Mo 01.11.1999
Es ist ein offenes Geheimnis, dass dem ÖGB in den letzten Jahren die Mitglieder davonlaufen. Immer weniger ArbeitnehmerInnen sehen also einen Sinn darin, sich gewerkschaftlich zu organisieren oder anders ausgedrückt der „Solidargemeinschaft“ ÖGB anzugehören. Als Gegenrezept wird seit Jahren von Seiten des ÖGB alles und jeder „umstrukturiert“ und „modernisiert“ – am wirklichen Problem geht das aber vorbei.
In der gewerkschaftlichen Strategiediskussion wird zwischen zwei Formen des gewerkschaftlichen Agierens unterschieden: konfliktorisch und kooperativ. Das sagt aus, ob sich eine Gewerkschaft zur Durchsetzung ihrer Ziele mehr auf Kämpfe oder auf Verhandeln festlegt. Der ÖGB ist das beste Beispiel für eine „kooperativ“ orientierte Gewerkschaft, denn zu Kämpfen ließ es die Führung bis dato noch nie kommen. Seine Stärke bezieht der ÖGB nun daraus, dass er in Verhandlungen über die „Hegemonie“ der Beschäftigten verfügen kann. Das heißt, dass er für die andere Verhandlungsseite der Garant ist, dass es eben zu keinem Ausbruch von Arbeitskämpfen kommt.
Die Gangart wird verschärft!
Je mehr Mitglieder also der ÖGB hat, desto größer ist seine Hegemonie über die Beschäftigten und desto größer wird daher auch sein Einfluß und seine Rolle. Jetzt verliert er aber an Mitgliedern und so setzt sich diese Spirale in die andere Richtung fort. Das Resultat sehen wir in der tagtäglichen Politik: Unternehmer und Teile der Politik wollen künftig weniger „Rücksicht“ auf den ÖGB nehmen und kommen zunehmend in die stärkere Position. Frank Stronach verbietet Gewerkschaften in manchen Betrieben, die Industriellenvereinigung tretet/trat für eine Koalition mit der FPÖ ein, die Sozialpartnerschaft – ein Hauptnerv für den ÖGB – wird zunehmend in Frage gestellt, Geschäfte scheißen auf die Ladenöffnungszeiten und sperren auf, wann und wo sie wollen – diese Liste ließe sich noch weiter ausführen und soll zeigen, wie sich die Situation auch für die ÖGB-Spitze verändert hat.
Und wie reagieren sie darauf? Bestes Beispiel dafür ist der letzte Bundeskongreß vom 11. bis zum 15. Oktober, wo eine riesige „Show“ veranstaltet wurde. Tagelang wurde um Themen und Anträge diskutiert, obwohl die Funktionäre wissen, dass diese Anträge gleich nach dem Ende des Kongresses für die nächsten 4 Jahre zu den Akten gelegt werden. Mit Themen wie dem aktiven/passiven Wahlrecht für MigrantInnen oder einer etwaigen Arbeitszeitverkürzung wurde ein Scheingefecht nach dem anderen ausgetragen – als ob es nicht egal ist, das Ganze zum zehnten Mal „neu“ zu beschließen. Natürlich hatte der Kongreß auch die Aufgabe, den unteren Funktionären die Möglichkeit zu geben ihren Frust über „die da oben“ abzulassen – ändern wird sich aber freilich nichts. In diesem Sinn sollte eben das Bild einer staatstragenden Organisation vermittelt werden. Das Problem dabei ist nur: das zieht offenbar heute vor allem bei den jüngeren Beschäftigten nicht mehr. Um das festzustellen braucht es keinen Propheten und so wissen auch die Funktionäre über diese Entwicklung Bescheid.
Mehr Service – die Lösung?
Der Ausweg soll also sein, den ÖGB weiter zu öffnen und vor allem vermehrt Serviceleistungen anbieten. Es wird also ein Spagat versucht zwischen staatstragend und einer „Dienstleistungsorganisation“. Das heißt, du trittst dem ÖGB bei, zahlst brav deinen Mitgliedsbeitrag und erhältst auf der einen Seite die „jung-dynamischen“ Serviceleistungen und auf der anderen ermächtigst du den staatstragenden ÖGB, dich überall – Kollektivverträge oder andere Sozialpartnerabkommen – zu vertreten. Aktive Mitglieder oder eine Organisationsstruktur für „einfache“ Mitglieder braucht es dazu nicht mehr. Vor allem werden auch für jene, denen das eben nicht genügt und die „höhere“ Ansprüche an eine Gewerkschaft haben, von vornherein die Tür zugemacht. Auf lange Sicht kann diese Entwicklung bedeuten, dass sich vor allem radikalere Teile der Beschäftigten vom ÖGB abwenden und sich nicht mehr darin wiederfinden. Gerade für Linke und noch aktive GewerkschafterInnen wird es von großer Bedeutung sein, diese Entwicklungen des ÖGB weiter zu verfolgen, die „Modernisierungskampagne“ zu bekämpfen und für eine wirklich aktive Gewerkschaftspolitik einzutreten.