Sa 29.12.2012
Bis Herbst 2010 war alles klar: Die ÖVP drängte seit Jahren auf die Abschaffung der Wehrpflicht, doch die sei, schrieb Verteidigungsminister Darabos (SPÖ) im September, „in Stein gemeißelt“. Dann, kurz vor den Wiener Wahlen im Oktober, erinnerte sich Bürgermeister Häupl (SPÖ) an Kreisky – der hatte 1970 mit „Sechs Monate sind genug!“ eine Verkürzung der Wehrdienstzeit versprochen und die Wahlen gewonnen. Also forderte Häupl die „Abschaffung der Wehrpflicht“. Die Parteispitze zog brav mit.
Auf diesen Schwenk reagierte die ÖVP sofort und denkbar skurril. Anstatt bereitwillig aufzuspringen und ihre Forderung durchzusetzen, sagten die Bürgerlichen „sicher nicht“. Die Positionen schienen über Nacht vertauscht, und die gegenseitige Blockade war wiederhergestellt. Bis sich der NÖ Landeshauptmann in die Diskussion einschaltete: Er könne sich eine „Volksbefragung“ vorstellen, ließ Erwin Pröll (ÖVP) ausrichten. Und die Parteispitze zog brav mit.
Daraus lassen sich vorerst drei Schlüsse ziehen. Erstens wurde deutlich wie nie zuvor, wer in SPÖ und ÖVP wirklich das Sagen hat. Zweitens wurde klar, dass und wie die Werkzeuge der so genannten „direkten Demokratie“ für parteipolitische Zwecke missbraucht werden (VORWÄRTS 211, S.14). Drittens wurde ganz offensichtlich, dass es keiner der Koalitionsparteien „um die Sache“ oder gar „um die Menschen“ geht. Wäre dem so, hätten nicht beide Parteien einen 180°-Schwenk machen können. Klar ist aber auch: Beide wollen letztlich eine Aufrüstung. In Sachen Wehrpolitik misstraut die Bevölkerung mehrheitlich allen Parteien. Anfang November antworteten 50% der ÖsterreicherInnen auf die Frage „Welche Partei ist die kompetenteste, wenn es um das Bundesheer geht?“ mit „Keine“ (Karmasin Motivforschung in profil 45/2012).
Da stellt sich die Frage, ob Wehrpflichtdebatte und Volksbefragung einen tieferen Sinn (ver)bergen? Es ging der Regierung wohl auch darum, den Eindruck des „Stillstandes“ loszuwerden. Doch als reines Ablenkungsmanöver von diversen Skandalen und Korruptionsaffären taugt die Debatte bislang nicht. Aber durch die vom Bundesverfassungsgesetz bedingte Verknüpfung des Zivildienstes mit der Wehrpflicht wird schnell klar, dass es sich hier in Wirklichkeit nicht nur um verteidigungspolitische, sondern auch um soziale Fragen handelt. Nämlich darum, wie die staatlichen Ausgaben im Sozial-, Gesundheits- und Pflegebereich möglichst gering gehalten werden können. Mit dem „freiwilligen sozialen Jahr“ um rund 1.300 EUR brutto/Monat nach dem Modell von Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) würde weiterhin Lohn-Dumping auf der Tagesordnung stehen (ganz abgesehen davon, dass sich neue Repressionsmaßnahmen gegen Arbeitslose auftun würden). Bei Beibehaltung der Wehrpflicht müssten weiterhin Zwangsverpflichtete für ein Taschengeld den Betrieb aufrecht erhalten. Welches Modell das billigere ist, ist wichtiger Bestandteil jener Debatte, die unter dem Titel „Wehrpflicht oder Berufsheer“ geführt wird.
Denn egal, welches Ergebnis die Volksbefragung am 20. Jänner bringen wird – die Umstrukturierung des Heeres ist als „hidden agenda“ längst im Gange. Allein die Umrüstung einiger „Pandur“ –Radpanzer vom letzten Sommer macht deutlich, wohin die Reise geht: Neben Blaulicht, Folgetonhorn und Lautsprechern wurden sie mit Schwenkflügelgittern (2,5m x 7 m) ausgestattet, „um ein effizienteres Aufhalten und Ablenken von Demos unter höherem Schutz des eigenen Personals sicherzustellen“ (Der Standard, 13.7.12). Darüber freilich werden wir nicht befragt.