So 01.03.1998
Die Reaktionen auf unsere letzte Titelseite zum Thema Arbeitszeitverkürzung (AZV) waren durchwegs positiv. „Ihr schreibt aber zuwenig, wie ihr euch AZV vorstellt und was das politisch bedeutet“ lautete aber auch die Kritik einiger Betriebsräte. AZV ist eine gesellschaftspolitische Frage, die weit über die betriebliche Ebene reicht. Sie ist eine Frage des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses.
Dies zeigt sich deutlich, wenn man in der Geschichte der 35-Stundenwoche „kramt“. Am 10. ÖGB-Kongreß 1983 konnte ein überfraktionelles gewerkschaftliches Personenkomitee 100.00 Unterschriften für die Einführung der 35-Stunden Woche vorlegen. Es kam zum Beschluß für eine moderate Form der AZV einzutreten. Etwa eineinhalb Jahre später legte der damalige ÖVP-Sozialsprecher und Funktionär der Industriellen-Vereinigung Stummvoll ein Gegenkonzept zur AZV vor. Darin war von Bandbreitenmodellen zwischen 35 und 45 Wochenstunden in 26 wöchigem Durchrechnungszeitraum, aber auch von einer Ausdehnung der täglich möglichen Normalarbeitszeit von 9 auf 10 Stunden die Rede. Diese Maßnahmen wurden in den letzten Jahren großteils umgesetzt - die Unternehmer haben sich also weitgehend durchgesetzt. Auf seinem 12. Bundeskongreß beschloß der ÖGB, auf die rasche Einführung der 35-Stundenwoche mittels Generalkollektivvertrag zu drängen.
AZV ist aus drei Gründen notwendig: Der erste betrifft die Beziehung Mensch - Arbeitsplatz: Radikale Rationalisierungsprogramme bedeuten im wesentlichen mehr Arbeit in weniger Zeit. Betriebe werden in viele kleine Einheiten zerteilt, die alle für sich ihre Rentabilität beweisen müssen. Jede Arbeitsgruppe in einem Betrieb, jede Filiale einer Handelskette usw. alle müssen ihr marktwirtschaftliches Plansoll erreichen. Der enorme Druck lastetet auf jedem/r einzelnen. Verstärkte Ausbeutung, Streß usw. sind die Folge. AZV brächte Zeit für die wichtigen Dinge des Lebens.
Das wichtigste Element ist wahrscheinlich die Schaffung neuer Jobs. Verschiedene Berechnungen zeigen, daß alleine die Einführung der 35-Stundenwoche 360.000 Arbeitsplätze schaffen würde. In erster Linie durch den gesteigerten Arbeitskräftebedarf in den Betrieben. Auch bewirkt die enorme Umverteilung von Profiten zu Löhnen ein Ansteigen der Nachfrage an Konsumgütern.
Drittens bedeuten erhöhte Einnahmen durch Lohnsteuer und Sozialversicherungsabgaben und gleichzeitig weniger Ausgaben bei der Sozialversicherung, daß mehr öffentliche Gelder für den Ausbau von öffentlicher Infrastruktur vorhanden sind. AZV wäre also eine gewerkschaftliche Offensivstrategie.
Arbeitszeit verkürzen - wie?
Klar ist, daß die alte Forderung nach einer 35-Stundenwoche nicht ausreicht und die 30-Stundenwoche bzw. der 6-Stundentag längst akut wären. Daß diese Forderung nicht gerade dem „herrschenden Zeitgeist“ entspricht, ist klar. Wie notwendig sie ist, zeigt eine 1981 veröffentlichte Studie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, die feststellte, daß nur bei einer raschen Einführung der 35-Stundenwoche Beschäftigungseinbrüche durch die Einführungen neuer Technologien verhindert werden könnten. Legt man diese Aussage auf 1998 um, so muß man sagen: Der weitere technologische Fortschritt, die Privatisierungswelle, die Auswirkungen der sogenannten “Globalisierung“ sind nur mit einem internationalen Kampf für den 6-Stundentag beizukommen. Eine ArbeiterInnenbewegung die sich ernst nimmt, muß Konzepte auf den Tisch legen, die sich an den realen Notwendigkeiten und nicht am neoliberalen Zeitgeist orientieren. GPA-Vorsitzender Sallmutter hat sich jüngst für die Einführung einer 30-Stunden Woche ausgesprochen. Die Bemerkung des „zeitgeistigen” Standard dieser Vorstoß sei so notwendig wie ein Kropf, zeigt wie richtig Sallmutter mit diesem „Sager“ liegt. Allerdings spricht Sallmutter von der Möglichkeit die 30-Stundenwoche mit Arbeitszeitflexibilisierung zu kombinieren und die AZV teilweise ohne vollen Lohnausgleich einzuführen. Ein offenes Hintertürl für spätere Verhandlungen? Kurzarbeit und verschiede Flexibilisierungsmodelle zeigen aber, daß eine reine Verkürzung der Wochenarbeitszeit nur die Arbeit und damit die Belastung intensiviert. Aber selbst bei vollem Lohnausgleich wäre AZV bei gleichzeitiger Flexibilisierung der Arbeitszeit wenig beschäftigungswirksam. Wenn ein Unternehmer bei guter Auftragslage seine Leute 50 Stunden und mehr im Betrieb behalten kann, ohne Überstundenzuschläge zu zahlen, warum soll er dann neue Leute einstellen. Daher wäre die Forderung nach einem 6-Stunden Tag ohne “Wenn und Aber“ wesenlich zielführender. Nur in einigen Nischenbereichen wie z.B Sozialeinrichtung wo eine Verkürzung der Tagesarbeitszeit schwer möglich ist, müßte man AZV mit einem anderen Modell umsetzen. Auch die Senkung der Lebensarbeitszeit muß ein Ziel der Gewerkschaftsbewegung werden. Derzeit gehen viel zu viele Menschen krank in die Pension , eine Tendenz die durch den verstärkten Leistungsdruck noch zunehmen wird.
Die Rekordarbeitslosigkeit von 301.480 (ohne Dunkelziffer!) hat ein Nachdenken ausgelöst. In vielen Gewerkschaften wird diskutiert, Arbeitsloseninitativen wollen Kampagnen starten, und vieles mehr. Wir wollen in diese Bewegung offensive Strategien einbringen, wir müssen die Beschlüsse des ÖGB einfordern und ÖGB und GPA in ihre politische Pflicht nehmen. Es muß aber allen Beteiligten klar sein, daß die alte Forderung nach 35-Stundenwoche längst nicht mehr ausreicht, um die Probleme der heutigen Zeit zu lösen.