Mo 01.12.2003
"Lula - der erste Präsident derer, die niemals an der Macht waren" lautete es auf einem Transparent, das am Tag nach der Wahl im Oktober 2002 berühmt wurde. In euphorischem Jubel wurde Lula als Speerspitze des linken Umschwungs, als erster wirklicher Vertreter des brasilianischen Volkes auf der gesamten Welt gefeiert. Heute weiß man: Die Erwartungen der ArbeiterInnenschaft, der Armen, Erwerbs- und Landlosen in Lula sollten der Realität nicht standhalten.
Lula entstammt kärglichen Verhältnissen, war Gewerkschaftsführer und später herausragender Repräsentant der "Arbeiterpartei" (PT). Konservative Blätter (wie die FAZ) sahen in ihm einen "Börsenschreck", der für "die Finanzmärkte den schlimmsten aller denkbaren Fälle darstellt" (8.10.02). Umgekehrt erblickten viele Linke, Globalisierungskritiker und Grüne in ihm einen langersehnten Hoffnungsträger. Lula versprach, Hunger und Armut zu bekämpfen und insgesamt für eine gerechtere Verteilung des Reichtums im Land zu sorgen. Angesichts von 44 Millionen Menschen, die in extremer Armut leben, dringend notwendig. Landlose Familien sollten Land erhalten, sanitäre Versorgung im ganzen Land sichergestellt werden, etc. Doch schon bei der Regierungsbildung wurden bürgerliche und sogar rechtsgerichtete Parteien integriert. Nun kürte die Frankfurter Allgemeine unlängst Lula zum "neuen Liebling der Börsen". Umgekehrt sinkt Lulas Ansehen stetig: Nur mehr 50% der ehemaligen Wähler würden ihn nochmals wählen.
PT-Regierung in Aktion
Nach 11 Monaten im Amt ziehen hohe Zinsen Spekulanten an, während die Reallöhne sinken. Die Wirtschaft soll um weniger als 1% wachsen, die Arbeitslosigkeit ist schon um über 800 000 auf 13% gestiegen. Die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich, über 50% der Arbeitenden sind nicht registriert und haben keinerlei Rechte, 15% mehr als am Anfang des Jahres. Selbst ein Hauptpunkt des Wahlkampfes, das Anti-Hunger-Programm, kann nur minimale Erfolge verbuchen. Die Pensionsreform, die trotz breiter Streiks durch das Parlament gepeitscht wurde, verschlechtert zwar die Situation für Angestellte, ermöglicht aber Pensionsfonds dicke Profite.
Ohnmächtigkeit eines Schuldnerlandes
Brasilien ist abhängig von IWF-Krediten. Der Währungsfonds bezahlt aber nur, wenn seine Bedingungen - vor allem ein Budgetüberschuss von 3,75% pro Jahr - erfüllt werden. Zentraler Ansatzpunkt für Ausgabenkürzungen ist der öffentliche Sektor. Unterschrieben wurden die IWF-Bedingungen von allen (!) zur Auswahl stehenden Kandidaten. Der neoliberale Kurs der Regierung war also schon vor dem Ausgang der Wahlen in Stein gemeißelt. Waldemar Rossi, ein Führer der sozialen Bewegung, der früher mit Lula Streiks organisierte, meinte dazu: "Man könnte ihn genau genommen nicht einmal sozialdemokratisch nennen, sondern eher als einen ideologisch fragilen Typen einstufen." In einem Land, das derartig von IWF und Weltbank abhängig ist, stellt sich die Frage nach einer Systemalternative noch unmittelbarer. Nur wenn man gegen das herrschende System steht, ist man nicht gezwungen, sich mit ihm zu arrangieren und sich somit in Ketten legen zu lassen. Die Geschwindigkeit, mit der sich die PT selbst zu einem Instrument der herrschenden Klasse wandelt, ist erschreckend. Schon heute werden Kandidaten des linken Flügels der PT von der Parteispitze nicht zugelassen. Schon heute werden linke Abgeordnete der PT suspendiert oder ausgeschlossen. In der brasilianischen Linken und Teilen der PT wird über die Notwendigkeit einer neuen, linken Partei debattiert. Unsere Schwesterorganisation in Brasilien (SR, Socialismo Revolucionario) betont dabei vor allem, dass eine solche neue Kraft einen offenen Zugang für verschiedene Strömungen der Bewegung ermöglichen muss. Socialismo Revolucionario wird dabei ein sozialistisches Programm und die politischen Methoden des Marxismus einbringen.