Mo 01.11.1999
Zwischen Panik und Resignation bewegen sich die meisten Kommentare über die Zukunft Österreichs in den letzten Wochen. Tatsächlich stellen 27 Prozent der abgegebenen Stimmen für die FPÖ (1/5 der Wahlberechtigten) eine Rute im Fenster für MigrantInnen, ArbeitnehmerInnen, Frauen, Jugendliche und PensionistInnen dar. Doch welche Bedrohung geht von den Freiheitlichen tatsächlich aus? Und warum steht trotz Haiders Lob für die „ordentliche Beschäftigungspolitik“ im Dritten Reich und seinen Auftritten vor ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS der Faschismus trotzdem nicht vor der Tür?
Die FPÖ an der Macht – ein unabwendbares Schicksal? Keineswegs: Genauso wenig wie die 27 Prozent am 3.Oktober vom Himmel gefallen sind, ist Haider als Kanzler eine „historische Notwendigkeit“. Aber weder Klestil noch die etablierten Parteien werden die FPÖ mittelfristig „verhindern“, sondern nur eine breite Bewegung von unten. Ohne eine solche Bewegung ist die weitere Integration der FPÖ in das politische System allerdings sicher, eine baldige Regierungsbeteiligung – in welcher Form auch immer – wahrscheinlich. Doch wie konnte es überhaupt soweit kommen?
Österreich ein NAZI-Land – die FPÖ eine NAZI-Partei?
Tatsache ist, dass die FPÖ-Äußerungen zum Nationalsozialismus und ihre rassistischen Parolen für ÖVP und SPÖ keinen Hinderungsgrund darstellen, mit dieser FPÖ (punktuell) zusammenzuarbeiten. Die ÖVP wählte Haider bereits zweimal zum Landeshauptmann in Kärnten und koaliert mit der FPÖ in Vorarlberg. SPÖ und ÖVP werden auch dieses Mal einen Freiheitlichen zu einem der drei Nationalratspräsidenten wählen. Haiders NS-Äußerungen und Überfremdungsplakate waren auch für 1,2 Millionen Menschen zumindest kein Grund, ihn nicht zu wählen. Rassismus und Liebäugeln mit dem braunen Rand sind kein Tabu – aus einer Vielzahl von Gründen: Der offizielle Umgang mit der NS-Vergangenheit gehört ebenso dazu, wie die ausländerfeindliche Gesetzgebung der letzten Jahre. Der Rassismus der FPÖ-Anhängerschaft darf weder entschuldigt noch verharmlost werden (ebensowenig wie jener anderer Parteien). Er stellt ein wachsenden Bedrohungspotential dar, das sich auf einer gewissen Stufe entladen könnte und es punktuell bereits tut – etwa in Übergriffen gegenüber ausländischen KollegInnen.
Doch sind Haiders WählerInnen Faschisten? Ein wesentliches Merkmal faschistischer Bewegungungen bestand in deren Fähigkeit, ihre Anhänger zu organisieren. Die Freiheitlichen sind in dieser Hinsicht geradzu das Gegenteil einer faschistischen Massenpartei: Über 1,2 Millionen WählerInnen stehen gerade 40.000 Mitglieder gegenüber. Der freiheitliche Klubobmann Scheibner erklärte nach den Wahlen, dass die FPÖ trotz ihrer Erfolge im wesentlichen immer noch dieselbe Organisationsstruktur wie zu ihrer Zeit als 5-Prozentpartei Mitte der 80er Jahre besitzt. Die FPÖ besitzt keine SA, ja nicht einmal einen starken freiwilligen Ordnerdienst, mit dem sie auf Linke, MigrantInnen, ... einprügeln läßt.
Nur als Protestpartei momentan erfolgreich
Die FPÖ ist eine Protestpartei, also eine Kraft mit einer extrem instabilen WählerInnenstruktur. Diese ist sicher tendenziell rassistischer und offener für (neo-) faschistisches Gedankengut als die anderer Parteien. Die FPÖ ist darüber hinaus sicherlich ein Anziehungs- und Integrationspol für die tatsächlich bestehenden faschistischen Kräfte. Das resultiert aus den historischen Wurzeln dieser Partei, die nach 1945 ein Auffangbecken ehemaliger Nazis und deutschnationaler Studentenverbindungen war. Es gibt aber – derzeit – keine Elemente einer verfestigten faschistischen Basis oder eines solchen Flügels, auf den sich Haider und Co stützen könnten bzw. auch wollten. Das „Geheimnis ihres Erfolges“ liegt unter anderem genau in der Struktur als Protestpartei: Flexibel kann der schmale, autoritär geführte Parteiapparat ein breites Spektrum von Themen aufgreifen. Wäre die FPÖ tatsächlich die Nachfolgeorganisation der NSDAP – also eine faschistische Organisation – hätte sie eben nicht – wie Haider einmal behauptet hatte „die absolute Mehrheit“, sondern wäre auf die Rolle einer Splittergruppe mit (bestenfalls) punktuellen Erfolgen reduziert. Umgekehrt kann die FPÖ mit ihren oft widersprüchlichen, populistischen Positionen nur deshalb erfolgreich sein, weil ihr von Organisationen, die über eine wirkliche Massenverankerung verfüg(t)en – wie den Gewerkschaften – kein Widerstand entgegengesetzt wurde.
Wie weit weg ist die 3.Republik?
So flexibel die Positionen der FPÖ sind – beliebig sind sie nicht: Es gibt klare ideologische Ansätze und Dauerbrenner in der Propaganda und Programmatik: Dazu gehören Rassismus, Forderungen nach dem Polizeistaat gekoppelt mit Hetze gegen den Sozialstaat, Zurückdrängung des Gewerkschaftseinflusses, neoliberale Konzepte und ein konservatives Frauenbild. Die FPÖ ist eine rechtsextreme Partei. Die seit 13 Jahren andauerende Aufwärtsentwicklung der Freiheitlichen drückt mit einen Rechtsruck in Österreich aus, der schon längst mehr keinen Stein der 2. Republik auf dem anderen gelassen hat. Doch dieser Rechtsruck wurde von den Regierungsparteien SPÖ und ÖVP selbst vorangetrieben. Als Haider vor fünf Jahren sein Konzept der Dritten Republik verkündete, bestand dieses aus „Sparkurs, Verwaltungsreform, Privatisierung“ sowie Steuersenkungen für die Reichen, gekoppelt mit Anti-AusländerInnengesetzen und einer Erweiterung der Polizeibefugnisse. Wesentliche Elemente dieser 3.Republik sind heute bereits umgesetzt. Die Frage, die sich daraus ergibt, liegt auf der Hand: Was würde eine Regierungsbeteiligung der FPÖ konkret verändern?
Was will die FPÖ?
Entgegen den Behauptungen vieler Kommentatoren ist die FPÖ weder „die neue ArbeiterInnenpartei“ oder will gar sozialpolitische Verbesserungen für ArbeitnehmerInnen durchsetzen. Maßnahmen wie der Kinderscheck sind keine Sozialreformen, sondern die Brechstange, um Frauen an den Herd zu schicken und Kinderbetreuungseinrichtungen zu schließen. In ihren sozialen und wirtschaftspolitischen Konzeptionen bleibt die FPÖ die radikalste aller Parteien des Kapitals: Von der Abschaffung der Kollektivverträge bis zur Flattax – keine andere Partei hat derart klare Forderungen gegen ArbeitnehmerInnenrechte und für die Umverteilung von „unten nach oben“. Unmißverständlich steht die FPÖ für einen Kurswechsel auf einer anderen Ebene: für die endgültige Ausschaltung der Sozialpartnerschaft. In dieser Frage stellt die FPÖ einen echten Gegenpol zur SPÖ-Führung dar, die zur Hauptverteidigerin dieses Systems geworden ist. Auch das Schwanken großer Teile der herrschenden Klasse in Österreich sowie der ÖVP in puncto einer Regierungsbeteiligung der FPÖ liegt in dieser Frage begründet. Der endgültige Bruch mit der Sozialpartnerschaft und der Hinauswurf der SPÖ birgt schwer berechenbare Risiken: In der Geschichte der 2. Republik gab es bisher nur 4 Jahre (1966-1970) ohne Regierungsbeteiligung der SPÖ. Das drückte die traditionelle Schwäche des österreichischen Bürgertums und die Angst vor der potentiellen Macht der ArbeiterInnenbewegung aus. Der Verbürgerlichungsprozeß der SPÖ in den 90er Jahren hat zum Kontrollverlust der SPÖ über die ArbeiterInnenklasse geführt: Traditionelle Parteistrukturen, StammwählerInnenbasis ... all das ist verschwunden. Die SPÖ repräsentiert heute nur mehr jenen Flügel der Bourgeoisie (bzw. der staatlichen und halbstaatlichen Bürokratie), der für die weitere Einbindung der Gewerkschaften in die Entscheidungsstrukturen steht. Das bedeutet für diesen Flügel aber nicht nur die Abgabe von Macht und gewissen Pfründen an die Gewerkschaftsbürokratie, sondern auch gewisse Korrekturen bei Sozialabbaumaßnahmen. Im Gegenzug dafür garantiert die ÖGB-Führung absoluten Gehorsam gegenüber der Regierung – bei der Strafe eines sinkenden realen Einflusses in der ArbeiterInnenklasse durch sinkende Mitgliederzahlen. Die FPÖ repräsentiert hingegen jenen Flügel von Unternehmern, die, wie Prinzhorn und Stronach, radikal mit den „österreichischen Gepflogenheiten“ brechen wollen und selbst vor Kritik am „weichen“ Kurs und der Bürokratie der eigenen Vertretung (Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung) nicht zurückschrecken. Sie wollen die Gewerkschaftsbürokratie aus den Schaltstellen der Macht und den Betrieben verjagen – und setzen dabei auf eine Mischung aus erpresserischen Drohungen und populistischer Kritik. Für viele mögen die Sager Stronachs à la „was macht der ÖGB mit den Milliarden im Streikfonds“ plausibel klingen – wenn der ÖGB nicht einmal eine Demonstration, geschweige denn einen Streik gegen einen Stronach zusammenbringt ...
Genauso wie Stronach in seinem Magna-Werk würde Haider an der Regierung agieren. Die FPÖ würde nicht müde werden zu betonen, dass wir gemeinsam hart arbeiten müssen, um erfolgreich zu sein, dass jedeR etwas beitragen muß, ... und gleichzeitig auf „die Schmarotzer“ – ob das nun die Gewerkschaften, die AusländerInnen, die Arbeitslosen ... sind – hinweisen. Die praktische Konsequenz wäre die systematische Einschränkung sozialer und demokratischer Rechte. Für die ÖVP ergibt sich daraus allerdings eine unmittelbare Gefahr: Sie ist selbst Teil des Systems der Sozialpartnerschaft und hat ihre Parteispitzen auf zahlreichen Versorgungsposten sitzen. Diese Bürokraten haben Angst vor einem allzu radikalen Kurswechsel und sind deshalb die „Bremser“ in der ÖVP in Sachen blau/schwarz. Doch wesentlich größer als dieses Problem ist die Angst der Bourgeoisie, vor den Folgen, die ein totaler Bruch mit der SPÖ und der Sozialpartnerschaft bedeuten würde. Natürlich würde man auch unter blau/schwarz versuchen, Teile der SPÖ weiter einzubinden – Stronach drängt sich auch hier als Parallele auf (Ex-Kanzler Vranitzky und Ex-Minister Streicher sitzen bei ihm in Managerfunktionen). Doch zumindest verbal würden die Gewerkschaften gegenüber einer Regierung, die sie aus allen Bereichen vertreibt, gar nicht stillhalten können. Ein solcher „Kulturbruch“ stellt gerade in Österreich ein Risiko dar, an dessen „Bruchlinien“ bisher noch nicht gekannter Widerstand wachsen könnte.
Ein Horrorszenario?
Die aktuelle Diskussion in den Medien geht davon aus, dass Haider eigentlich nicht zu verhindern ist. Wir behaupten das Gegenteil: Durch den Aufbau einer Anti-FPÖ-Bewegung von unten und einer politischen Alternative in Form einer neuen ArbeiterInnenpartei. Sollte die FPÖ in die Regierung kommen, stellt das eine Niederlage für die ArbeiterInnenbewegung dar – eine Niederlage umsomehr, weil dies ebenso ohne Widerstand wie der bisherige Sozialabbau und Rechtsruck (von wenigen Ausnahmen abgesehen) geschehen wäre. Trotz dieser Niederlage ist davon auszugehen, dass eine blau/schwarze Regierung am Beginn vorsichtig agieren würde. Es ist nicht damit zu rechnen, dass es unmittelbar z.B. zu dramatischen Gesetzesänderungen kommen würde. Vielmehr würden bestehende Möglichkeiten voll ausgeschöpft werden, um gegen MigrantInnen, Linke, ... vorzugehen. Verstärkte Razzien in Wohnheimen, Aktion scharf gegen Drogenabhängige, verschärftes polizeiliches Vorgehen während Demonstrationen, schnellere Streichung des Arbeitslosengeldes, Aushungern von Vereinen und Projekten. So würde eine solche Regierung versuchen, den Boden für weitere Maßnahmen aufzubereiten. In den Medien würde die Anzahl jener wachsen, die Haider für „politikfähig“ erklären, ehemalige Großkoalitionäre in den Spitzen der Gesellschaft würden versuchen, sich mit den neuen Machthabern zu arrangieren. Ein solchermaßen stetiger und ungebremster Rechtsruck würde unter Umständen auf einer gewissen Stufe verstärkt offen faschistische Kräfte hervorbringen, die Gewerkschaften mit Gewalt zerschlagen, bewaffnet auf Linke losgehen und ausländische KollegInnen systematisch ermorden. Auch wenn ein solches Szenario nicht wahrscheinlich ist – es verhindert sich nicht von selbst.
Auch, wenn es 5 nach 12 ist:Widerstand jetzt aufbauen!
Tatsächlich bedeutet eine blau/schwarze Koalition nicht nur eine Niederlage, sondern auch eine sehr instabile Regierungsform. Nach wie vor lehnen bei Meinungsumfragen große Teile der Bevölkerung diese Variante ab. Blau/schwarz würde sich auf die geringste gesellschaftliche Verankerung aller Nachkriegsregierungen stützen. Hier lägen die Ansatzpunkte für Widerstand. In Italien und Frankreich hat sich gezeigt, dass sich reale Mehrheitsverhältnisse nur in geringem Ausmaß in der Stärke etablierter Parteien ausdrücken: Starke Rechtsregierungen wurden dort durch Massenbewegungen von unten gestürzt. Doch solche Bewegungen entstehen nicht über Nacht. Sie greifen teilweise auf Traditionen zurück, die in Österreich von SPÖ und ÖGB über fünf Jahrzehnte verschüttet wurden.
Der Aufstieg der FPÖ drückt vor allem auch eines aus: Eine neue Periode der sozialen Zuspitzung und gesellschaftlichen Polarisierung. Die FPÖ ist die aktuelle „Antwort“ von Rechts auf die politische und soziale Krise des kapitalistischen Systems. Keine der etablierten Parteien und Kräfte ist in der Lage, dieser Antwort etwas entgegen zu setzen. Die SOV steht für eine echte Alternative: Für den Aufbau einer neuen sozialistischen Partei mit all jenen Menschen, die gerade in den letzten Wochen zum Schluß gekommen sind, dass man jetzt aktiv gegen Sozialabbau und Rechtsruck werden muß.