Mo 16.11.2015
Ausnahmezustände, Massenbewegungen, politische Erdbeben – die Nachrichten sind voll. In den letzten Monaten ist auch die „Insel“ Österreich in den Sturm von Wirtschafts- und Flüchtlingskrise geraten. Demonstration und Konzert gegen die herrschende Asylpolitik in Wien am 3.10., mit insgesamt etwa 150.000 Menschen, wird vielen in Erinnerung bleiben. Nun entbrennen unter denen, die aktiv geworden sind, heftige Debatten. Die Selbstorganisation der HelferInnen hat Übermenschliches geleistet – doch sie stößt an Grenzen, weil es gesamtpolitische Veränderungen braucht, um grundlegende Verbesserungen zu erreichen.
Die instinktive Ablehnung vieler, „politisch“ zu sein (auch wenn man es objektiv ist), oder sich gar zu organisieren, ist verständlich. Schließlich ist die offizielle Politik schuld an dem ganzen Desaster, und die Parteien schielen nur auf Posten. Doch ein Problem verschwindet nicht, wenn man es ignoriert. Das Sagen haben noch immer Faymann, Mikl-Leitner, Strache & Co. Schon der britische Philosoph Hobbes wusste: „Nicht an [politische] Macht zu glauben ist wie nicht an die Schwerkraft zu glauben.“
Wer die Macht hat, Grenzen zu öffnen oder zu schließen, Löhne zu erhöhen oder Massen zu entlassen, ist eine Frage gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse. Ob eine gesellschaftliche Kraft stark genug ist, Verhältnisse zu verändern, hängt nicht zuletzt davon ab, ob sie es schafft, ihren Interessen eine organisierte Form zu geben. Deswegen haben Menschen, die gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit kämpfen, sich immer wieder zu politischen Parteien formiert. Eine politische Partei ist nichts anderes als eine organisierte gesellschaftliche Kraft – Menschen, die sich zusammenschließen, um gemeinsam mehr zu erreichen.
Wenn wir also eine neue politische Kraft brauchen, stellt sich die Frage, wie diese beschaffen sein soll. Auf dem aktuellen Stand der Bewegung und des Bewusstseins braucht es eine neue, breite Linkspartei, in der verschiedene Bewegungen und Zugänge zusammenkommen. Eine solche Partei wäre ein wichtiger Fortschritt und ein Raum für Debatten, welches Programm es braucht, um eine andere Gesellschaft zu erkämpfen. Doch in Zeiten wie diesen stoßen solche Formationen schnell auf Prüfsteine. Der Kapitalismus duldet keine langfristigen innersystemischen Verbesserungen mehr. In dieser fundamentalen Krise bedeutet er nur noch mehr Krieg und Armut. Der Fall Syriza hat gezeigt, dass es heutzutage selbst, um „kleine“ Verbesserungen wie Lohnerhöhungen oder Abschiebestopps zu erreichen, die Bereitschaft braucht, über dieses System hinauszugehen – also „revolutionär“ zu sein und mit der kapitalistischen Logik zu brechen, was Syriza nicht getan hat.
Die Geschichte ist voll von Versuchen, dieses System durch eine gerechte Gesellschaft ohne Krieg, Flucht, Unterdrückung und Ausbeutung zu ersetzen. All diese Versuche, von der Pariser Commune 1871 über die Russische Revolution 1917 bis zu den arabischen Revolutionen 2011, bergen wertvolle Erfahrungen für künftige Bewegungen und Revolten. Es braucht also auch in neuen Linksparteien Leute, die sich bereits jetzt zusammenschließen, diese Lektionen lernen und als „kollektives Gedächtnis“ der Bewegung agieren. Eine zentrale Lehre ist die Notwendigkeit einer revolutionären politischen Kraft, die stark genug ist, um in revolutionären Perioden den entscheidenden Unterschied zu machen und einer Revolution zum Sieg zu verhelfen. Die SLP baut eine solche Organisation auf. Unter (noch) nicht revolutionären Umständen wirkt das vielleicht sehr ambitioniert. Doch der italienische Marxist Labriola meinte bereits 1890: „Ich weiß nicht, warum man nicht einer kleinen Partei angehören sollte, wenn man sich bewusst ist, auf dem richtigen Weg zu sein. Aber die kleine Partei schafft offene Feinde, fordert große Willenskraft, öffnet nicht den Weg zur politischen Karriere, verschafft kein dankbares Publikum“… und ist gerade deshalb unverzichtbar. Auch in scheinbar ruhigen Zeiten können sie Kämpfe zum Erfolg bringen, wie in den USA, wo unsere Schwesterorganisation Socialist Alternative den Kampf für einen 15$-Mindestlohn in Seattle gewonnen hat. Sie können, wie unsere irische Schwesterorganisation Socialist Party, Bewegungen aufbauen und radikalisieren – denn am Massenwiderstand gegen die Wassersteuer verzweifelt gerade die irische Regierung. Gleichzeitig verlieren sie nie aus den Augen, dass diese Kämpfe im Endeffekt nur erfolgreich sein können, wenn sie das kapitalistische System als Ganzes bekämpfen. Sie arbeiten eng zusammen, und das auf internationaler Ebene. Die SLP hat Schwesterorganisationen in über 40 Ländern. RevolutionärInnen diskutieren innerhalb ihrer Organisation gründlich und demokratisch ihre Positionen, um nach außen umso geschlossener auftreten zu können. Mitglied einer revolutionären Partei ist man nicht nur „am Papier“. Ihre AktivistInnen schulen sich in theoretischen Fragen und verbinden diese Theorie mit der regelmäßigen Praxis in ihrem jeweiligen Umfeld. Je stärker die revolutionäre Organisation jetzt ist, desto höhere Erfolgschancen haben soziale Bewegungen heute – und Revolutionen morgen.