Sa 01.04.2000
Die am 18. Jänner 2000 verstorbene Widerstandskämpferin Margarete Schütte-Lihotzky war nicht nur die größte Architektin Österreichs, sondern auch eine bedeutende Figur der Frauenbewegung und ist ein Symbol für den Umgang der 2. Republik mit dem Nationalsozialismus und seinen Opfern.
"Bevor sie einen Strich machen, gehen sie in die Arbeiterbezirke und schauen sie sich an, wie die Arbeiter wirklich leben!" dieser Satz ihres Lehrers, des Architekten Strnad, sollte zu einem Leitmotiv der Arbeit Margarete Schütte-Lihotzkys werden. Schütte-Lihotzky beendete 1920 ihr Studium an der Kunstgewerbeschule, da es Frauen damals untersagt war, an anderen Hochschulen Architektur zu studieren. Ihr Engagement in der Siedlerbewegung sensibilisierte sie für die Probleme der ArbeiterInnenschaft. 1926 wurde sie von Ernst May, dem damaligen Stadtrat für Bauwesen und Städtebau in Frankfurt nach Deutschland geholt, um an zahlreichen Siedlungsprojekten mitzuarbeiten. In Frankfurt strebte man nach einem höchstmöglichen Grad an Normierung und somit Rationalisierung, um für die wohnungslosen Massen bauen zu können.
Die Architektin suchte nach neuen Organisationsformen und bediente sich neuer Techniken - wie des Plattenbaus. Für sie stand immer die Funktionalität im Vordergrund, ihr unterwarf sie ihre architektonische Sprache. Es war keine Kunst zum Selbstzweck, die Schütte-Lihotzky schuf. Sie verfing sich bei ihren Entwürfen nicht in Metaphern für eine "bessere" Gesellschaft, sondern "beschränkte" sich darauf, sozial zu bauen. All ihren Entwürfen ist ein Ziel gemein: Die Entlastung der Frauen. Schütte-Lihotzky sah dabei zwei große Arbeitsgebiete, erstens die Vereinfachung der Haushaltsführung und weiters die Sorge für die Kinder. Einen Höhepunkt in ihrem Streben danach bildete die „Frankfurter Küche“, die erste Einbauküche. In ihrer Frankfurter Zeit entwarf sie auch eine Wohnung für die alleinstehende berufstätige Frau. Bei all ihren Modellen versuchte sie wissenschaftliche Zeit- und Bewegungsstudien möglichst gut in den realen Alltag zu übersetzen.
In den 30er Jahren plante Grete Schütte-Lihotzky soziale Einrichtungen in den Retortenstädten der Sowjetunion. Auch besuchte sie China und Japan, ehe sie nach Istanbul ging, um sich dort dem österreichischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus anzuschließen. Kurz nachdem Margarete Schütte-Lihotzky nach Österreich zurückgekehrt war, um im Untergrund tätig zu werden, wurde sie verhaftet und entging in der Folge nur knapp dem Todesurteil. Sie blieb bis zu Kriegsende inhaftiert. Die oft gestellte Frage, warum sie aus dem sicheren Ausland zurückgekehrt sei, empörte die Architektin bis zuletzt. Sie verstand ihren Entschluss, sich im Widerstand zu engagieren, als eine logische Konsequenz der Ereignisse.
Ihr Eintritt in die Kommunistische Partei im Jahre 1939 und ihr Einsatz im Widerstand bedeuteten eine Zäsur für ihre Arbeit als Architektin. Nach dem Krieg wurde der Architektin defacto ein Berufsverbot auferlegt. Es wurde zwar nicht ausgesprochen, äußerte sich aber durch ein Ausbleiben von Aufträgen der öffentlichen Hand. Das Verhalten der Gemeinde Wien der Künstlerin gegenüber ist exemplarisch für die Ausgrenzungs-politik der Sozialdemokratischen Partei gegenüber der KPÖ. Während der NS-Verbrecher Gross SPÖ-Mitglied und ein angesehener Gerichtsgutachter wurde, bekam Schütte-Lihotzky in der 2. Republik nur vier kommunale Aufträge. Es verwundert auch kaum, dass die zahlreichen von ihr projektierten Denkmäler für die Opfer des Nationalsozialismus nie gebaut wurden.
Nach dem Krieg engagierte sie sich im Bund Demokratischer Frauen Österreichs und war auch international in der Frauenbewegung tätig. Neben einigen wenigen Bauten in Wien, dem Globus Gebäude etwa, plante Lihotzky Kindergärten in der DDR und für das kubanische Erziehungsministerium. Während sie in ihrer Vaterstadt boykottiert wurde, brachte man ihr auf internationaler Ebene große Wertschätzung entgegen. Erst in Lihotzkys letzten Lebensjahrzehnten wurde die Widerstandskämpferin "rehabilitiert" und erfuhr endlich die ihr gebührenden Ehrungen. So erhielt sie zu ihrem hundertsten Geburtstag als erste Frau überhaupt die Ehrendoktorwürde der Technischen Universität Wien. Als ihr 1988 Kurt Waldheim das Ehrenzeichen der Republik für Wissenschaft und Kunst überreichen sollte, lehnte sie dieses aber mit dem Hinweis auf die NS-Vergangenheit des Bundespräsidenten ab. Späte Anerkennung widerfuhr ihr 1993 mit der Ausstellung "Margarete Schütte-Lihotzky. Soziale Architektur. Zeitzeugin eines Jahrhunderts."