeworfenen Bewusstseins weiter Teile der ArbeiterInnenschaft, trägt nun ihre Früchte mit dem Erstarken der irrationalen Suche nach einem Messias, einem Erlöser, auch unter der Jugend.
Religion ist Opium für das Volk
Mit dieser Aussage verbildlicht der Revolutionär W.I.Lenin in seinem anlässlich der russischen Revolution von 1905 verfassten Artikel den reaktionären Charakter von Religion in der modernen Klassengesellschaft. Eine Passage vorher erklärt er: "Die Religion ist eine von verschiedenen Arten geistigen Joches, das überall und allenthalben auf den durch ewige Arbeit für andere, durch Not und Vereinsamung niedergedrückten Volksmassen lastet."
Doch Lenin beleuchtet in seinen Schriften nicht bloß den instrumentellen Aspekt von Religion, also ihre soziale und politische Funktion im Kapitalismus, die Sicherung und Stabilisierung der Klassenherrschaft des Kapitals über die Lohnsklaven, sondern knüpft vielmehr an Marxens Kritik des Philosophen Feuerbach und dessen Konsorten an.
So schreibt Lenin weiter: "Die Ohnmacht der ausgebeuteten Klassen im Kampf gegen die Ausbeuter erzeugt ebenso unvermeidlich den Glauben an ein besseres Leben im Jenseits, wie die Ohnmacht des Wilden im Kampf mit der Natur den Glauben an Götter, Teufel, Wunder usw. erzeugt." Anders als oft vermutet, setzt der Marxismus die Entstehung der Religion also nicht erst mit dem Beginn der Existenz von Klassen an, sondern bereits mit dem Beginn sozialer Organisation überhaupt.
Hiermit verknüpft und für den Marxismus von zentraler Bedeutung ist der vom deutschen Philosophen Hegel übernommene Begriff der Entfremdung, namentlich der Entfremdung des Arbeiters bzw. der Arbeiterin von seiner Arbeit bzw. der Menschen der Natur im Allgemeinen.
Keine Trennung von Religion und gesellschaftlichen Wurzeln
Die Basis für die Religion bildet keineswegs die Unwissenheit des Volkes, wie der aufgeklärte Atheist behauptet, sondern die Gesellschaft, in der wir leben. Es gibt also keine rein psychologische Basis für die Ausbreitung religiöser Vorurteile, vielmehr beruht diese - ebenso wie Rassismus, Sexismus und Homophobie - auf den sozio-ökonomischen Verhältnissen, die uns umgeben. Es kann uns nicht darum gehen, dem Glauben an Gott einen Glauben an die Wissenschaft und den Fortschritt entgegenzusetzen, wie dies viele bürgerliche Fortschrittler tun, sondern jeglichem Irrationalismus die materielle Basis zu entreißen, sie zu zerschlagen.
Religion und Klasse
"Den Kampf gegen die Religion darf man nicht auf abstrakt-ideologische Propaganda beschränken, darf ihn nicht auf eine solche Propaganda reduzieren, sondern er muss in Zusammenhang gebracht werden mit der konkreten Praxis der Klassenbewegung, die auf die Beseitigung der sozialen Wurzeln der Religion abzielt." (Lenin, "Über das Verhältnis der Arbeiterpartei zur Religion", S. 404 f
Relgion ist Opium des Volkes
In seiner Kritik an Hegel und Feuerbach erklärt Marx seinen materialistischen Ansatz, der davon ausgeht, dass sich die Menschen Abbilder ihrer selbst schaffen, in die sie alles Gute projezieren, aber auch all ihre Ängste: "Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes." (Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie - 1843/44). Mit dieser Schrift begründete Marx die marxistische Ideologiekritik des modernen wissenschaftlichen Sozialismus.
In einem Brief an seinen Freund Arnold Ruge vom September 1843 schreibt er: "Unser Wahlspruch muss sein: Reform des Bewusstseins nicht durch Dogmen, sondern Analysierung des mystischen, sich selbst unklaren Bewusstseins, trete es nun religiös oder politisch auf."
In dieser Tradition sieht sich auch die SLP. In aller Deutlichkeit distanziere ich mich abschließend von der antireligiösen Hetze und Verfolgung im Stalinismus. Das Fortbestehen - ja die teilweise Stärkung - des Buddhismus, des Islam, des Voodoo und anderer religiöser Kulte in China, auf Cuba, in Nordkorea, in Vietnam etc. sind auch ein Beleg dafür, dass es dort keinen Sozialismus gab bzw. gibt. Im Gegensatz dazu kam es im Zuge von wirklich revolutionären Veränderungen und Bewegungen- z.B. während des spanischen Bürgerkriegs - auch immer zu einem Kulturkampf der Massen gegen die religösen Institutionen.