Sa 08.09.2007
Kürzlich vertrat Sozialminister Buchinger in der Öffentlichkeit die Ansicht, er könne sich bei der kommenden Lohnrunde im Herbst 4 % KV-Erhöhung vorstellen und holte sich mit dieser Aussage prompt mediale Schelte. Hat Buchinger seine soziale Ader (wieder-)entdeckt?
Die Ausgangslage
Die neoliberale Politik der letzten zwei Jahrzehnte hat deutlich ihre Spuren hinterlassen. Der Druck auf die arbeitende Bevölkerung hat enorm zugenommen. Die Lohnquote, das ist der Anteil der Löhne und Gehälter am gesamten Volkseinkommen, fiel von 80 % 1976 auf 65,4 % in 2007. Im heurigen Jahr sind die Reallöhne im Schnitt um ganze 0,1 % gestiegen!
Die Arbeitslosenzahlen sind zwar heuer leicht rückläufig, doch war im Juni immer noch knapp eine Viertelmillion Menschen ohne Arbeit, wenn man die offiziell arbeitslos gemeldeten und die in Schulung befindlichen Personen zusammenzählt. Und bei den neu geschaffenen Stellen handelt es sich zum Großteil nicht um Vollzeitarbeitsplätze sondern um prekäre Beschäftigungsverhältnisse.
Außerdem steigt der Arbeitsdruck und auch die Angst um den Arbeitsplatz ständig. Dieser Dauerstress führt allzu oft zu psychischen Erkrankungen wie Schlaf- oder Ess-Störungen, Depressionen, Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes und generelle Unlust (Burn-Out-Syndrom) und zu familiären Problemen, in Extremfällen sogar zu beruflich motivierten Selbstmorden.
Gleichzeitig explodieren die Profite der Unternehmen. Bereits in den letzten Jahren, als der Wirtschaftsmotor noch nicht so brummte wie 2007, eilten die großen Industrieunternehmen und Banken von einem Rekordgewinn zum nächsten.
Es ist kein großartiges sozialistisches Bewusstsein nötig, um zu erkennen: auf der einen Seite sollen die Arbeitenden ständig Opfer bringen und den Gürtel enger schnallen, damit auf der anderen Seite die Herrschenden - die Wirtschaftskapitäne und ihre AktionärInnen - umso fettere Profite einstreifen können.
Das schafft große Unzufriedenheit unter den Betroffenen - und Angst beim Klassengegner, diese könnten die ihnen zugedachte Opferrolle über Bord werfen und bei der kommenden KV-Runde radikalere Forderungen stellen. Also muss wieder einmal die Sozialdemokratie für das Kapital die Kastanien aus dem Feuer holen.
Ein altes Rezept: Unmut aufgreifen – um ihn zu entschärfen
Den Unmut aufgreifen ("ich verstehe eure berechtigten Anliegen"), um ihn sofort abzuschwächen und zu kanalisieren ("die Wirtschaft", "das Gesamtwohl") - das ist im Kern die Motivation für Buchingers Ansage, er könne sich "4 % Lohnerhöhung vorstellen, um die Kaufkraft zu erhöhen". Offensichtlich wird Buchinger aufgrund seines unkonventionellen Auftretens in der SPÖ noch am ehesten zugetraut, die vorhandene Unzufriedenheit in den Betrieben kanalisieren zu können. Schließlich hat er die Rolle des wohlwollenden Kalmierers bereits bei den Studierendenprotesten mit seiner Bemerkung: "Ich verstehe Euch. Ich war auch einmal ein Revoluzzer. Aber heute bin ich reifer und sehe die Gesamtzusammenhänge." gespielt.
Der mediale Aufschrei ist lächerlich
Der einsetzende mediale Aufschrei der rechten Reichshälfte gehört mit zu diesem Spiel. Zum einen soll die Auseinandersetzung scheinbare Gegensätze zwischen Rot und Schwarz vortäuschen. Beide brauchen solche Scheinkämpfe von Zeit zu Zeit, um ihre jeweiligen Anhängeschaft bei der Stange zu halten. Zum anderen soll damit die 4-%-Forderung eine Radikalität bekommen, die sie in Wirklichkeit nicht hat.
Angesichts der mageren KV-Erhöhungen in den letzten Jahren erscheinen 4 % zwar auf den ersten Blick viel. Doch selbst nach der seinerzeitigen, keineswegs revolutionären Benya-Formel (Abgeltung der Inflation und der Prouktivitätssteigerung), nach der die Gewerkschaften in Österreich in den 60er, 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts ihre KV-Forderungen formuliert haben, wäre für die Beschäftigten in der Industrie eine KV-Forderung von 7 - 8 % durchaus nichts Außergewöhnliches (bei ca. 2 % Inflation und mehr als 5,5 % höherer Industrieproduktivität).
Das Potenzial des Buchinger-Vorstoßes jetzt nutzen!
Trotzdem könnte der Buchinger-Vorstoß nach hinten losgehen. Unter dem Druck der Beschäftigten in den Betrieben könnte die Gewerkschaftsbürokratie zu einer härteren Gangart gezwungen werden. Die WirtschaftskommentatorInnen stellen bei jeder sich bietenden Gelegenheit den wirtschaftlichen Aufschwung 2007 in den Mittelpunkt. Das schafft Begehrlichkeiten, sich nach den langen mageren Jahren "einen gerechten Anteil" an diesem Aufschwung zu holen. Schon im Vorjahr kam es in den größeren Betrieben - etwa der voest in Linz - zu Betriebsversammlungen, bei denen Streiks in den Raum gestellt wurden. Dann hat die Gewerkschaftsbürokratie aber doch klein beigegeben.
Folgendes Szenario wäre dieses Mal denkbar: Sozialminister Buchinger kann, wenn er bei den Beamten-KV-Verhandlungen als Arbeitgebervertreter den Gewerkschaftsvertretern gegenübersitzt, schwer unter seine eigene 4-%-Vorgabe gehen. Und einen kleinen Erfolg werden sich auch die Gewerkschaftsverhandler auf ihre Fahnen schreiben wollen. Das wären dann etwa 5 % Erhöhung bei den Beamtengehältern. Eine Latte, unter die die Metaller und die GPA-djp bei den Verhandlungen für die Industriebeschäftigten also kaum gehen können. Wenn das aber die Unternehmervertreter nicht akzeptieren wollen …