Fr 24.06.2005
Erhöhte Produktivität in den einzelnen Branchen durch den Einsatz modernerer Maschinen und rationellerer Arbeitsabläufe ermöglicht es, in kürzerer Zeit immer mehr zu produzieren. Diese an sich positive Entwicklung – die Produkte müssten billiger oder die notwendige Arbeitszeit kürzer werden – verkehrt sich in unserem profitorientierten Wirtschaftssystem jedoch ins Gegenteil: es gibt zu wenig Kaufkraft, um alle Produkte absetzen zu können. So entstehen Überkapazitäten, die Investitionen stocken und die Arbeitslosigkeit steigt massiv – in Österreich, in der EU sowie rund um den Globus. Es gibt bereits Regionen wo jede/r Vierte (manchmal sind es sogar mehr!) ohne Beschäftigung ist. Dieses Heer an Arbeitslosen ist den Herrschenden durchaus recht. Wer wird bereit sein, Löhne und Arbeitsbedingungen zu verteidigen, wenn es heißt: „Wem es nicht passt, kann gehen. Es stehen genug andere vor der Tür!” So erhöht sich der Druck auf die noch in Beschäftigung Stehenden. Zunehmender Stress am Arbeitsplatz und Angst, diesen nicht zu verlieren, schaffen gesundheitliche und psychische Probleme.
Regierung ohne Konzept – Gewerkschaftsspitze ohne echte Alternativen
Just am 1. Mai, dem internationalen Kampftag der ArbeiterInnenbewegung (!), setzte sich die ÖGB-Spitze mit Vertretern der Wirtschaft und der Regierung zu einem sogenannten „Beschäftigungsgipfel” zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zusammen. Das Ergebnis: Eine Milliarde - aufgeteilt auf die nächsten sechs Jahre - für die Forschung und 300 Millionen für den Ausbau der Infrastruktur sollen locker gemacht werden. Die Regierung Schüssel zeigt damit klar, daß ihr an der Beseitigung der Rekordarbeitslosigkeit - sie hat heuer mit offiziell 360.000 den höchsten Stand seit dem 2. Weltkrieg erreicht - absolut nichts liegt. Mit diesen Maßnahmen (richtiger: Absichtserklärungen, denn über die Finanzierung und damit Realisierung wird noch heftig gestritten) sollen mehr als eine halbe Million Arbeitsplätze geschaffen werden? Wir glauben das nicht. Schließlich gibt es noch an die 300.000, die in keiner Statistik aufscheinen, aber Arbeit brauchen: Arbeitssuchende in Schulungsmaßnahmen, jobwillige Hausfrauen, SchulabgängerInnen, etc.. Der ÖGB fordert stattdessen Erhöhung der Massenkaufkraft und Notwendigkeit eines öffentliches Investitionsprogramms. Zu bescheidene Ansätze, denn angesichts der Dimension der Rekordarbeitslosigkeit mehr als ungenügend. Vor allem aber sparen diese Konzepte eine wichtige Komponente aus: Wie sollen Forderungen gegen den Willen der Wirtschaft kampflos umgesetzt werden?
Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn
In Wirklichkeit kann nur eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit die Arbeitslosigkeit wirksam bekämpfen. Die Produktivitätssteigerungen der letzten Jahrzehnte können nur so aufgefangen werden. Wir fordern daher die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn und vollem Personalausgleich. Das bedeutet, dass unter Kontrolle der Arbeitenden - Gewerkschaften und gewählte Betriebskomitees - entsprechend der Verkürzung der Arbeitszeit neues Personal eingesetzt werden muss. Auf diese Weise lässt sich verhindern, dass die Reduzierung der Arbeitsstunden durch eine Erhöhung der Arbeitsintensität ausgeglichen wird. Die Verkürzung der Arbeitszeit darf auch zu keiner Reduktion des Lohnes führen. Diese “Vorleistung” wurde uns bereits durch die ständigen Belastungen der letzten Jahre aufgezwungen. Wegen niedriger Lohnabschlüsse – um „die Wirtschaft” wieder anzukurbeln, wie die Gewerkschaftsbürokratie nicht müde wurde, uns einzureden – und mehrerer Belastungspakete kam es zu einem immer größeren Auseinanderklaffen zwischen Lohneinkommen und Einkommen aus Vermögen. Laut Sozialbericht 2003/2004 leben schon heute allein in Österreich 235.000 Menschen, bei denen der Verdienst trotz Erwerbsarbeit nicht reicht, um die eigene Existenz und die der Kinder zu sichern!
Widerstand gegen die Flexibilisierung
Eine Verkürzung der Arbeitszeit der Vollarbeitsplätze wird allerdings zu wenig sein. Zwei Drittel aller Beschäftigten leisten Überstunden, mehr als 300.000 arbeiten regelmäßig zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr, fast eine halbe Million leistet Schichtarbeit oder Turnusdienst, über eine halbe Million (meist Frauen) arbeiten Teilzeit und es gibt über 200.000 geringfügig Beschäftigte, vorwiegend Frauen, schreibt „Arbeit und Wirtschaft”, eine Zeitschrift, die von Arbeiterkammer und ÖGB herausgegeben wird. Auch hier müssen die Rahmenbedingungen durch eine Verkürzung der Normalarbeitszeit auf täglich sechs Stunden verbessert werden. Abweichungen dieser Norm können nur im Einvernehmen mit den Beschäftigten festgelegt werden - etwa Montagearbeiter oder Pendler, die einen langen Anfahrtsweg in die Arbeit haben, werden einen Arbeitstag von 8, 10 oder 12 Stunden vorziehen und dafür weniger Tage pro Woche arbeiten wollen. Für Teilzeitbeschäftigte und geringfügig Beschäftigte muss der Grundsatz gelten, Überstundenzuschläge gibt es ab der ersten Stunde, die über die vereinbarte Zeit pro Tag gearbeitet wird. Damit wird der Anreiz unterlaufen, Vollarbeitsplätze durch mehrere – billigere – Teilzeitkräfte zu ersetzen, die im Bedarfsfall wie Vollarbeitende eingesetzt werden können (da derzeit Zuschläge erst ab der neunten Arbeitsstunde fällig werden). Sonntagsarbeit, Nachtarbeit, Überstunden müssen mit entsprechend hohen Zuschlägen versehen werden. Damit soll erreicht werden, daß diese Arbeiten für die Unternehmen weniger interessant werden, andererseits aber dort, wo sie notwendig sind, die erhöhte Belastung auch entsprechend abgegolten wird.
Das Kräfteverhältnis ist entscheidend
Sind diese Forderungen illusionär? Wenn wir darauf vertrauen, dass wir uns mit einem Veit Sorger an einen Tisch setzen, der in seinem Interesse und dem seiner Wirtschaftsfreunde unter Beifall der Regierung eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit, Entfall der Überstundenzuschläge und ähnliches proklamiert, werden unsere Forderungen unerfüllt bleiben. Überall, wo die Arbeitenden bereit sind zu kämpfen, gibt es zumindest Teilerfolge. Umgekehrt: Überall wo auf Klassenzusammenarbeit gesetzt wird, setzen sich mit Garantie die Wirtschaftsbosse durch. Beispiele dafür gibt es allein im europäischen Raum genug: Die französischen und italienischen Gewerkschaften konnten mit Arbeitsniederlegungen erfolgreich die 35-Stunden-Woche verteidigen. Die französischen EisenbahnerInnen haben durch ausgedehnte Streikmaßnahmen die Zerschlagung der Eisenbahn und folgenden Personalabbau bislang erfolgreich verhindert. In Griechenland konnte ein Quasi-Generalstreik die Privatisierung bislang erfolgreich stoppen.
Arbeitszeitverkürzung historisch & international
Für die Herrschenden war immer eine Welt zusammengebrochen, wenn die Arbeiterbewegung eine Verkürzung der Arbeitszeit erkämpfte: in Europa im 19. Jahrhundert auf 9 - 10 Stunden und im 20. Jahrhundert auf 8 Stunden. Wenn die Wirtschaftsbosse und Kapitalbesitzer jedoch ihre Betriebe schließen, „weil die Arbeitskosten zu hoch sind”, sprich: ihre Profitrate zu gering wird, gibt es ein einfaches Mittel dagegen: Besetzung des Betriebes und Fortführung unter ArbeiterInnenkontrolle und -verwaltung. Auch dafür gibt es Beispiele: in Europa neben der russischen Revolution am Anfang des 20. Jahrhunderts, Betriebsbesetzungen in Italien in den 20er-Jahren, in Spanien und Frankreich in den 30-ern und schließlich 1968 in Italien und Frankreich – und heute in Venezuela.