Mo 09.10.2006
- Angriff gegen das Büro der Antirassismus-Organisation ZARA
- Häufung von Drohanrufen und -mails (mit Morddrohungen) (dokumentiert von DÖW und SLP)
- Berichte über explosionsartige Zunahme rassistisch motivierter Gewalttaten
- Mehrere Verletzte aufgrund rechtsextremer Übergriffe in den Bundesländern (Oberösterreich, Tirol, ...)
- Die Kultusgemeinde erhält zwischen April und August 2006 um über 50% mehr Drohmails/-anrufe
- Anschlagsversuch mittels Gaskartuschen-Bombe auf die Muslimische Jugend Österreichs in Wien
Nach einer Phase von Niedergeschlagenheit, Rückzug und dem Neuaufbau im Verborgenen gehen Nazis nun wieder in die Offensive. Die Zunahme rechtsextremer Aktivitäten, gewalttätige Übergriffe, Drohungen und Bombenbasteleien, ist für viele politisch Interessierte in den letzten Monaten offensichtlich geworden. Von besonderer Bedeutung sind die Entwicklungen zwischen Straches FPÖ und der militanten Nazi-Szene.
Neuformierungsprozesse der Rechten
Die Neuformierung der rechtsextremen und faschistischen Szene in Österreich findet statt. Der Rechtsextremismus-Experte Wolfgang Purtscheller fasst dies zusammen: "Nach der Zerschlagung der VAPO des Gottfried Küssel (eine bewaffnete Nazi-Truppe; Anm.) haben sich die militanten Faschos eine Zeit lang ziemlich mausig verhalten. Aber jetzt wagen sie sich – im Windschatten der offen rassistischen Hetzkampagnen von BZÖ und FPÖ, aber auch Teilen der bürgerlichen Presse – wieder aus ihren Löchern. Das burschenschaftliche Element in der FPÖ tritt massiver zutage, Gruppen wie die offen terroristische Nazi-Skinhead-Gang "Blood & Honour" haben sich konsolidiert und in manchen Regionen verankert, mit dem "Bund Freier Jugend" hat sich erstmals seit eineinhalb Jahrzehnten eine relativ professionell agierende Neonazi-Jugendorganisation etabliert. Und auf muslimische Einrichtungen werden – getreu dem Motto ‘Daham statt Islam’ – Bombenattentate versucht."
Heribert Schiedel vom "Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes" (DÖW) ging im Rahmen einer Pressekonferenz der SLP auf die qualitativen Veränderungen der letzten Jahre ein: "In der rechtsextremen und Neonaziszene findet nach einer Periode der Rekrutierung nun eine Vertiefung und ein Ausbau von Strukturen statt. ... Bekannte Rechtsextreme, die einige Jahre untergetaucht waren, sind wieder vermehrt aktiv und versuchen gezielt bei Skinheads und Fußballfans politische Ideologie hineinzutragen. In verschiedenen Organisationen wird ein bewusster Kaderaufbau organisiert, ein deutliches Zeichen der Vorbereitung für eine politische Offensive."
Der angesprochene Wiederaufbau nach der Zersplitterung der VAPO als Folge der Verurteilung Küssels Anfang der 1990er zu 10 Jahren Haft passierte großteils außerhalb der großen Zentren, v.a. Wien. Es ist kein Zufall, dass sich die gewalttätige "Blood & Honour"-Szene mit einer Reihe von Konzerten in Vorarlberg und Oberösterreich finanzierte. Der "Bund freier Jugend" (BFJ) wich aufgrund der antifaschistischen Aktivitäten und Mobilisierungen seit 2003 von Linz stärker auf diverse kleinere Ortschaften im ländlichen Raum aus, um Kräfte aufzubauen (Freistadt, Innviertel, Salzkammergut). Seminare mit politischen Referaten werden dabei mit Auslandsaufenthalten und "geselligen Abenden" kombiniert. Einzelne Nazis versuchten es mit diversen Projekten, z.B. in Salzburg. Von den Bundesländern aus wirkten all diese ab einem bestimmten Zeitpunkt auf die Bundeshauptstadt. Ein wesentlicher Mobilisierungspunkt dafür war das "Heldengedenken" am Wiener Heldenplatz im Frühjahr 2002 (mit aktiver Beteiligung von FPÖ-Stadler), sowie die Demo gegen die Wehrmacht-Ausstellung und die Proteste gegen die Aberkennung des Ehrengrab-Status für den Verbrecher Walter Nowotny am Wiener Zentralfriedhof 2003. Diverse Treffen und Gruppenaufbau-Projekte folgten; am bedeutendsten hier wiederum "Blood & Honour" sowie das Wien-Projekt "Jugendkreis Hagen" des in Oberösterreich starken BFJ.
FPÖ und Nazi-Szene
Die SLP debattierte nach der BZÖ-FPÖ-Spaltung eine Reihe von Fragestellungen. Eine davon war, dass die Klärung der Verhältnisse innerhalb des "Dritten Lagers" sich auch in der (Neu-)Formierung der faschistischen Szene auswirken würde. Für faschistische Kreise war die FPÖ schon immer Bezugspunkt und Arbeitsfeld. Dies widerspricht nicht der Tatsache, dass es ein mitunter gespaltenes Verhältnis zu ihr gibt oder sie zumindest nur als Teil einer umfassenderen Tätigkeit gesehen wird.
Die Verbindungen zwischen FPÖ und faschistischem Lager sind mehr als die Summe von Einzelfällen. Sie bekommen dadurch Gewicht, dass in den Leitungsgremien der FPÖ-Jugend "RFJ" Leute sitzen, die selbst in der deutschen Nazi-Szene als "Nationalsozialisten" gesehen werden. Das allein bestimmt sicherlich noch nicht den Charakter der "FPÖ-neu", doch in Verbindung mit einer Zunahme wirtschaftlicher, sozialer sowie gesellschaftlicher Instabilität ist die Rolle solcher Elemente in einer rechtsextremen 15%- oder 20%-Partei nicht zu unterschätzen. Purtscheller zieht einen geschichtlichen Vergleich: "Das (die persönlichen Verstrickungen; Anm.) ist zwar bei der FPÖ eine langjährige Tradition – ich erinnere in diesem Zusammenhang immer an die Borodajkewicz-Demos und an die Südtirolterroristen der 60er-Jahre, die auch zu 90% Burschenschafter und RFS- und/oder FP-Mitglieder waren. Aber es ist schon bemerkenswert, wenn der Organisator und Anmelder der Neonazidemo gegen die Wehrmachtsausstellung heute als ‘Generalsekretär’ des Ringes Freiheitlicher Jugend (RFJ) firmiert oder wenn Gottfried Küssel samt Kameraden bei einer FPÖ-Kundgebung in der Hitler-Geburtsstadt Braunau auftaucht – das hat Symbolcharakter." Immer wieder scheint sich eine Symbiose von Nazis und FPÖ einzustellen. Dazu Purtscheller: "Von den Nazis wird eine ‘Schutzfunktion’ der FPÖ eingefordert, und umgekehrt sind die Burschenschafter und Neonazis heute mehr denn je willkommener Ersatz für das zu Haider abgewanderte FPÖ-Kaderpersonal. Der Unterschied ist: was früher im Hinterstübchen, im Bierkeller oder auf der Burschenschafterbude geschah, passiert heute offen."
Gleichzeitig spielt sich neben der FPÖ bzw. in ihrem Sog noch mehr ab. Der BFJ sieht die FPÖ aus dem Grund kritisch, da sie als großteils parlamentarisch agierende Kraft seiner Meinung nach den Kern der Abkehr von deutschnationalen Grundsätzen und die mit ihm verbundenen faschistischen Gesellschafts-Konzepten in sich trägt. Die BFJ-Theoretiker sehen sich durch die Erfahrung Haiders bestätigt, der als Deutschnationaler begann, aus populistischen Gründen zum Österreich-Patriotismus schwenkte und mit einem Ja zum Türkei-EU-Beitritt endete. Der aggressive Rassismus der FPÖ ist für den BFJ die Mindestanforderung. Doch damit geben sich die Nachwuchs-Nazis nicht zufrieden. Zur Durchsetzung von z.B. "ethnischen Säuberungen" sieht der BFJ offensichtlich die Notwendigkeit des Aufbaus von Strukturen, die dem Druck dieses "etablierten Spektrums" nicht ausgesetzt sind. Dabei baut er auf seine Prognose, dass "das Volk" aufgrund Korruption und Abgehobenheit des etablierten bürgerlichen Parteiensystems der parlamentarischen Demokratie gegenüber gänzlich ablehnend gegenüberstehen wird und die Stunde der faschistischen Machtübernahme bevorsteht.
Es sei an dieser Stelle dahingestellt, wie weit die zweifelsohne existierende Unzufriedenheit mit den herrschenden kapitalistischen Verhältnissen allein genügen wird, faschistische Massenorganisationen nach sich zu ziehen. Entscheidend ist: diese Perspektive wirkt als Triebfeder einer neuen Generation faschistischer GewalttäterInnen. Und das im Gegensatz zum vorwiegend auf Wahlerfolge ausgerichteten rechtsextremen Populismus der Haider-Ära in den 90er Jahren. Bündnisse geht der BFJ mit Teilen der FPÖ dennoch ein; v.a. mit dem RFJ. Die FPÖ bzw. ihre Jugendstrukturen sind dabei nicht die einzigen Andockstationen. Der BFJ baut, ausgehend von einem mobilisierbaren Kern von etwa 100 in Oberösterreich, verstärkt an einer Ausweitung des Netzwerks außerhalb Österreichs. Es bestehen Kontakte zu Nazis in Deutschland (NPD und "Freie Kameradschaften"), Rumänien, Italien, Spanien. Der BFJ ist die Jugendorganisation jener "AfP", die als eine der Schnittstellen zwischen rechtsextremen Gruppen und der FPÖ gilt. Jedes Jahr veranstaltet sie eine sogenannte "Politische Akademie"; ein traditionelles Treffen des Rechtsextremismus mit internationaler Beteiligung.
Das AfP-Heim in Wien 16
Über das AfP-Heim in Wien schließt sich wiederum der Kreis zur FPÖ: Denn Funktionäre des RFJ (= FPÖ-Jugendorganisation) halten regelmäßig Treffen im "Stüber-Heim" der AfP im 16. Bezirk in Wien ab. Dabei wird versucht, Schläger-Nazis mit ideologischen Grundsätzen und einer politischen Strategie vertraut zu machen. In diesem Zusammenhang muss auf die Ausweitung der bisher in Vorarlberg starken "Blood & Honour"-Struktur hingewiesen werden. Ihr wichtigster Treffpunkt: das AfP-Heim. Mittels dieses Milieus und ausgehend von den "schlagenden" deutschnationalen Burschenschaften verfestigt sich eine Art Doppelstrategie: offensive mediale Hetze von Seiten der Strache-Partei und die Schaffung eines gewalttätigen Klimas auf der Straße und in den Wohnvierteln. Die Aufbau-Versuche faschistischer Organisationen umfassen auch den Sport. Einige Fußball-Fanclubs werden von Rechtsextremen planmäßig bearbeitet. So könnte es im Europameisterschafts-Jahr 2008 zu öffentlichen faschistischen Provokationen kommen.
Die Gefahr ist konkret
Die "Normalisierung" von aggressivem Rassismus durch FPÖ und Staatsrassismus in den 1990er geht heute mit einem Verwischen der Grenzen zwischen illegalen Nazi-Strukturen und legalen rechtsextremen Organisationen einher. Schiedel (DÖW) beantwortet die Frage nach der Gefahr rechtsextremer Anschläge: "Ja! Der Rechtsextremismus ist auf dem Weg zu vermehrten terroristischen Aktivitäten." Wie in den frühen 1990er Jahren finden paramilitärische Übungen der Naziszene statt. Dem folgen Versuche, durch die Bildung von "Bürgerwehren" offen aufzutreten. Die ersten Angriffsziele sind MigrantInnen und sozial schwache Menschen, v.a. Jugendliche auf der Straße. Doch das ist nicht alles. Selbst der Charakter "gewöhnlicher" Telefon- und Mail-Drohungen hat sich geändert. Wolfgang Purtscheller: "Während diese früher anonym waren, wird heute öfter selbstbewusst der Namen genannt. Ein Phänomen, das durch das politische Klima, welches Strache, Westenthaler & CO schaffen, zu erklären ist." Schon im Wiener FPÖ-Wahlkampf 2005 und verstärkt diesen September waren bei den Strache-Kundgebungen in Favoriten viele "Blood & Honour"-Nazis anwesend. Nach der Kundgebung kam es, ähnlich wie im Rahmen der Wiener Wahlen 2005 auch zu gewalttätigen Überfällen solcher Schläger in der U-Bahn.
Doch rechte Gewalt wird nicht nur von martialischen Nazi-Truppen verbreitet. Es gibt eine allgemeine Stimmung in Teilen der Gesellschaft, die auf vielfältige Weise mit Worten und in Folge mit Taten Menschen attackiert. Wöchentlich gibt es in Österreich mitunter mehrere Verletzte aufgrund rechtsextremer Gewalttaten. Auch Todesopfer gab es in den letzten Jahren bereits zu beklagen. Der Anschlagsversuch gegen die Moslemische Jugend vom 11. September und die Verbindungen der österreichischen Nazis nach Ostdeutschland, England etc. zeigen, wie real die Bedrohung ist. Der notwendige Schutz muss über Öffentlichmachung, Mobilisierungen und praktische Solidarität erfolgen. Das beginnt damit, dass man sich auf der Straße bei rassistischen Anpöbelungen einmischt und Partei ergreift.
Das beste Mittel: Mobilisierungen
Bei der Verteidigung gegen rechtsextreme Übergriffe sollte versucht werden, möglichst viele Menschen zusammenzubringen. Organisierte Notwehr gegen rechte Gewalt ist vollauf gerechtfertigt. Durch Kundgebungen und Demos kann verhindert werden, dass es als "normal" angesehen wird, dass sich Nazis und dergleichen offen zeigen, Menschen einschüchtern oder verprügeln. Dabei geht es nicht um "Bandenkriege" zwischen "links" und "rechts". Je mehr Menschen sich an solchen Aktionen beteiligen, desto reibungsloser werden diese ablaufen. So kann den Rechtsextremen gezeigt werden, dass es mit dem Kräfteverhältnis zu ihren Ungunsten steht. Was aber noch wichtiger ist: so schafft man Selbstvertrauen bei antifaschistischen Menschen und vor allem Jugendlichen. Es gibt aus den letzten Jahren eine Reihe von Beispielen aus Wien, OÖ, Salzburg und Vorarlberg, wo durch mutige Aktivitäten Nazis zurückgedrängt und deren Aktivitäten zumindest erschwert werden konnten. Auch wenn Rechtsextreme den weiteren Sozialabbau und die hohe Arbeitslosigkeit für ihre Hetze ausnutzen möchten, so müssen diese sozialen Probleme nicht automatisch zu einer Stärkung faschistischer Organisationen führen. Es ist vor allem davon abhängig, ob und wie eine starke linke Alternative für ArbeiterInnen und Jugendliche aufgebaut werden wird.
- Für gemeinsame Aktionen aller AntifaschistInnen und Anti-RassistInnen, um BFJ, "Blood & Honour", RFJ und Burschenschaften an öffentlichem Auftreten und Propaganda zu hindern. Für gemeinsame Mobilisierungen gegen das "Stüber-Heim" der AfP in Wien 16.
- Armut und Arbeitslosigkeit schaffen eine Grundlage für Rechtsextremismus und Rassismus. Deshalb: In- und AusländerInnen gemeinsam gegen die Sozial- und Bildungsabbau- sowie die Privatisierungs-Politik der Regierung.
- Solidarität mit allen von Nazis und rassistischer Gewalt bedrohten Einrichtungen, Organisationen, linken AktivistInnen, Jugendlichen und MigrantInnen. Öffentlichmachung und Mobilisierung gegen Einschüchterungsversuche!