Mo 18.06.2007
Für viele Menschen hat heute so mancher Arbeitstag an die zehn oder sogar zwölf Stunden. Gleichzeitig müssen in Europa viele Millionen ihr Leben ohne Erwerbsarbeit fristen. Das Ringen um die Arbeitszeit und das Bestimmen über die eigene Lebenszeit ist neben jenem um Löhne und bessere Arbeitsbedingungen für eine Mehrheit der Menschen in unserer Gesellschaft zentral. Der Kampf um den 8-Stunden Tag war vor über 100 Jahren ein Hauptpunkt in der Entstehung von ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsorganisationen zu einer Massenbewegung. Dieser Kampf um Arbeitszeitverkürzung (AZV) ist heute genauso aktuell wie damals.
Dauerbrenner Arbeitszeitverkürzung
Menschliche Arbeit (körperliche wie geistige) ist die Grundlage für die Entwicklung all jener Produkte und Technologien, die das Leben und auch die Arbeitswelt vereinfachen bzw. vereinfachen könnten. Die Produktivität und ihre Steigerung haben im Lauf der letzten drei Jahrhunderte mehrere Perioden gewaltiger Dynamik erlebt. Doch unter den Bedingungen der kapitalistischen Profit-Wirtschaft wird nur ein kleiner Teil für die Menschen nutzbar und auch hier nur für eine sehr kleine Minderheit. Ebenso verhält es sich bei der Arbeitszeit: Die Einführung neuer Technologien und Maschinen ist das Ergebnis vorangegangener vernetzter gesellschaftlicher Arbeit. Dies wird im Kapitalismus jedoch nicht zum Anlass genommen, der Gesellschaft und ihrem größten Teil (der ArbeiterInnenklasse) dies durch eine Angleichung der Arbeitszeit nach unten gleichsam abzugelten. Warum? Dies würde die Profite beschneiden und aufgrund des Konkurrenzkampfs am “freien Markt” den Zusammenbruch bedeuten. Wir verstehen somit, dass die Unternehmen und ihre etablierte Politik gegen AZV sind. Und sie lügen wie gedruckt, um sie ihre wirklichen Interessen zu verschleiern.
(Uralt-)Behauptungen gegen die Verkürzung der Arbeitszeit
“Die Wirtschaft kann sich das nicht leisten.”
Was kann sich “die Wirtschaft” nicht leisten? Bei näherer Betrachtung wird klar, wer den Reichtum herstellt, den es gibt: nicht einige wenige ManagerInnen und Konzernchefs/innen. Sondern Millionen Beschäftigte in Industrie, Gewerbe und Dienstleistungssektor sorgen für das Funktionieren der Wirtschaft. Wie falsch das Argument, “die Wirtschaft kann sich das nicht leisten”, ist, wird obendrein angesichts steigender Unternehmerprofite immer offensichtlicher. Der “World Investment Report 2006” der Österreichischen Nationalbank belegt vielfache Rekordgewinne österreichischer Unternehmen, vor allem im Ost-Geschäft. Auch historisch waren Arbeitszeitverkürzungen immer ein Auslöser für Technologieschübe.
“Längere Arbeitszeiten und Flexibilisierung bringen Arbeitsplätze.”
Und die Erde ist eine Scheibe! Tatsächlich ist die Verstärkung des Arbeitsdrucks aus Unternehmens-Sicht dann leichter möglich, wenn draußen die Arbeitslosen schlangestehen. Die Erpressbarkeit der Beschäftigten nimmt zu. Langjährige und internationale Erfahrungen beweisen: Die “Flexibilisierungen” führen nur zu einer Umstrukturierung der Erwerbstätigenstruktur; weg von existenzsichernden Vollzeitjobs hin zu nicht-existenzsichernden Teilzeitjobs. Auch die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten hat nicht die versprochenen Arbeitsplätze geschaffen, im Gegenteil. Vor allem seit der “Arbeitszeitgesetznovelle 1997” hat sich sowohl in Industrie, als auch im Gewerbe und Dienstleistungssektor ein Trend durchgesetzt: Die “flexiblen” Arbeitszeitmodelle führen dazu, dass jene, die (noch) einen Job haben, mehr und intensiver schuften müssen.
“Es ist nicht genug Arbeit da.”
Quatsch! Tatsächlich ist nicht zuwenig, sondern zuviel Arbeit vorhanden:
* 17 % aller Beschäftigten leisten regelmäßig Überstunden.
* 11,3 % aller Beschäftigten haben Normalarbeitszeiten von über 40 Stunden, 5 % aller Beschäftigten sogar von über 60 Stunden pro Woche (Statistik Austria).
* In Österreich werden täglich 30 Mio. Arbeitsstunden unentgeltlich in der
Familien- und Hausarbeit geleistet, 70% davon von Frauen.
* Viele Ressourcen liegen brach, die für eine gesellschaftliche Offensive im Bereich Wohnbau, erneuerbare Energieformen aber auch Pflege und Bildung nutzbar gemacht werden könnten, wenn es nicht um kapitalistischen Profit, sondern um die Interessen der Menschen ginge!
Wofür lebt der Mensch?
“Geburt - Schule - Arbeit - Tod”. Stellen Sie sich ihr Leben auch so vor? Hoffentlich nicht, denn das Leben kann tausend bessere und sinnstiftendere Betätigungsmöglichkeiten bieten. Arbeit wird im Kapitalismus zur Belastung, vor allem bei Vollzeit mit vielen Überstunden aber auch bei mehreren unsicheren “prekären” Jobs. Die Folgen sind ernst:
* Soziale & gesundheitliche Auswirkungen: Das Leben mit PartnerIn, Kindern, familiärem Umfeld sowie FreundInnen leidet stark. Dauerhafte Anspannungen können zum Bruch von Beziehungen, zu Gewalt und psychischen Problemen sowie zu Isolation führen. Zuviel und durch den Kapitalismus entfremdete Arbeit macht krank. Psychischer Stress bringt auch organische Schäden mit sich (z.B. Folgen von Schlafstörungen auf das Herz-Kreislauf-System).
* Politische Auswirkungen: Immer mehr Menschen können sich immer weniger mit politischen Entwicklungen auseinandersetzen oder sich aktiv einbringen - es fehlt an Zeit und Energie, wenn man von (weit) über 40-Stunden-Wochen erschöpft ist. Somit wird das Feld immer mehr jenen gestopften Bütteln der Unternehmens-Interessen überlassen, die alle auf der Grundlage neoliberaler Ideologie und Sparpolitik handeln.
Vom Fortschritt, den der Kapitalismus angeblich bringt, sieht die ArbeiterInnenklasse als Ganzes immer weniger; zumindest im Verhältnis zu den Möglichkeiten die es an sich gäbe das Leben der breiten Masse zu verbessern. Doch der tatsächlich vorhandene Fortschritt ist Ergebnis ihrer Arbeit. Wir meinen daher, dass der Kampf um AZV bei vollem Lohnausgleich (= entsprechende Anhebung der Stundenlöhne) auch vollkommen gerechtfertigt ist. Gleichzeitig ist es ein Anliegen, das in der Lage ist, breite Teile der “regulär” arbeitenden, prekären sowie erwerbslosen Bevölkerung (über verschiedene Barrieren von Herkunft, Geschlecht und Alter hinweg) zusammenzubringen.
Das sozialistische Programm zur AZV: 30 Stunden bei vollem Lohn!
Ein Konzept zu haben (wie das einer AZV auf 30 Stunden pro Woche bei vollem Lohn und ein Mindestlohn von 1100.- netto) ist allein schon deshalb wichtig, um dem derzeitigen Trend der Arbeitszeitverlängerung auf bis zu 12 Stunden pro Tag ohne Überstundenzuschlag eine Alternative entgegenstellen zu können. In Verbindung mit Forderungen zur Lebensarbeitszeit sowie bezahlten Aus- und Weiterbildungszeiten kann so einer breiteren Öffentlichkeit gezeigt werden, dass letztlich nur sozialistische Politik eine Lebens-Perspektive bietet, die nicht in völliger Aufreibung und Überarbeitung bei gleichzeitig wachsender Angst vor Arbeitsplatzverlust und Armut endet. Denn nur das haben alle etablierten Parteien anzubieten, da sie sich auf dem Boden der kapitalistischen Interessen bewegen.
Arbeitszeitverkürzung muss bei vollem Lohnausgleich stattfinden. Andernfalls würde die Kurzarbeit zu gewaltigen Lohnverlusten bis zu einem Viertel des bisherigen Einkommens führen und diese Maßnahme würden somit kaum neue Jobs schaffen (“Ausgleich” über Überstunden). Schon allein um Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen, ist es nötig, die vorhandene Arbeit auf alle aufzuteilen: Schon 1996 ging die GPA davon aus, dass in Österreich eine AZV auf 35 Stunden bis zu 250.000 Arbeitsplätze schaffen würde. Viele neue Jobs bedeuten mehr Einnahmen durch Lohnsteuer und Sozialversicherungsabgaben. Eine Verschiebung weg von den Profiten hin zu höheren Löhnen würde vor allem den Lebensstandard der Mehrheit der Bevölkerung heben und eine Steigerung der Nachfrage an Konsumgütern mit sich bringen. Es muss in “der Wirtschaft” doch darum gehen, dass die Mehrzahl der Menschen gut leben kann! Damit die Effekte einer AZV nicht durch Flexibilisierung zunichte gemacht werden, muss diese Maßnahme mit vollem Personalausgleich (= der Anstellung zusätzlicher Beschäftigter) und einem 6-Stundentag verbunden sein. Nur so wird verhindert, dass die Arbeit nicht einfach in weniger Zeit gequetscht und so der Druck erhöht wird.
* Nein zur Verlängerung der täglichen und wöchentlichen Normal- und Maximal-Arbeitszeit. Nein zu für die Beschäftigten nachteiligen Gleitzeitregelungen.
* Sofortige Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden/Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich.
* Mindestlohn von 1.100 Euro netto! Einführung der “gleitenden Lohnskala”, der automatischen Anpassung der Löhne und Gehälter an die Inflation. Verhandelt wird nur über darüber hinaus gehende Erhöhungen.
* Für den 6-Stunden-Tag: Weil Flexibilisierung die positiven Effekte einer Arbeitszeitverkürzung beeinträchtigen bzw. aufheben kann.
* Verkürzung der Lebensarbeitszeit: Neben den gesundheitlichen Aspekten bringt das die Möglichkeit, die Erwerbsbiographie selbständiger zu gestalten.
* Gegen unnötige Sonn- und Feiertagsarbeit, gegen die weitere Liberalisierung der Öffnungszeiten, weil gemeinsames soziales Leben wichtiger ist als die Profite der Unternehmen.
* Abschaffung der Notstandshilfe und gleichzeitig unbefristeter Bezug eines Arbeitslosengeldes von 1.100 Euro netto.
* Ausdehnung der Behaltefrist am Arbeitsplatz nach der Karenzzeit mindestens so lange, bis Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht.
* Volle Überstundenbezahlung auch für Teilzeit; ab der ersten Stunde, die über der vereinbarten Wochenarbeitszeit liegt.
Ist das realistisch?
All diese Forderungen können erreicht werden. Unrealistisch ist vielmehr, zu glauben, mit Angriffen auf ArbeitnehmerInnen die Probleme lösen zu können. Die “Möglichkeit” oder “Unmöglichkeit”, diese Forderungen zu verwirklichen, ist eine Frage des Kräfteverhältnisses zwischen sozialen Gruppen und Klassen, die nur durch den gewerkschaftlichen und politischen Kampf gelöst werden kann. Es braucht kämpferische und demokratische Gewerkschaften sowie eine politische Kraft, die getragen von ArbeiterInnen und Erwerbslosen aktiv dafür mobilisiert.
Im Falle von erreichten Verbesserungen sind diese jedoch nicht automatisch von Dauer. Im Kapitalismus (vor allem in Zeiten von Krisen) wird der Druck der Herrschenden und Besitzenden wieder sehr stark werden, solche Verbesserungen zurückzunehmen. Wenn die dauerhafte Umsetzung solcher Forderungen und damit ein schönes Leben im Kapitalismus nicht möglich ist, dann muss man den Kapitalismus überwinden und eine andere Gesellschaft aufbauen. Die Ressourcen dafür wären weltweit vorhanden. Haben wir neben der Erwerbs-Arbeit mehr Zeit übrig, können wir uns auch leichter um die Erreichung solcher Zielsetzungen kümmern.