Di 03.03.2015
Gibt es Gleichstellung in einer Klassengesellschaft? Die Ergebnisse von über 100 Jahren Frauenbewegung.
Kapitalismus baut auf Unterdrückung und Ausbeutung der Frau auf und ist ohne deren unbezahlte Arbeit in der Familie nicht denkbar. Das traditionelle bürgerliche Familienbild ist in seiner Wurzel eine kapitalistische Notwendigkeit. Einerseits wird dadurch ein großer Teil von gesellschaftlich notwendiger Arbeit (Kinderbetreuung, Versorgung und Pflege von Kranken und Alten, Haushalt etc.) privatisiert und unentgeltlich erledigt. Staat und Unternehmen brauchen keinen Beitrag zu leisten und können Arbeitskraft profitabler ausbeuten. Andererseits wird der Hälfte der Lohnabhängigen die Kampfkraft genommen, weil sie keine Möglichkeit haben, den Unternehmen ihre Arbeitskraft – das einzige, was sie haben – zu entziehen, sprich zu streiken. Die Abhängigkeit von jedem Job wird verdoppelt und KapitalistInnen sitzen auf einem noch längeren Ast als ohnehin schon.
Viele Frauenbewegte ignorieren diesen wirtschaftlichen Hintergrund und versuchen, innerhalb des Kapitalismus durch Reformen mehr Rechte für Frauen zu erreichen. Während in bürgerlichen Kreisen vor allem Wahlrecht und freier Zugang zu Bildung und anderen gesellschaftlichen Institutionen gefordert wurden, erkannten Sozialistinnen, dass die Befreiung der Frau nur durch ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit möglich ist. So wehrte sich etwa Clara Zetkin schon 1891 gegen die Vorstellung, dass die Gleichheit der Frau durch rein rechtliche Gleichstellung erreichbar sei, da die Ursache der Unterdrückung der Frau, wie jene der Unterdrückung der ArbeiterInnenklasse, nicht jeweils in nationalen Gesetzen zu suchen sei, sondern in den Eigentumsverhältnissen, die wiederum die (Re-)Produktionsverhältnisse hervorbringen. Sie führte aus, dass, auch wenn alle gesetzlichen Barrieren fallen würden, für den Großteil der Frauen die Unterdrückung in der wirtschaftlichen Abhängigkeit von ihren Ausbeutern bzw. Versorgern weiterbestehen würde.
Nicht alle KapitalistInnen, Bürgerlichen und ihre Parteien treten offen erkenntlich für ein traditionelles Familienbild ein. So bedeutet liberale Politik nicht nur Liberalisierung des Familienbildes (Patchwork- oder auch gleichgeschlechtliche Familie), sondern auch wirtschaftliche Privatisierung. Das heißt dann Kürzung und Streichung von Sozialleistungen und im öffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesen, verbunden mit dem Ruf nach „Karrierefrauen“, Frauenquoten im Management etc. Man gibt sich frauenfreundlich und modern, im Effekt ist es frauenfeindlich. Was im traditionellen Familienbild die Frauen unentgeltlich machten, wird in der „modernen“ Variante erneut privatisiert. Kinderbetreuung, Pflege etc. wurden zumindest teilweise von professionellen, staatlichen Einrichtungen übernommen. Das wird wieder zurückgenommen, hin zu privaten Unternehmen für die Wenigen, die es sich leisten können. Für die Massen, die sich die Privatangebote nicht leisten können, wird diese Arbeit wieder zunehmend unbezahlt von Frauen verrichtet. Frauen sind zum größeren Teil im Niedriglohnsektor beschäftigt, können sich private Kinderbetreuung nicht leisten; der Mangel an öffentlicher Kinderbetreuung zwingt sie in Teilzeitjobs oder Arbeitslosigkeit. Kürzung von öffentlichen sozialen Leistungen in den Bereichen Bildung, Wohnen, Gesundheit und deren Unleistbarkeit durch Privatisierung ist frauenfeindlich.
Der Hebel beim Kampf um Frauenbefreiung ist also nicht ein Match Frauen gegen Männer und auch nicht formale Gleichstellung, die ohne die sozialen und ökonomischen Voraussetzungen wirkungslos ist. Denn auch wenn zumindest in Westeuropa die rechtliche Situation von Frauen gleich ist wie die der Männer und es in verschiedensten Ländern Gesetze gibt, um gleiche Bezahlung zu gewährleisten, kann man nicht von einer Gleichheit der Geschlechter sprechen. So verdienen Frauen immer noch durchschnittlich ein Drittel weniger als ihre männlichen Kollegen und oft sind Frauen immer noch von ihren PartnerInnen finanziell abhängig. Formale Reformen sind ohne sozialistische Perspektive und Kampf gegen das kapitalistische System keine Frauenbefreiung. Gleichzeitig können ohne echte, soziale Gleichstellung von Frauen und ohne deren Teilnahme an sozialen Kämpfen diese nicht gewonnen werden. Genau das ist gemeint mit „Kein Sozialismus ohne Frauenbefreiung. Keine Frauenbefreiung ohne Sozialismus.“ Gesetze gegen Gewalt an Frauen helfen nichts, wenn Frauen bei gewalttätigen PartnerInnen bleiben müssen, weil sie sich alleine keine Wohnung leisten können.
Der Kampf um Frauenbefreiung ist alt. Viel wurde erreicht, alles erkämpft, nichts geschenkt. Immer war die ArbeiterInnenbewegung bzw. deren Stärke entscheidend. In kapitalistischen Krisen erfolgen Angriffe auf die ArbeiterInnenbewegung, deren Errungenschaften und damit auf Frauen. Es fehlt nicht am Geld, sondern an profitablen Investitionsmöglichkeiten, als Ersatz dienen privatisierte öffentliche Leistungen. Im Aufschwung werden Frauen (wie auch in Zeiten von Krieg und Wiederaufbau) als Arbeitskräfte gebraucht und Reformen werden zugestanden. Zeiten des Aufschwungs sind im Kapitalismus aber Ausnahmen. In wirtschaftlichen Krisenzeiten werden Reformen zurückgenommen, Frauenrechte abgebaut, Frauen aus dem Arbeitsleben gedrängt. Zu diesem Zweck erleben reaktionäre Frauenbilder eine Renaissance. Fehlende Perspektiven, miese Löhne und Arbeitsbedingungen lassen viele junge Frauen in die Scheinalternative „Hausfrau und Mutter“ flüchten, wie 2011 eine Umfrage im Auftrag des Familienministeriums ergab.
Gerade in der aktuellen Krise erleben wir Angriffe auf Frauen: Wenn in Krankenhäusern „kürzere Verweildauer“ angeordnet und die Bettenzahl reduziert wird, muss die Pflege zu Hause unentgeltlich von Frauen übernommen werden. Wenn im Öffentlichen Dienst Stellen abgebaut werden, öffnet sich die Lohnschere zwischen Männern und Frauen noch weiter, weil dies der Bereich mit der verhältnismäßig geringsten Lohnschere ist.
Die Fehler der Sozialdemokratie werden immer spürbarer: Durch Beschränkung auf Reformen innerhalb des Kapitalismus, fehlende sozialistische Perspektive und Ignorieren der sozialen Voraussetzungen werden Frauenrechte in der Krise wieder angegriffen. Beispiel: Die 40 Jahre alte Fristenlösung sieht nur eine Ausnahme von der Strafbarkeit einer Abtreibung vor. Die SPÖ hat es nicht einmal geschafft, das Frauenrecht auf Selbstbestimmung gänzlich aus dem Strafrecht zu befreien. Entscheidender ist aber: Es wurden keine Möglichkeiten für kostenlosen anonymem Schwangerschaftsabbruch geschaffen und es gibt noch immer keine kostenlosen Verhütungsmittel. Für viele Frauen ist eine Abtreibung eine massive finanzielle Belastung, während andere, die sich ein Kind wünschen, aus dem selben Grund keines bekommen. Ohne die sozialen Voraussetzung zu schaffen, gibt es also keine Selbstbestimmung.
Radikalität ist nicht Selbstzweck, sondern notwendig. Im Kapitalismus dauerhaft und effizient Frauenbefreiung zu erhoffen, ist Utopie. Wer realistisch für Frauenbefreiung kämpft, muss für eine demokratische sozialistische Gesellschaft kämpfen, in der Frauen von ihren Rechten Gebrauch machen können.