Fr 01.12.2000
Die Auseinadersetzung zwischen Reform oder Revolution hat bereits in den letzten beiden Jahrhunderten einen tiefen Graben in die ArbeiterInnenbewegung gerissen. Der Ausgangspunkt war die Integration vor allem der deutschen Sozialdemokratie gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den bürgerlichen Staat. Auf einmal präsentierte sich ihren Anführern ein Potential zu Veränderungen, das sie vorher nicht kannten. Allmählich setzte sich in einer Schicht der Partei der Gedanke nach einem evolutionären Weg zum Sozialismus fest. Schließlich sollte keine Revolution mehr die Menschen vom Joch der Ausbeutung befreien, sondern immer weiter fortschreitende Reformen.
Je stärker aber die Frage nach der Notwendigkeit einer Revolution in den Hintergrund gerückt wurde, desto mehr hat auch die Sozialdemokratie den Kampf um die Macht aufgegeben und sich in den bürgerlichen Staat integriert.
Wechselwirkung: Reform und Revolution
Der wesentlichste Punkt bei dieser Frage ist, dass es weder das Eine noch das Andere ohne dem Anderen gibt. Die größten und einschneidensten Reformen gab es zu revolutionären Zeitpunkten. Wenn heute an Reformen gedacht wird, denken die Meisten an die Kreisky-Ära. Nun im Vergleich zu den Reformen, die nach dem 1. Weltkrieg errungen werde konnten, verblassen Kreiskys 70er Jahre. Auf der anderen Seite gibt es auch keine Revolution ohne Reformen. Nachdem die Bolschewiki 1917 die Macht ergriffen hatten, gingen sie sofort an die Umsetzung ihrer zentralen Losungen „Land, Brot und Frieden“ – ein umfassendes Reformprojekt.
Der entscheidende Unterschied ist, dass sich auch durch unzählige Reformen am Grundcharakter des Gesellschaftssystems nichts ändern wird. Eine Folge davon ist, dass erreichte Reformen nicht in Stein gemeißelt sind. Sprich: der Kapitalismus holt sich in Zeiten, in denen die Profe infolge der Marktübersättigung sinken, das fehlende Kapital von der Bevölkerung zurück; durch Sparpakete oder die Rücknahme von Reformen. Wie weit das gelingt oder nicht, hängt jedoch nicht nur von Situation des Kapitalismus ab. Ein entscheidendes Element in dieser Auseinandersetzung ist die Stärke der ArbeiterInnenklasse. Je stärker sie organisiert ist, desto schwieriger wird es für Unternehmer und Politik an der „Reformschraube“ zu drehen.
Eckpfeiler des Kapititalismus
Der Hauptwiderspruch des Kapitalismus besteht darin, dass die gesellschaftliche Produktion durch das Proletariat der privaten Aneignung durch die Bourgeoisie unterworfen wird. Das bedeutet, dass einem(r) LohnarbeiterIn nur einen Teil seiner Arbeitszeit in Form seines Lohnes ausbezahlt wird. Die restliche Zeit erwirtschaftet er den „Mehrwert“ für den Arbeitgeber und erzeugt so den Profit. Im Kapitalismus benötigt jedoch der Arbeitgeber diesen Profit, um sich gegen die Konkurrenz am Markt behaupten zu können. Hier trifft man/frau auf das nächste Paradoxon im Kapitalismus: Bei steigender Organisation in der Produktion ergibt sich gleichzeitig eine steigende Chaos an den globalen Märkten. Je mehr/billiger also produziert wird, desto besser sind die Überlebenschancen für das einzelne Unternehmen.
Billiger als die Konkurrenz kann der Unternehmer aber nur dann werden, wenn er Produktionskosten einspart. Da bei Produktionsmittel (Rohstoffe, Maschinen) nur wenig eingespart werden kann, wird bei der Arbeitskraft der Rotstift angesetzt. Hier zeigt sich auf wessen Seite der Staat steht. Er vertritt die Interessen der herrschenden Klasse – der Bourgeoisie – z.B. mit Sozialabbau oder Maßnahmen zur „Sicherung des Wirtschaftsstandorts“.
Da sich mittlerweile auch schon der ÖGB dieser Logik verschrieben hat, die auch weder von SPÖ noch Grünen in Frage gestellt wird, hat sich der „Spargedanke“ in den Köpfen vieler Menschen verfestigt.
Planung vs. Chaos
Der Kapitalismus ist kein geplantes System. Die einzige Planung die stattfindet ist jene in den jeweiligen einzelnen Betrieben. Wirtschaftskrisen sind keine „Störungen“, sondern sind ein Grundelement. Innerhalb der Unternehmer gibt es auch unterschiedliche Ansätze zur Bekämpfung von Krisen. Die Palette reicht von staatlichen Subventionen bis zu Kürzungen im Sozialbereich. Um sein wahres Gesicht besser zu verstecken hat sich der Kapitalismus einige „Decknamen“ zugelegt. (Öko)soziale Martkwirtschaft, Globalisierung und jetzt New Economy oder die technisch, wissenschaftliche Revolution. Verschiedene Bezeichnungen für ein System, das dazu dient, die Interessen einer kleinen Minderheit gegenüber der Mehrheit durchzusetzen. Patentrechte auf Gene, Fusionen zwecks Ausschaltung kleinerer Mitstreiter, Parallelforschung z.B. im medizinischen Bereich sind nur einige dieser „humanen“ Auswirkungen des Kapitalismus.
Die fehlende Planung im sinnvollen Einsatz der vorhandenen Ressourcen (Nachhaltigkeit) bildet einen weiteren grundlegenden Widerspruch, der ökologische und soziale Probleme ungeahnter Dimensionen erzeugt.
Verstaatlichung oder Vergesellschaftung?
Von gewerkschaftlicher Seite wurde zur Bekämpfung von Reformen sehr oft die Forderung nach einer „Verstaatlichung“ erhoben. Nun gerade Österreich kann da auf eine jahrzehntelange Tradition zurückblicken. Es zeigte sich aber, dass ganz im Sinne Otto Bauers, der SP-Theoretiker der Zwischenkriegszeit, der Staat der schlechteste Wirtschafter sei. Denn die Verstaatlichte ist eigentlich nie aus den roten Zahlen herausgekommen. Nur dafür gab es gute Gründe. Nicht die hohen Löhne oder der hohe gewerkschaftliche Organisationsgrad tragen hierbei die Schuld. Nein, es war vielmehr die Tatsache, dass die Verstaatlichte eine wesentliche Rolle beim Wiederaufbau der österreichischen Wirtschaft nach 1945 spielte. Nämlich als Billiglieferant für die Privatwirtschaft für Grundstoffprodukte.
Verstaatlichung alleine sagt auch noch nichts über Mitbestimmung und innerbetrieblichen Demokratie aus. Im Gegensatz dazu steht unsere Forderung nach einer sozialistischen Vergesellschaftung. Das bedeutet, dass die Schlüsselindustrien und hier die Produktion, Planung und Verwaltung unter der demokratischen Kontrolle der ArbeiterInnenklasse stehen.
Demokratischer Kapitalismus?
Der Kapitalismus selbst ist alles andere als demokratisch. Zwar dürfen die ArbeiterInnen in einigen wenigen Ländern (nämlich in jener Minderheit, in der es eine „funktionierende bürgerliche Demokratie“ gibt) wählen, doch Entscheidungen werden woanders gefällt. Parteien brechen ständig Wahlversprechen und Regierungen und Parlamente hängen in ihren Entscheidungen von jenen Interessen und Beschlüssen ab, die schon längst in den Chefetagen der Kapitalisten gefällt worden sind. Und falls sich diese nicht daran halten, kann es schon vorkommen, dass die demokratischen Experimente durch Diktaturen ersetzt werden.
Wie wird Geschichte gemacht
Diese beiden Begriffe „Idealismus & Materialismus“ haben nichts mit denen im normalen Sprachgebrauch verwendeten zu tun. Diese Frage richtet sich vielmehr nach der „philosophischen“ Weltanschauung und der Kernfrage „wie kommt es zu gesellschaftlichen Veränderungen?“. In der Lehrmeinung wird sehr oft das Bild vermittelt, dass große Persönlichkeiten Geschichte schreiben. Mehr oder weniger losgelöst vom Rest der Welt, entwerfen sie ihre Gedanken und Weltbilder und warten auf die Umsetzung.
Im Gegensatz dazu steht die marxistische Auffassung des Materialismus. So lautet der erste Satz im „Manifest der kommunistischen Partei“ von Marx und Engels auch „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaften, ist die Geschichte von Klassenkämpfen“.
Das bedingt, dass die einander bekämpfenden Klassen der Gesellschaft immer Erzeugnisse der ökonomischen Verhältnisse ihrer Epoche sind. Diese ökonomischen Struktur bildet also die Grundlage für den rechtlichen, politischen, religiösen und philosophischen „Überbau“, letztendlich also auch für die bürgerlich-idealistische Geschichtsauffassung.
Gesellschaftliche Veränderungen gibt es also nicht weil einige kluge Männer das so wollen, sondern weil die Gesellschaft dafür reif ist, weil die ökonomischen, sozialen und gesellschaftlichen Strukturen überholt sind und sie auch real erkämpft werden.
Nicht reformierbar
Um für der Menschheit eine Zukunft zu gewährleisten kommt es also auf das „was“ (Planung) und das „wie“ (Einsatz der Arbeitskraft) in der Produktion sowie auf den Austausch und die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums an. Das dies im Kapitalismus nicht möglich ist, hat er in den letzten 200 Jahren zur Genüge bewiesen. Alle Versuche, dieses System zu reformieren und menschlicher zu machen sind, abgesehen von der Tatsache das nur ein Bruchteil der Menschheit diese Versuche überhaupt erleben „durfte“, letztlich gescheitert.
Wenn sich ein System aber als nicht reformierbar herausstellt, zeigt sich, daß der einzig Weg für dauerhafte und grundlegende gesellschaftliche Änderungen nur über die Revolution der bestehenden ökonomischen und somit auch der politischen Verhältnisse, über den Sturz des Kapitalismus gehen kann. Der Kampf für Refomen steht für RevolutionärInnen aber nicht im Widerspruch zum Kampf für Revolution, sondern muß als ein Element bei der Bewußtseinsbildung gesehen werden. Der Kampf um Reformen offenbart der ArbeiterInnenklasse erst die Widersprüche des Kapitalismus und die Notwendigkeit für die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft.