Fr 16.10.2015
Laut UNHCR stammt die Hälfte aller Flüchtenden, die in EU-Ländern Asyl beantragen, aus Syrien, Afghanistan und Somalia. Alleine aus Syrien sind bereits 4,6 Millionen Menschen geflohen, wobei 95% in den Nachbarländern Zuflucht fanden. Weltweit betrachtet leben 90% der Fliehenden in sogenannten „Entwicklungsländern“. In Ländern wie dem Libanon oder Jordanien bedeutet das eine enorme zusätzliche finanzielle Last, auch weil dort unter der bereits ansässigen Bevölkerung hohe Armut herrscht. Diese Länder beherbergen mittlerweile so viele Menschen, dass die dortigen Lager völlig überfüllt sind. Die Versorgung kann nicht mehr sichergestellt werden und nur mehr 25-40 Flüchtlinge pro Tag werden aufgenommen. Die UN-Organisationen, unter anderem das Welternährungsprogramm (WFP), haben die Flüchtlingshilfe in Syriens Nachbarstaaten um mehr als die Hälfte gekürzt. Im Libanon leben mehr als 70 % der Flüchtlinge unter der Armutsgrenze. Daher bleibt vielen Flüchtenden nur der gefährliche Weg nach Europa.
Seit 2007 hat die EU den Fokus beim Thema Asylpolitik auf Grenzschutz gelegt. So wurden zwei Milliarden Euro investiert, um Zäune, Grenzpatrouillen und Hoch-Sicherheitstechnik zu errichten, anstatt Flüchtlingsunterkünfte auszubauen. Die Medien sprechen bei der jetzigen Flüchtlingskrise von einer „Herkulesaufgabe“ („Österreich“). Allerdings kamen während des Bosnienkrieges ca. 500 Menschen pro Tag nach Österreich. Heute sind es ca. 200 pro Tag, wobei mehr als 90% der Flüchtlinge weiter nach Deutschland oder Skandinavien ziehen.
Die Aufgabe des österreichischen Staates wäre somit, den Geflüchteten für wenige Tage eine menschenwürdige Unterbringung zu garantieren, doch selbst das scheint zu viel verlangt. Als Anfang September das Dublin-Abkommen für einen Tag außer Kraft gesetzt wurde, kam eine große Zahl an Flüchtenden, auch nach Österreich. An den Bahnhöfen übernahm zu einem Großteil die Bevölkerung die Hilfe, es wurden Sachspenden gesammelt, Geld gespendet und ganze Notunterkünfte an Bahnhöfen selbst organisiert. So wurde das Versagen bzw. zu späte Eingreifen des Staates abgefangen und die Erstversorgung sichergestellt.
Es ist unklar, wie es weitergehen wird: Immer noch passieren tausende Flüchtlinge die Grenzen. Merkel hat vorerst erklärt, dass allen syrischen Flüchtlingen, die nach Deutschland kämen, Asyl gewährt wird. Dies wird einerseits der deutschen Wirtschaft zugute kommen, die nach billigen Arbeitskräften schielt. Andererseits will Merkel sich nach dem harten Kurs gegenüber Griechenland nun als human präsentieren, um ihr Image als „EU-Diktatorin“ wieder abzuschütteln. Ungarn hat einen Grenzzaun errichtet, um Flüchtende am Weiterkommen zu hindern. Orbán gab Anordnung zu Schießbefehlen und Tränengaseinsätzen zur Sicherung der Grenzen.
Beides existiert nebeneinander: unmenschliche Grenzpolitik neben unglaublicher Solidarität seitens der Bevölkerung, Hetze neben vermehrten Angriffen auf Flüchtlinge und Asylheime. Die politische Polarisierung nimmt weiter zu. Die FPÖ versucht ganz bewusst, diese Polarisierung zu nutzen und Menschen mit ihrer rassistischen Propaganda zu spalten. Statistiken zeigen, dass mit den Stimmengewinnen der FPÖ auch die Hemmungen der Bevölkerung, rassistische Gewalttaten zu begehen, schwindet.
Die Flüchtlinge sind die Folge einer kapitalistischen Welt. Die Flüchtlingskrise wurde künstlich geschaffen. Solange das Flüchtlingsthema die Medien beherrscht, kann der katastrophale politische Normalbetrieb, der in Hypodesaster und Rekordarbeitslosigkeit gipfelt, unbemerkt weitergehen. Abseits der medialen Scheinwerfer bereiten Regierung und Unternehmen die Einführung des 12-Stundentages und die Abschaffung der Kollektivverträge vor. Zusätzlich ist die geschürte Panik vor Flüchtlingen eine perfekte Rechtfertigung für die Aufrüstung von Heer und Polizei. Und die Befugnisse, die sie morgen gegen Flüchtlinge einsetzen, werden sie übermorgen auf alle, die sich gegen Sozialabbau, Massenkündigungen und Arbeitslosigkeit wehren, anwenden. Ein Aufstehen für Flüchtlinge ist daher gerade auch für die ArbeiterInnenbewegung wichtig.