Mi 08.07.2020
Ich bin ausgebildete Sozialpädagogin und arbeite in einem Hort. Durch Corona haben wir nur extrem wenige Kinder in den Klassen, weil viele Eltern aus Angst ihre Kinder nicht in die Schule und Nachmittagsbetreuung schicken. Auf der einen Seite kann ich diese Angst verstehen, andererseits weiß ich als Pädagogin, dass Kinder auf den Kontakt mit anderen Kindern angewiesen sind und ihnen die monatelange Isolation, ohne die Möglichkeit mit Gleichaltrigen spielen zu können, in ihrer Entwicklung schadet.
Trotzdem verstehe ich die Sorgen der Eltern, die ihre Kinder zu Hause lassen: Zu viele Kinder auf engem Raum, es mangelt an Tests. Gerade in Bildungseinrichtungen muss regelmäßig getestet werden, um Ansteckungsherde zu verhindern. Schutzausrüstung für Mitarbeiter*innen gibt es auch keine und müsste eigentlich dringend bereitgestellt werden.
Hierbei werden einem außerdem die Mängel unseres neoliberalen Sparsystems bewusst: Normalerweise sind die Gruppen, die betreut werden müssen, viel zu groß, zu wenig Personal wird eingestellt. Doch wegen Corona kann ich zurzeit auf jedes einzelne Kind sehr gut eingehen. Dadurch, dass ich in meiner Gruppe Kinder mit Beeinträchtigungen habe, gibt es sogar eine zweite Pädagogin. Wir haben auch generell eine kleinere Gruppe, weil unsere Kinder auch mehr Unterstützung brauchen. Im Moment haben wir zu zweit maximal 7 Kinder, dadurch kann ich diese Kinder speziell fördern, mit ihnen spezielle Sprechübungen machen und anders auf sie eingehen. Gleichzeitig weiß ich aber auch, dass ich ab September wieder doppelt so viele Kinder haben werde. Dadurch wird es unmöglich sein, auf die Kinder individuell einzugehen. Dann ist von Sprachförderung keine Rede mehr, ich weiß nicht ein Mal mehr, ob ich dann noch jedes Kind bei der Hausübung unterstützen kann.
Die Forschung ist bei Kindern mit Beeinträchtigung sehr weit, es gibt Wahrnehmungsübungen, Sinnesübungen und Gleichgewichtsübungen. Um das durchführen zu können, braucht es aber deutlich mehr Personal: Gruppen mit 10 Kindern und 2 Pädagog*innen wären optimal, um zu gewährleisten, dass die spezielle Förderung stattfinden kann.
Leidtragende dieses Mangels sind hierbei die Kinder, deren Bedürfnisse nicht erfüllt werden können, aber auch die Pädagog*innen. Als Pädagogin habe ich den Anspruch, bestmöglich auf meine Kinder einzugehen und ihnen bei ihrer persönlichen Entwicklung zu helfen. Die Stressbelastung hierbei ist bei meiner normalen Gruppengröße enorm. Wenn ich die Kinder richtig fördern will, muss ich mich einer sehr hohen Arbeitsbelastung aussetzen. Die Burnoutrate in meinem Beruf ist enorm. Ich werde also vor die Wahl gestellt, mich auszubrennen und meine Kinder zu fördern oder die Kinder werden vernachlässigt.
In einem kapitalistischen System geht es nicht um die Bedürfnisse eines/r jeden einzelnen, es geht darum sogar in nicht profitorientierten Bereichen möglichst viel einzusparen, sei es bei Personal oder Lohn.
Es ist traurig, dass die aktuelle Situation schafft zu zeigen, was in dem Beruf eigentlich möglich ist; dass es eine Pandemie braucht, um endlich die Gruppengrößen zu haben, die eigentlich selbstverständlich sein sollten! Die längst nötige Ausfinanzierung des Sozial- und Gesundheitsbereichs, aber auch des Bildungswesen, ist nötig, um allen Kindern die Unterstützung und Förderung zukommen zu lassen, die sich brauchen, bei gleichzeitig ordentlichen Löhnen und Arbeitsbedingungen.