Fr 01.12.2000
Hinter dem Schlagwort der „New economy“ steckt nichts anderes, als der Glaube an ein neues Wirtschaftswachstum ohne Ende. Die ökonomische Basis dafür soll der in den letzten Jahren boomende Bereich Technologie, Medien und Telekommunikation (=TMT) bieten. 1993 erstmals in der renomierten „Harvard Business Review“ dargelegt, sollte die „New economy“ dem Kapitalismus den Schwung verleihen, sich über Krisenzeiten zu retten und eine “dritte industrielle Revolution” auszulösen.
Doch der Wunsch und Theorien über einen stetig wachsenden Kapitalismus ohne Krisen, sind so alt, wie der Kapitalismus selbst. So schrieb auch eine andere internationale Wirtschaftszeitung, die „Business Week“, über die neue Zeit von einem „unvergleichlichen Aufschwung der Wirtschaft in der neuen Ära“. Der einzige Harken daran: das war im September 1929 und was ein paar Wochen darauf folgte, war der „Schwarze Freitag“ und der Beginn der größten weltweiten Weltwirtschaftskrise.
Nasdaq-Crash und seine Folgen
Der 1973 etablierte HT-Aktien-Index Nasdaq (“Internet-Börse”) erlebte bis März 2000 einen ununterbrochenen Steigflug. Der HT/IT-Anteil an den absolut zunehmenden Gesamtinvestitionen wuchs in den 90ern von 30% auf 60%. Seitdem folgt Dämpfer um Dämpfer. Binnen weniger Wochen verlor Nasdaq über ein Drittel. Im Sog dieser Turbulenzen befinden sich Börsen weltweit und genauso “klassische” Aktien-Werte. Internet-Firmen verlieren derzeit pro Quartal 10 bis 30 Millionen US$.
Nicht bloß “dot.com”-Emporkömmlinge (=reine Internetfirmen) stecken in veritablen Schwierigkeiten mit Verlusten bis zu 75% des Ausgabepreises. “Big players” wie IBM, Microsoft, Xerox werden ebenso durchgeschüttelt. Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Börsegang der Telekom Austria. Anstatt eines steilen Kursgewinns, wie bei den internationalen Telekom-Werten in den letzten Jahren, setzte sie nicht nur bei einem sehr niedrigen Ausgabepreis an; sie fiel um 12% während des ersten Tages, um mit einem Verlust von 7% zu schließen.
Mit dem unerschütterlichen Glauben in die Hoch- und Informationstechnologie (HT/IT) ist es seit dem Frühjahr 2000 vorbei. Die unmittelbaren Gründe dafür sind steigende Zinsen, Währungsschwankungen und die tiefgehende Vertrauenskrise. Im Fall Microsoft vergrößert die kommende bzw. bevorstehende Aufspaltung des Konzerns die Unsicherheit in der Branche noch weiter.
Nach dem Saufen das Kopfweh
Obgleich die Mehrheit der IT-Firmen keine Aussicht bot, in Zukunft Profite aus geschaffenem Mehrwert (= Arbeit und Produktion) zu realisieren, wurden ihnen gewaltige Kredite eingeräumt. Der Spekulations-Boom reichte als Sicherheit. Kredite wurden auch an Spekulanten verschleudert. Der beschleunigte Anstieg der Kurse stand im Missverhältnis zu den Dividenden und Kapitalzuwächsen, geschweige denn den realen Werten dieser Firmen.
Aber auch dieses „Missverhältnis“ ist nichts grundlegend Neues. So schrieb bereits Oscar Wilde an der Wende zum 20. Jahrhundert sarkastisch über die Börse, sie sei ein Markt, der den Preis von Allem und den Wert von Nichts kennt. Damit spielte Wilde schon damals auf den Umstand an, dass die Preise der an den Börsen gehandelten Aktien nicht mehr ihren realen Werten entsprachen.
Anstatt neue Werte zu schaffen, wurde nur innerhalb einer imaginären „Spekulationsblase“ bereits erwirtschaftetes Kapital „umverteilt“. So beruht(e) auch der jetzige US-Boom vor allem am Konsum, eben dieser Spekulationsblase und dessen bisherigen Gewinnen. Aber auch damit ist es jetzt vorbei! Was bleibt sind Schuldenberge und kaum leistbare Kredite. Stottert aber der US-Motor einmal, ist der Kollaps in den abhängigen Märkten nur noch eine Frage der Zeit.
Illusionen und Irrungen der Kapitalstrategen
Die Mehrheit bürgerlicher Ökonomen und Kommentatoren prophezeiten im letzten Jahrzehnt eine neue wirtschaftliche Ära. Der Kapitalismus fände einen Umweg um seine klassischen Zyklen von Wachstum und Krisen. Wundermittel dafür seien Computerisierung und Informationstechnik. Besonders schlaue Leute argumentieren, dass trotz der gewaltigen Unterschiede zwischen Reich und Arm eine langsame Entwicklung der Angleichung möglich sei. Ins Treffen werden dann “beeindruckende” Zahlen gebracht: Der Ausweg aus der Armutsfalle liegt z.B. darin, dass in China 50 Millionen Mobiltelefone besitzen und 19 Millionen Haushalte in Indien gar Uhren! (Micklethwait und Wooldridge; “A future perfect - the challenge and hidden promise of globalisation”; Heinemann 2000).
Hier liegt neben Unklarheit über die Relationen (China: 1,2 Milliarden Einwohner; Indien: 1 Milliarde) auch Wirklichkeitsverlust vor: Die Mehrheit der Weltbevölkerung lebt in absoluter Armut! Der Vergleich der IT mit den Errungenschaften und Erfindungen der Technologischen Revolutionen vor rund einem Jahrhundert (Motoren, Elektrizität, Telefon, Radio) ist falsch. Ein Handy ist nichts Neues.
Die Übermittlung elektromagnetischer Wellen wird schon viel länger angewandt. Der Otto-Motor ist bis heute nur verbessert, aber nicht verändert worden. Flugzeuge fliegen nach demselben Prinzip wie zu Lindbergs Zeiten. Den Mond erreichte man schon Ende der 50er (Lunik 2-Sonde 1959), nicht erst, seitdem es möglich ist, in der Schlange vor der Kinokasse stehend, noch flucks mittels WAP-Handy Karten reservieren zu lassen.
Systemwiderspruch
Der Kapitalismus vernichtet letztlich die Potentiale von Erfindungen und der menschlichen Arbeit. “Seine” technologischen Entwicklungen sind nur der Schatten des Möglichen. Technologien werden zur Destruktion (Kriege) entwickelt, nicht zur Konstruktion der Zukunft. Die bloße Effizenzsteigerung der Datenverwaltung und die Beschleunigung des Informationsaustauschs ERSETZEN nicht die Produktion, die Industrie. (Hier baut der globalisierte Kapitalismus ab.) Die Vergrößerung gesellschaftlichen Reichtums liegt in der menschlichen Arbeitskraft. In modernen Technologien steckt die Summe menschlicher Arbeitskraft. Diese Mittel können bestenfalls nur der Effektivierung der künftigen Arbeit dienen. Genauso wie es kein perpetuum mobile (ewig funktionierendes System ohne äußere Zufuhr von Energie) geben kann, kann keine Gesellschaft ohne Arbeit (= Zufuhr von Energie) auskommen. Für die Profitwirtschaft liegt hier der Widerspruch. Sie ist gezwungen, vor der Realwirtschaft in die Spekulation zu fliehen. Auf der Strecke bleibt die Mehrheit der Menschen. Diesen Widerspruch kann nur eine globale, demokratisch geplante Wirtschaft lösen. Es liegt in dieser pragmatischen Erkenntnis, warum Sozialismus notwendig ist.