Mo 20.11.2006
Millionen Menschen stellen sich seit dem Bekanntwerden des BAWAG-Skandals, also inzwischen seit einem Jahr (!), im Grunde nur eine Frage: Wie können so wenige Menschen soviel Geld verspielen, bzw. nur zwei Personen an der ÖGB- Spitze den Streikfonds verpfänden?
Dabei geht es um nichts anders, als um eine gegen gewerkschaftliche Interessen gerichtete Politik, Privilegien, innerorganisatorische Demokratie und Kontrolle der Verantwortlichen. Um einer politischen Debatte aus dem Weg zu gehen, erfanden die ÖGB-SpitzenvertreterInnen eine neue Sprachregelung. Plötzlich wurde nur noch vom “Kriminalfall BAWAG”, über den man “genauso fassungslos” wie alle Mitglieder sei, gesprochen. Der Hintergrund dieser PR-Strategie ist klar: “Wir sind auch Opfer, lasst uns bitte weiter arbeiten”. In dieser Situation reagierte die ÖGB-Spitze somit so, wie es für abgehobene Bürokratien in politischen Organisationen typisch ist. Sie versuchte Zeit zu gewinnen, verschob den ÖGB-Kongress (ursprünglich sogar auf die zweite Jahreshälfte 2007) und sie versuchte die materiellen Möglichkeiten best möglich zu sichern (schneller Bawag-Verkauf, Gebäude verkaufen Personaleinsparungspläne usw.). Viele ÖGB-Mitglieder waren mit dieser Vorgangsweise naturgemäß unzufrieden. Die Austrittswelle ging weiter.
Oppostion regt(e) sich
Die medial bekannteste Initiative stellte hier “Zeichen setzen” dar, die von einer Gruppe langjähriger Gewerkschaftsangestellter und BetriebsrätInnen gestartet wurde.
Spannend an “Zeichen setzen” waren weniger die Forderungen an sich, sondern vor allem die rege Beteiligung in den ersten Wochen im Internet. Recht allgemein ging es um eine Aufwertung der Kontrollrechte, einen Rückzug der SpitzenvertreterInnen aus dem Nationalrat, eine 50%ige Frauenquote und eine (besonders vorsichtig formulierte) Einkommensbegrenzung auf immerhin 4500.- netto. Da die Initiative in die richtige Richtung ging, beteiligte sichdie SLP aktiv an “Zeichen setzen”, trat aber für eine offene Konferenz der UnterstützerInnen und für Aktionen in den Betrieben ein. Letztendlich unterstützten knapp 6.000 Menschen den Aufruf im Internet. Von diesen 6.000 waren damals 799 BetriebsrätInnen und 185 MitarbeiterInnen des ÖGB. Die Idee von SLP und AktivistInnen der Plattform für demokratische und kämpferische Gewerkschaften, möglichst viele UnterstützerInnen zu einer Konferenz zusammen zu bringen, und eine weitere Strategie zu suchen, wurde zwar von einigen InitatorInnen von “Zeichen setzen” verbal unterstützt. Passiert ist aber leider nie etwas. Anfang Sommer wurde einfach aufgehört weiter Unterstützung zu sammeln und das Gespräch mit der ÖGB-Spitze gesucht. Ein Teil der UnterstützerInnen hätte sich weitere Aktivitäten erwartet und war enttäuscht. Die Energie hinter der Initiative verpuffte leider.
Die ÖGB-Führung nutzte die Zeit um den “Reformprozess” nach ihrem Willen zu gestalten.
Reform à la ÖGB-Führung: Unbequemes wird totgeschwiegen
Die Fragen bei der ÖGB-Mitgliederbefragung und den Regionalkonferenzen waren komplett unverbindlich. Selbst die traditionelle Basis von FSG und FCG konnte offensichtlich nicht mehr für die ÖGB-Politik motiviert werden. Laut ÖGB-Homepage beteiligten sich 6.000 Leute an den Regionalkonferenzen, bei 1,3 Millionen Mitgliedern eine verschwindende Minderheit. Besonders traurig: auf den fünf Regionalkonferenzen in Wien waren unter 500 TeilnehmerInnen. “Die fünf Regionalkonferenzen fanden zwischen 4. und 11. Oktober statt” heißt es als einzigen Satz zu den Wiener Konferenzen dazu auf der Homepage zur ÖGB-Reform (Stand 16.11.06). Wohl auch deshalb weil bei zwei Regionalkonferenzen Anträge der Plattform für kämpferische und demokratische Gewerkschaften angenommen wurden (Siehe Seite 5).
Jene KollegInnen, die sich beteiligten, sprachen sich allerdings ebenso klar für eine kämpferische ÖGB-Politik aus (70% für kämpferische Gewerkschaftspolitik und 61% für Urabstimmungen bei der Mitgliederbefragung). Auch beim GPA-Bundesforum im November 06 waren diese zwei Aspekte bemerkenswert: Erstens: Die Beteiligung der Delegierten war noch schwächer als bei vergangen Konferenzen. Zweitens: Bei manchen Anträgen stimmten Teile der Delegierten (z.B. die Delegierten der Interessensgruppen) gegen die Empfehlung der “Antragsprüfungskommission” (also gegen den Willen der GPA-Spitze). Es zeigt sich zumindest, dass – neben dem allgemeinen und verständlichen Frust – in den Gewerkschaften Einiges in Bewegung geraten ist. Für die Zukunft sind linke Mehrheiten bei einzelnen Themen nicht mehr so undenkbar wie sie noch vor ein paar Jahren schienen.
Was passiert am ÖGB-Kongress?
Ein Großteil der ÖGB-Spitze scheint einen simplen Plan zu haben: 1) die Krise aussitzen, 2) Mit dem Verkauf der BAWAG die schlimmsten finanziellen Probleme lösen, 3) Mit Sparmaßnahmen auf Kosten der kleinen ÖGB-MitarbeiterInnen und ein paar neuen Personen an der Spitze weiter machen wie bisher. Unklarheit gibt es vor allem über die zukünftige Machtaufteilung. Ein Teil der Führungsspitze will einen ÖGB, der in verschiedene Blöcke gegliedert ist, ein anderer Teil will (am prominentesten formuliert von GPA-Chef Wolfgang Katzian) die Auflösung aller Fachgewerkschaften in einem einheitlichen ÖGB. Anfang November gingen die Länder-Chefs des ÖGB an die Öffentlichkeit und kritisierten die bisherige Richtung der ÖGB-Reform. Wahrscheinlich scheint momentan eine Machtverschiebung weg von der ÖGB-Zentrale und hin zu den Fachgewerkschaften, wie sie vor allem von der von ÖVPlern dominierten Gewerkschaft Öffentlicher Dienst forciert wird. Der Salzburger ÖGB-Chef Pichler schließt wiederum sogar eine Kampfabstimmung am ÖGB-Kongress nicht aus. Ob sich die Bürokratie bis zum ÖGB-Kongress auf einen Fahrplan einigt, ob die großen Konflikte verschoben werden oder es tatsächlich zu einer Kampfabstimmung kommt, bleibt abzuwarten. Natürlich ist Rudolf Hundsdorfer bestenfalls ein schlechter Scherz als Zeichen der Erneuerung. Aber gilt das nicht für alle SpitzengewerkschafterInnen die jahrelang “dabei” waren und nach wie vor auf den selben Posten sitzen?
Gewerkschaftsspitze und Basis: Zwei Welten
Eine überwältigende Mehrheit der BetriebsrätInnen, PersonalvertreterInnen und aktiver Gewerkschaftsmitglieder sieht den ÖGB vor allem in einer politischen Krise. Die ÖGB-Spitze sieht primär eine finanzielle Krise und keinen Bedarf an politischer Erneuerung. So meinte der neue Chef der Metallergewerkschaft Erich Foglar in seinem Brief an die KollegInnen von “Zeichen setzen”, dass die “wirtschaftliche Konsolidierung” des ÖGB vorrangig vor Reformdiskussionen sei. In einem Report Interview vom 24.10.06 bekräftigte er seine Haltung, indem er dem ÖGB “eine Finanzkrise aber keine politische Krise” attestierte. Mit dieser Haltung ist Foglar nicht alleine. Aus der Sicht der ÖGB-Bürokratie ist diese, letztlich unpolitische, Haltung auch nur logisch. Für sie begann die ÖGB-Krise erst mit dem BAWAG-Skandal, für die meisten aktiven GewerkschafterInnen war der ÖGB aber schon vor dem BAWAG-Skandal in einer Krise.
Worum geht’s wirklich für die ArbeitnehmerInnen?
In den letzten Jahren hat sich die soziale Lage stark verschlechtert: Eine Million Menschen leben an der Armutsgrenze, 2,4 Millionen verdienen weniger als 10.000 Euro im Jahr. Durch die Privatisierungen und die Zerschlagung der ÖBB wurden die Ausgangsbedingungen für ArbeitnehmerInnen drastisch verschlechtert. Viele GewerkschafterInnen fragen sich zu Recht: “Kann da noch mit der Sozialpartnerschaft gegengesteuert werden?”. Die alte=neue ÖGB- Spitze lässt diese Frage bestenfalls unbeantwortet. Schlechtestenfalls freut sie sich über eine Initiative zur “Verteidigung des ÖGB” – getragen von ehemaligen Bankern und Unternehmervertretern (sowie unterstützt von – kein Scherz – Fritz Verzetnitsch). Die SLP steht demgegenüber für eine aktive Gewerkschaftspolitik, die den Konflikt mit den Unternehmern und der Regierung nicht scheut. “Wir würden ja gerne kämpfen aber die Leute wollen nicht” wird uns von vielen der SpitzenfunktionärInnen entgegengehalten. Wer so argumentiert hat meist selbst Angst vorm Kämpfen. Dort wo es für Beschäftigte schwierig ist (nach 50 Jahren Sozialpartnerschaft) auf die Straße zu gehen, muss dies eben wieder gelernt werden. Das Jahr 2003 hat gezeigt. dass KollegInnen sehr schnell “lernen”, für ihre Rechte einzustehen. Der Streik bei Siemens PSE im November und die Proteste bei der AUA machen auch deutlich, dass die KollegInnen sehr wohl mitgehen, wenn Kampfmaßnahmen organisiert werden.
Die SLP will mehr Gewerkschaftsdemokratie
Mehr Demokratie würde die Einbindung der Mitglieder wesentlich erhöhen und so die Gewerkschaften schlagkräftiger machen. Urabstimmungen über das Ergebnis von KV-Verhandlungen kann sich aber auch HGPD-Chef Rudolf Kaske (“Dann brennt die Republik”) nicht vorstellen. Auf einer Veranstaltung der Plattform für kämpferische und demokratische Gewerkschaften meinte er sinngemäß, oft gelänge es, ein gute Ergebnis für die ArbeitnehmerInnen herauszuholen und die Unternehmer wurden bei einer Abstimmung erst draufkommen und dann die Zustimmung zu einem guten Abschluss wieder zurückziehen. In ein ähnliches Horn stößt auch FSG-Chef Haberzettel: Die Betriebsräte seien bei KV-Verhandlungen eingebunden, mehr Basis sähe er nicht, meinte er bei einer Veranstaltung in Oberösterreich.
Wir meinen: Ein Großteil der KV-Abschlüsse sind derzeit zu Gunsten der Unternehmen und bedeuten Reallohnverluste für die ArbeitnehmerInnen. Wenn diesen nun durch eine Urabstimmung die Zustimmung verwehrt wird, gibt es überhaupt erst die Chance, für eine Lohn- oder Gehaltserhöhung zu kämpfen die diesen Namen tatsächlich verdient. Eine Urabstimmung brächte die dafür notwendige Beteiligung der Mitglieder an verschiedenen Kampfmaßnahmen und würde politischen Druck für die ArbeitnehmerInnen machen.
Nagelprobe neue Regierung
“Beschäftigung, soziale Verantwortung, Bildung, Gesundheit und soziale Union als Schwerpunkte” – praktisch nur Floskeln und kaum konkrete Forderungen formlierte die ÖGB-Führung an die Adresse der “künftigen Regierung”. In der Realität ist zu erwarten, dass mit jeder Regierungsbildung auch ein neues Kürzungs- und Belastungspaket gegen die ArbeitnehmerInnen geschnürt wird. Gewerkschaftlicher Widerstand muss damit beginnen, dass keinE GewerkschaftlerIn Sozialabbaumaßnahmen mitbeschließen oder unterschreiben darf. Statt in Regierungsverhandlungen mitzupackeln, gilt es den Widerstand gegen künftigen Sozialabbau jetzt vorzubereiten. Die Chancen dafür stehen in der österreichischen Gesellschaft eigentlich gar nicht so schlecht. Schließlich wurden Schüssel und Co., wegen ihrer asozialen Politik gerade abgewählt...