Fr 16.12.2016
Lange Zeit galt Österreich als Hafen politischer Stabilität. Dies ist nun vorbei.
Seit 2011 erhebt das OGM-Institut regelmäßig das Vertrauen in Politik und PolitikerInnen. Besonders hoch war es nie, doch 2016 brachte die bisher extremsten Werte: 82% trauen der Politik wenig bis gar nicht, den PolitikerInnen selbst trauen sogar 89% nicht. Politische Institutionen – die Regierung, die Opposition, das Parlament und die Parteien – haben durch die Bank negative Vertrauenswerte. Kein Wunder: während unser aller Leben immer schwieriger wird, während Preise, Mieten und Arbeitslosigkeit steigen, während die Wirtschaftskrise unsere Zukunftschancen ruiniert, erfreuen sie sich weiter ihrer Privilegien und liefern sich Scheingefechte. Wenn sie tatsächlich eine Reform zustande bringen, bringt sie uns nur noch mehr Verschlechterungen und Kürzungen. Die etablierten Parteien haben uns nichts zu bieten, sie sind Lakaien den Banken und Konzerne. Doch auch diese sind mit ihren politischen Marionetten unzufrieden. In der Wirtschaftskrise steigt die Nachfrage der KapitalistInnen nach konsequenterer Umsetzung ihrer Interessen: 12-Stundentag, radikaler Sozialabbau auf allen Ebenen und vieles mehr wird von Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer gefordert. Das bringt die etablierten Parteien unter Druck. Im Zwiespalt der Interessen zwischen Industriellen und der Bevölkerung wirken PolitikerInnen immer hilfloser. Denn eine komplette Umsetzung der Wünsche der Unternehmen wäre politischer Selbstmord.
Die Präsidentschaftskandidaten der Regierungsparteien erreichten jeweils nur ca. 12%. Der Niedergang der Großparteien hat tiefgreifende Folgen für die österreichische Politik. Die 2. Republik, wie wir sie kennen, als von SPÖ und ÖVP dominierter Proporzstaat, steht vor dem Ende. Österreich war nie ein besonders starker bürgerlicher Staat. Dazu fehlte die wirtschaftliche Stärke und eine machtvolle bürgerliche Klasse. Sowohl die 1. als auch die 2. Republik wurden auf Basis der Klassenkollaboration aufgebaut – die Führung der ArbeiterInnenbewegung half dem Bürgertum, einen Staat zu formen, der den Interessen des Kapitals entsprach und verzichtete auf einen konsequenten Kampf gegen die schwachen Herrschenden. Die 2. Republik wurde zum Verbände- und Parteienstaat, der von SPÖ und ÖVP co-gemanagt wurde. Sie verwuchsen immer mehr mit dem Staat. Proporz, Freunderlwirtschaft und Hawarapartie waren die Folgen. Als der Verfassungsgerichtshof die Wiederholung der Stichwahl aufgrund von Schlampereien bei der Wahlauszählung verordnete, legte er damit nur offen, was jahrzehntelang Normalität war. Die Krise der ehemaligen Großparteien zieht aufgrund ihrer engen Verwobenheit staatliche Institutionen mit in den Strudel. Die Farce um die Präsidentschaftswahl entstand auch deswegen, weil der Verfassungsgerichtshof die Notbremse ziehen wollte, um nicht noch mehr Misstrauen in die Politik aufkommen zu lassen. Das Wahlkartendebakel machte ihm einen Strich durch die Rechnung.
Die Krise der österreichischen bürgerlichen Demokratie führt dazu, dass sich ein immer größerer Teil der Bevölkerung völlig von ihr entfremdet und sich im steigenden Prozentsatz der NichtwählerInnen wiederfindet. Andererseits erlaubt die aktuelle Situation der FPÖ, sich als einzige Alternative zum verrotteten alten System zu präsentieren. Tatsächlich hat die FPÖ in der Vergangenheit immer dort, wo SPÖ und ÖVP sie etwas von der Macht mitnaschen ließen, sich genauso, wenn nicht noch gieriger und korrupter verhalten als die Großparteien. In Kärnten baute sie über jahrzehntelang korrupte Netzwerke auf. In der Blau-Schwarzen Regierung sickerte sie in Kammern und Institutionen ein. An der Macht erweist sie sich als die willigste Vollstreckerin der Interessen der kapitalistischen Eliten. Das zeigen ihre Angriffe auf die Mindestsicherung und ihre brutale Kürzungspolitik in Oberösterreich. Dass viele ihr das (noch!) durchgehen lassen, zeigt, wie unten durch die früheren Großparteien sind – und wie sehr eine linke Alternative fehlt.
Je unfähiger sich die „große Koalition“ erweist, die Forderungen der Herrschenden umzusetzen, desto mehr werden auch sie auf die FPÖ setzen. Die Mehrheit der Landesorganisationen der Industriellenvereinigung steht bereits hinter der FPÖ. SPÖ und ÖVP haben längst einen Anbiederungs-Wettlauf gestartet, wer mit der FPÖ als nächstes koaliert. Keine dieser Koalitionsmöglichkeiten wird eine politische Stabilisierung bringen – und schon gar keine Verbesserungen für die große Mehrheit der Bevölkerung. Vor uns steht eine Periode der Instabilität und der vertieften wirtschaftlichen und politischen Krise. Die etablierte Politik wird zwischen den Forderungen der Herrschenden und der Unzufriedenheit der Bevölkerung zerrieben. Das birgt zahlreiche Gefahren – aber auch Möglichkeiten. Noch nie war die Notwendigkeit einer echten, linken Alternative so offensichtlich wie heute: Eine neue ArbeiterInnenpartei, die aus der Wut über dieses System und den Kämpfen dagegen wächst. Eine Partei, die nicht im politischen Zirkus mitspielt, sondern gegen jede Kürzung auf der Straße, im Betrieb, im Gemeinderat und im Parlament kämpft. Eine Partei, die für echte, sozialistische, Demokratie in allen Lebensbereichen kämpft. Eine solche Partei können und müssen wir jetzt aufbauen.