Di 20.09.2016
Fast ein Jahr lang Wahlk(r)ampf, Wahlwiederholungen und -verschiebungen - das hat erhebliche Schäden für das etablierte politische System gebracht. Knappe Wahlergebnisse, schlampige BeisitzerInnen, auf Rache sinnende Fans, Wahlwiederholung, schadhafte Kuverts und nun neuerliche Verschiebung haben gezeigt, dass die herrschende bürgerliche Demokratie nicht einmal ihre grundlegenden Aufgaben erledigen kann: Wahlen auszurichten, damit wir uns zwischen KandidatInnen entscheiden können, die oft gar nicht so unterschiedlich sind.
Seit mehreren Monaten schon ist Österreich jetzt de facto ohne BundespräsidentIn. Dass die drei NationalratspräsidentInnen vorübergehend abwechselnd die Vertretung übernehmen fällt nicht wirklich auf. Überhaupt ist neben dem Gefühl der Genervtheit v.a. ein Gefühl immer stärker: Wozu brauchen wir eigentlich eineN Bundespräsidenten/in?
Das Amt des/der Bundespräsidenten/in ist an sich schon reaktionär. Es wurde nach dem Abflauen der österreichischen Revolution 1920 neu geschaffen. In der heutigen Form geht es zudem auf die Verfassungsreform 1929 zurück. Mit dieser wollten Bürgerliche und faschistische Heimwehren gezielt das Parlament bzw. die parlamentarische Linke schwächen. Das Amt hat weitreichende quasi-diktatorische Befugnisse: der/die Bundespräsident/in ist Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber/in des Bundesheers, kann den Nationalrat auflösen, die Bundesregierung entlassen und per Notverordnung regieren. Nur weil das bisher keiner getan hat, ändert das nichts daran: dieses Amt ist undemokratisch und gehört abgeschafft. Die Kompetenzen des Amtes sind ohnehin zu weitreichend, um von einer Person ausgeübt zu werden und sollten schleunigst zumindest ans Parlament übergeben werden.
Verständlich ist angesichts eines drohenden Kanzlers Strache die Hoffnung, ein Bundespräsident könne ein Gegengewicht zur Regierung darstellen oder wäre ein wichtiges demokratisches Korrektiv. Doch keiner der vergangenen Bundespräsidenten hat den Demokratieabbau, den Sozialabbau oder den Aufstieg des Rechtsextremismus auch nur gebremst. Und vergessen wir nicht, dass Bundespräsidenten bei ihren Auslandsbesuchen stets auch WirtschaftsvertreterInnen dabei hatten. Die Interessen heimischer ArbeiterInnen wurden dabei nicht vertreten, wohl aber jene der heimischen KapitalistInnen.
Wenn auf Hofers Plakaten steht „Macht braucht Kontrolle“, dann ist da etwas Wahres dran – wenn auch anders als der Elitenvertreter Hofer es wohl gerne hätte. Wir haben es mit PolitikerInnen auf allen Ebenen (Bezirksrat, Gemeinderat, Landtag, Parlament, PräsidentIn) zu tun, die im Wesentlichen viel abkassieren und dafür die Interessen von Banken und Konzernen umsetzen. Das muss kontrolliert oder noch besser abgeschafft werden. Aber nicht durch andere PolitikerInnen, die im wesentlichen dasselbe tun, aber halt ein anderes Parteibuch haben.
Damit PolitikerInnen überhaupt verstehen, wie ihre Maßnahmen wirken, müssen sie leben, wie normale Menschen auch. Von einem Durchschnittsgehalt, ohne Privilegien. Wenn sie etwas entscheiden, müssen sie dafür auch gerade stehen, müssen darüber Rechenschaft ablegen, und von uns allen kontrolliert werden. Schluss mit der Geheimnistuerei über die Einkommen und Vermögen der PolitikerInnen, während wir zu gläsernen BürgerInnen werden. Schluss mit Geheimverhandlungen hinter verschlossenen Türen. Längst ist es technisch möglich, dass alle Verhandlungen öffentlich mitverfolgt werden können. Schluss mit dem Betriebsgeheimnis, hinter dem Unternehmen ihre Profite verstecken und damit Steuern hinterziehen und Beschäftigten Lohn vorenthalten. Bewegungen von unten können Regierungen tatsächlich kontrollieren bzw. dafür sorgen, dass diese nicht Politik für die Reichen und Unternehmen, sondern für Jugendliche und ArbeiterInnen, für Frauen und Männer, für In- und AusländerInnen machen. Das zeigen die massiven TTIP-Proteste ebenso wie die Bewegung in Solidarität mit Flüchtlingen 2015, die beide die Regierung vor sich hertrieben – während der Bundespräsident sich auf salbungsvolle Worte beschränkte. Die beste Kontrolle für die PolitikerInnen ist eine aktive ArbeiterInnenbewegung. Kritische Gewerkschaften, die sich an den Interessen ihrer Mitglieder orientieren und nicht an denen „der Wirtschaft“.
Der 4. Dezember wird nicht über die Zukunft Österreichs entscheiden, sondern über das Tempo, mit dem die reaktionärsten Kräfte voran schreiten. Hofer ist eine unmittelbare Gefahr; Van der Bellen führt die aktuelle Politik des Establishments fort, die die FPÖ stärkt. Die beschränkten Mittel der aktuellen, bürgerlichen Demokratie sind zu verteidigen und zu nutzen. Gegen Hofer zu stimmen kann hierbei ein Schritt sein. Die Positionierung von Van der Bellen (Pro-EU, Pro-Obergrenze etc.) macht es allerdings für Linke immer schwerer ihn anzukreuzen; auch die SLP beobachtet den Wahlkampf weiter als Grundlage für unseren Wahlaufruf. Aber v.a. wird das Wählen gegen Hofer nicht ausreichen, um die Interessen der Arbeitenden und Arbeitslosen, der Armen und Alten, der Jugend, Frauen und MigrantInnen wirkungsvoll zu verteidigen. Wie austauschbar und unwichtig die diversen Funktionen dieser beschränkten Demokratie sind, zeigt sich am Nichtfehlen des fehlenden Bundespräsidenten. Auch daher gehört das Amt ersatzlos gestrichen.