Fr 16.10.2015
Es ist genug Geld für alle da – doch ÖsterreicherInnen und Flüchtlinge müssen es gemeinsam erkämpfen.
Solange der Kapitalismus besteht, müssen Menschen vor seinen Auswirkungen fliehen
Seit dem späten Sommer dominiert das Flüchtlingsthema die Debatte. Auch die Wahlen in Wien und Oberösterreich wurden zu „Asyl-Wahlen“ gestempelt. Doch: „die Flüchtlinge“ haben keine Wahl entschieden. Vielmehr äußerte sich der Frust über Kürzungspolitik und Abgehobenheit in einer fatalen Logik. Einer Logik, die zwar von allen etablierten Parteien akzeptiert, aber nur von der FPÖ konsequent zu Ende formuliert wird: Es sei nicht genug für alle da, und jemand müsse am Ende ohne Job, Wohnung und Perspektive dastehen - entweder ÖsterreicherInnen oder Flüchtlinge bzw. MigrantInnen.
Doch „uns“ geht es nicht besser, wenn es Flüchtlingen schlechter geht. Auch vor der Ankunft der Flüchtlinge rückten Politik und Unternehmen kein Geld für Soziales und Jobs raus. Mieten, Preise und Arbeitslosigkeit stiegen schon vor dem Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges – und würden das auch ohne Flüchtlinge weiter tun. Der Wunsch vieler ÖsterreicherInnen, zu treten, ist gerechtfertigt. Doch nach unten – also auf Flüchtlinge und MigrantInnen – zu treten, löst kein einziges soziales Problem. Im Gegenteil: Die wahren Schuldigen an Armut und Arbeitslosigkeit kommen dadurch ungeschoren davon und nutzen die gespaltene Bevölkerung, um noch brutaleren Sozialabbau durchzuboxen. Nicht ohne Grund reiben sich viele Unternehmen bei der Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung der FPÖ die Hände.
Um aus diesem Teufelskreis auszubrechen, ist es nötig, das größere Bild zu sehen: die Flüchtlingskrise ist Ausdruck der immer schlimmer werdenden Krise der kapitalistischen Welt. Die Krise, die sich seit 2007 ihren Weg durch die verschiedensten Wirtschaftssektoren und Weltregionen bahnt – von der US-Immobilienblase über die Eurokrise bis zur Implosion der chinesischen Wirtschaft. Die Verteilungskämpfe zwischen den Machtblöcken werden härter und oft in Stellvertreterkriegen geführt. Die imperialistische Invasion in Afghanistan und Irak mit allen Auswirkungen, die Kriege im Nahen und Mittleren Osten sind ein grausamer Ausdruck davon. Die hoffnungsvollen revolutionären Bewegungen des „arabischen Frühlings“ wurden fehlgeleitet oder in Blut ertränkt. Übrig blieben von verschiedensten Seiten finanzierte Mörderbanden, die für die Profite verschiedener Kapitalfraktionen morden. Denn bereichern können sich durch diese Barbarei u.a. Waffenkonzerne, wie die österreichischen Waffenproduzenten Steyr und Glock, und Öl-Imperien, wie die österreichische OMV, die mit Regimes und lokalen Warlords lukrative Deals schließen. Die kapitalistische Profitlogik stürzt alle, bis auf die Elite die es sich richten kann, in einen Strudel aus Barbarei und Gewalt.
Die Flüchtlingskrise zu lösen bedeutet in letzter Konsequenz, die Hauptfluchtursache zu bekämpfen: das kapitalistische System. Dieser Anspruch ist weniger abstrakt, als er klingt. Es ist kein Wunder, dass immer mehr HelferInnen antikapitalistische Ansichten entwickeln. Wer Essen zum Wiener Hauptbahnhof bringt, wird sich spätestens beim Vorbeigehen am Interspar fragen, warum man selbst Essen dort hinbringen muss, wo ein Konzern Nahrung bunkert. Und wer am Bahnhof mithilft, wird die riesigen de facto leerstehenden Hotel- und Bürokomplexe neben dem Bahnhof sehen und sich fragen, warum Flüchtlinge und Obdachlose trotzdem in Notunterkünften oder auf der Straße schlafen müssen.
Die tausenden freiwilligen HelferInnen wurden und werden von Bund und Ländern im Stich gelassen. Es ist durch nichts zu rechtfertigen, dass selbst Einweghandschuhe und Brot von privaten SpenderInnen organisiert werden müssen, während Kapazitäten, die für Donauinselfest oder Citymarathon da sind, brach liegen. Zurecht platzt vielen HelferInnen der Kragen über die Arroganz und den Unwillen der Politik. Alleine die Stadt Wien gibt ein Vielfaches dessen, was sie nun widerwillig für Flüchtlinge zur Verfügung stellt, für Eigenwerbung aus.
Der erfolgreiche Kampf gegen die Fluchtursache Kapitalismus beginnt bei einer simplen Einsicht: Es ist genug für alle da. Das reichste 1% der österreichischen Bevölkerung besitzt rund 500 Milliarden Euro. Die reichsten 10% vermehren ihr Vermögen täglich um 80 Millionen Euro. Mit welchem Recht horten sie so ein unglaubliches Vermögen – welches übrigens wir alle tagtäglich erwirtschaften –, während es dringend Investitionen in Soziales und Jobs braucht? Warum sollen sich ÖsterreicherInnen mit Flüchtlingen um die paar Krümel streiten, die die Reichen uns hinwerfen? Es sind nicht die Flüchtlinge, die wir uns nicht leisten können, es sind die Reichen!
Mit einer echten Umverteilung von oben nach unten wäre mehr für alle da. Eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn wäre aus dem Vermögen der Superreichen finanzierbar – und würde hunderttausende Jobs schaffen. Ein Mindestlohn von 1.700€ für alle Beschäftigten, egal ob In- oder AusländerIn, muss her. Das würde die Pläne der Unternehmer durchkreuzen, Flüchtlinge als LohndrückerInnen zu missbrauchen. Ein solches Programm würde sichere und gute Jobs für alle, ÖsterreicherInnen und Flüchtlinge, garantieren – im Gegensatz zu einer Politik der Festung Österreich, die nur bedeutet, dass noch mehr Flüchtlinge sterben müssen, während hierzulande kein einziger Job deswegen geschaffen oder gesichert wird.
In Österreich stehen über hunderttausend Wohnungen aus Spekulationsgründen leer. Eine Enteignung dieser SpekulantInnen würde schlagartig Wohnraum für alle, die ihn benötigen, eröffnen. Darüber hinaus braucht es eine breit angelegte Wohnbauoffensive, die zehntausende neue, qualitativ hochwertige und günstige Gemeindewohnungen pro Jahr schafft, damit Wohnungsnot und Mietenwucher langfristig ein Ende haben. Das Geld war für Prestigeprojekte wie Skylink oder die EM-Stadien auch da, warum nicht für Wohnen?
Eine schonungslose Offenlegung der Finanzunterlagen aller Unternehmen, die Geschäfte in den betroffenen Regionen machen, würde zeigen, wer genau wieviel am Elend profitiert. Die Konzerne, die Milliardenprofite an den Zuständen verdienen, vor denen Millionen Menschen fliehen, müssen zur Kasse gezwungen werden, wenn es darum geht, diesen Menschen ihr Leben zurückzugeben oder ein neues zu ermöglichen.
Solche Maßnahmen erfordern einen radikalen Bruch mit der herrschenden Politik, die nur Kürzungsmaßnahmen, hohle Phrasen und Hetze kennt. Dringendst nötig ist der Aufbau einer Bewegung, die nicht nur den Staat in die Verantwortung zwingt, endlich die notwendigen Kapazitäten für die Soforthilfe zur Verfügung zu stellen, sondern darüber hinaus entlang der dargestellten Linien für ein besseres Leben für alle kämpft. Eine solche Bewegung wird mit frontaler Opposition aller etablierten Parteien konfrontiert sein – und wird deswegen ihren eigenen politischen Ausdruck in Form einer neuen, starken und bewegungsorientierten linken Partei finden müssen. Und diese Partei wird mit einem sozialistischen Programm bewaffnet sein müssen, um alle, die von Armut, Arbeits- und Perspektivlosigkeit betroffen sind, im Kampf für eine Gesellschaft zu vereinen, vor der niemand mehr fliehen muss.