Sa 01.06.2002
Der Mord an dem rechten Politiker Pim Fortuyn beförderte viele Menschen in Holland für Wochen in einer Art Schockzustand. In Rotterdam standen zehntausende stundenlang Schlange, um sich in das Kondolenzbuch einzutragen. Der Platz vor Fortuyns Haus, der Tatort und später Fortuyns Grab wurden mit Blumen, Abschiedsbriefen und niederländischen Flaggen überhäuft. In vielen Städten wurden Trauermärsche abgehalten - mit einer sehr rechten Atmosphäre. Es gab Transparante mit “Melkert [PvdA], Mörder”, “Weg mit den extrem-linken Grünen” und “Roter Faschismus ist auch Faschismus”.
Die Motivation des Mörders ist zwar nicht bekannt, sein politischer Hintergrund (Umwelt- und Tierrechtsaktivist) aber reicht, um “die Linke” in einer hysterischen Kampagne kollektiv verantwortlich zu machen. Die Frontfiguren von PvdA (Sozialdemokratie) und GroenLinks (Grüne) wurden für Fortuyns Tod verantwortlich gemacht. Direkt, in politischen Debatten und Interviews und anonym, in Morddrohungen. Ihnen wird vorgeworfen, ein Klima geschaffen zu haben, das diesen Mord möglich machte. Dadurch, dass sie ihn “eine Gefahr für das Land” genannt haben, sollen sie Fortuyn “dämonisiert” haben. “Die Kugel kam von links”, ein Ausspruch des neuen Listenersten der “Liste Pim Fortuyn” in einem Zeitungsinterview, fasst die vorherrschende Hetze zusammen.
Letzte Ehre an der Wahlurne
Die “Liste Pim Fortuyn” war der absolute Wahlsieger bei den Parlamentswahlen 9 Tage nach dem Mord. Mit 17% der Stimmen - von 0 auf 26 (von 150) Parlamentssitzen - wurde sie zweitgrößte Partei. Eine noch nie dagewesene Leistung für eine neue Gruppierung, noch dazu eine, die sich erst drei monate vor den Wahlen formiert hatte. Zweite Gewinnerin ist die CDA (Christdemokraten).
Sie ist - nach 8 Jahren Opposition - wieder zurück im Zentrum der Macht. Bemerkenswerterweise, denn die CDA war in den meisten Punkten mit der “violetten” Regierung (PvdA) einer Meinung. Aber auch die Linke hatte eine Gewinnerin: Die Sozialistische Partei konnte sich von 5 auf 9 Sitze verbessern Die WählerInnen haben den bisherigen Regierungsparteien einen deutlichen Denkzettel verpaßt: PvdA, die 8 Jahre den Premierminister gestellt hatte, und D66 (“links-liberal”), wurden jeweils halbiert, die VVD (rechts-liberal) verlor “nur” ein gutes Drittel ihrer Sitze. Das war das schlechteste Ergebnis jemals für die Sozialdemokratie, die VVD erwartete Ende 2001 noch, nach den Wahlen die größte Partei zu sein.
“Der Scherbenhaufen”
Der Erfolg des rechten Hetzers Fortuyn mutet außergewöhnlich an, da es auf den ersten Blick wirtschaftlich so gut geht in Holland. Aber der Schein von der Wohlfahrt der Niederlande trügt. Trotz des starken Wirtschaftswachstums der 90er Jahre hat die Armut in den Niederlanden zugenommen, der Abstand zwischen arm und reich ist größer geworden. Kriminalität hat zugenommen. Der öffentlich Sektor (Bildung, Gesundheit, Soziales) wurde Jahre lang ausgeblutet, die Folgen der Unterfinanzierung sind jetzt deutlich zu spüren: Wartelisten für - auch lebensnotwendige - Operationen, ein massiver Mangel an LehrerInnen (manche Schulen mußten von einer 5- auf eine 4-Tage Woche umsteigen), katastrophale Zustände im öffentlichen Verkehr sind nur einige Beispiele. Diese Probleme haben das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik im allgemeinen nicht vergrößert.
Inszenierung und Rassismus
Fortuyn setzte mit seiner medialen Inszenierung auch auf eine rassistische Polarisierung der Gesellschaft. Der Islam sei eine “zurückgebliebene Kultur”, kein moslemischer Immigrant solle mehr ins Land gelassen werden, “die Niederlande sind voll”. Auch die Anzahl der Flüchtlinge solle auf ein absolutes Minimum zurückgeschraubt werden. Außerdem beschäftigte er sich ausführlich mit dem “Versagen” der Regierung in der Sicherheitspolitik. Die Politik des “Duldens” - die “maximum tolerance” - führe, so Fortuyn, zu Gesetzlosigkeit und Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, zu Katastrophen wie die Explosion in der Feuerwerksfabrik Enschede. Fortuyns Lösungen lagen nicht in zusätzlichen Investitionen in den öffentlichen Sektor: “Keinen Cent extra für das Gesundheitswesen” verkündete er etwa. Das Wahlergebnis zeigt deutlich, dass die Menschen eine Veränderung wollen. Aber es ist mehr ein Abwählen des Bisherigen als eine Wahl von etwa Neuem. Die 3 Gewinner stehen für relativ unterschiedliche Dinge: CDA war in den meisten Punkten mit der “violetten” Regierung einer Meinung, die SP steht für eine aktive linke Politik, und die restliche Liste PF ist nur neu, genaues weiß man/frau nicht.
Das Vermächtnis: Rechte neoliberale Politik
Langsam wird deutlich, was das alles konkret bedeutet. Die kommende Regierung von CDA, VVD und LPF steht deutlich rechts. Die Koalitionsgespräche sind noch nicht aus, eine Reihe von Plänen sind allerdings schon bekannt. Die Parteien sind sich darüber einig, eine einkommensunabhängige Krankenversicherungsprämie einzuführen, wahrscheinlich sogar kombiniert mit zusätzlichen Selbstbehalten pro Arztbesuch. Außerdem werden die Anspruchsvoraussetzungen für Beihilfen für verminderte Arbeitsfähigkeit stark verschärft. Geplant ist auch eine allgemeine Ausweispflicht, über die Einrichtung eines niederländischen FBI wird gesprochen. Die AusländerInnengesetzgebung soll “streng” werden, offensichtlich noch strenger als sie bereits ist. Umweltschutzmaßnahmen sind kein Thema mehr. Das AKW Borssele, welches 2004 abgeschaltet werden sollte, soll nun zumindest bis 2007 noch weiterlaufen. Als Höhepunkt des Programmes ist wegen der drohenden Rezession geplant, ca. 10 Milliarden Euro einzusparen. Ziel: 1%-Budgetüberschuß. Widerstand ist angesagt!