Mi 23.10.2019
Mehr als zehn Jahre ist der Beginn der Weltwirtschafts- und Finanzkrise nun schon her. Warnsignale für neue Rezessionen gibt es inzwischen wieder fast täglich. Hinzu kommt die Bedrohung durch die Klimakrise, welche in der Gesellschaft zu berechtigten existentiellen Ängsten führt. Kein Wunder, dass bei vielen Menschen Erinnerungen an die Jahre nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 wachwerden. Das waren Jahre, in denen in vielen Ländern faschistische Regime an die Macht kamen, nicht zuletzt in Österreich und Deutschland 1933. Dieser Prozess mündete in millionenfachen Massenmord und den 2. Weltkrieg.
Doch es war kein automatischer Prozess. Es hätte nicht so kommen müssen. Tatsächlich tragen falsche strategische und taktische Richtungsentscheidungen der Organisationen der Arbeiter*innenbewegung eine große Mitschuld an der Katastrophe der 1930er Jahre. Die Führungen der Kommunistischen Parteien sahen in der Sozialdemokratie, nicht den Nazis, den Hauptfeind. Die Führung der Sozialdemokratie hoffte vergeblich auf „demokratische“ Unterstützung aus dem bürgerlichen Lager. Aus diesen Fehlern muss man lernen, sonst droht deren Wiederholung.
Eine Lehre ist, dass man die Demokratie nicht rettet, indem man deren bürgerliche Form unkritisch verteidigt. Auch hilft es nicht, auf die Fortschrittlichkeit „liberaler“ bürgerlicher Kräfte zu hoffen. Die bürgerliche Demokratie geriet im Zuge der Weltwirtschaftskrise von 1929 ins Taumeln, weil das ihr zugrundeliegende Wirtschaftssystem von Privatbesitz und Wettbewerb nicht mehr funktionierte und arbeitenden Menschen keine Hoffnung mehr bieten konnte.
Es waren Faschist*innen, Nazis und andere reaktionäre Kräfte, die diesen Hoffnungsverlust für ihre reaktionären Zwecke nutzten. Sie konnten dies tun, weil sowohl sozialdemokratische Kräfte als auch die kommunistischen Parteien der Situation nur wenig mehr als wahlweise Phrasendrescherei oder eine unkritische Verteidigung des Status Quo entgegensetzen konnten. Am Ende stand in vielen Ländern die Vernichtung sowohl der bürgerlichen Demokratie, als auch die Beseitigung aller Gewerkschaften, Parteien und Vereine der Arbeiter*innenbewegung.
Heutige Entwicklungen erinnern an die Jahre nach 1929: Während linke und linksliberale Kräfte daran scheitern, den Kapitalismus zu reformieren, wächst die Gefahr von rechts. Als die schwarz-blaue Regierung über „Ibiza“ stolperte, feierten manche Linke dies als einen „Triumph“ fortschrittlicher Politik. Tatsächlich gibt es nichts daran zu feiern, dass schwarz-blau über eine Intrige gestolpert ist, die wahrscheinlich von konkurrierenden bürgerlichen Kräften vorbereitet und durchgeführt worden ist.
Diese Regierung hätte schon Monate früher beseitigt werden können. Über 100.000 Menschen demonstrierten gegen die Einführung des 12-Stundentags. Die Führung der Gewerkschaften redete damals von einem Aufstand gegen die Regierung – und tat dann nichts. Der 12-Stundentag ist heute Realität, arbeitende Menschen leiden darunter. Hier ist ein deutliches Echo der frühen 1930er Jahre zu spüren: Phrasendrescherei, gepaart mit Tatenlosigkeit, führt in die Niederlage.
Was gegen den 12-Stundentag getan werden kann, hat die SLP damals aufgeführt: Wählen wir Streikkomitees, die demokratisch durch die Belegschaften ihrer Betriebe legitimiert sind. Eine Betriebsrätekonferenz kann eine Eskalationsstrategie beschließen. Diese Strategie muss Betriebsversammlungen, Demonstrationen, Streiks und schließlich einen Generalstreik beinhalten.
Um eine solche Strategie in der Gewerkschaftsbewegung umzusetzen, braucht es eine politische Kraft, die in Betrieben und Nachbarschaften ausreichend verankert ist, um für diese Ideen zu werben. Eine solche politische Kraft würde vor Augen haben, dass die von ihr geforderte Eskalationsstrategie ein Instrument ist, um unter arbeitenden Menschen das Selbstvertrauen in die eigenen organisatorischen Fähigkeiten zu stärken – ohne ein solches Selbstvertrauen ist kein Kampf für eine sozialistische Welt möglich.
Nach der Niederlage der deutschen Arbeiter*innenbewegung gegen die Nazis zog der Revolutionär Leo Trotzki die Schlussfolgerung, dass die deutschen Arbeiter*innenparteien genau dieser Aufgabe nicht nachgekommen waren, was er an der verfehlten politischen Ausrichtung sowohl der Sozialdemokratie als auch der KPn festmachte. Er analysierte, dass beide Parteiführungen kein ernsthaftes Interesse am Kampf für eine sozialistische Gesellschaft hatten und deshalb scheiterten. Trotzkis Konsequenz: Eine solche Kraft - eine revolutionäre Partei - musste von Grund auf neu aufgebaut werden. Vor dieser Herausforderung stehen wir auch heute.