Fr 16.03.2012
Vor 20 Jahren zerbrachen die stalinistischen Staaten. Das unterbrach den kapitalistischen Niedergangsprozess, der seit den 1980er Jahren stattfindet, nur vorübergehend. Lange war der Kapitalismus von längeren Auf- und Abschwüngen geprägt. Daher gibt es viele Theorien über deren Ursachen, Herkunft und Bedeutung. Auf diese baut die Wirtschaftsforschung ihre Voraussagen (=Prognosen) auf.
In den letzten 20 Jahren verwischen sich aber die Auf- und Abschwungsphasen. Sie folgen dicht aufeinander und überlagen sich teilweise. Das ist anders als im Nachkriegsaufschwung. Politik und Wirtschaft versuchen mit milliardenschweren „Konjunkturprogrammen“ wieder einen längeren Aufschwung „anzustoßen“. Ohne Erfolg. Der Grund dafür steckt in den Entwicklungsgesetzen des Kapitalismus selbst. Karl Marx hat schon vor 150 Jahren nachgewiesen, dass im Kapitalismus immer mehr Kapital eingesetzt werden muss, um den gleichen Profit zu erzielen. Der Kapitalismus wird zunehmend unrentabel und so wird lieber mit dem Kapital spekuliert als produziert.
Weitsichtige Menschen weisen auf diese Entwicklung seit über 100 Jahren hin. Einer davon war der russische Revolutionär Lenin. Er hat schon 1917(!) nachgewiesen, dass sich der Kapitalismus nicht beliebig lange weiterentwickeln und ständig neu erfinden kann. Er bezeichnete diesen letzten Abschnitt der kapitalistischen Entwicklung als „Fäulnisphase“. Auch deswegen, weil sich die Gesellschaft nicht nur nicht weiterentwickeln kann, sondern durch Kriminalität, Gewalt und Verrohung zunehmend verfällt und schließlich verfault. Und das ist genau das, was wir gerade erleben. Deswegen sehen wir SozialistInnen auch die Notwendigkeit, den Kapitalismus durch eine sozialistische Wirtschaft und Gesellschaft zu ersetzen. Dann können nämlich die Vorteile des hohen Entwicklungsstands wieder genutzt werden. Die Wirtschaft orientiert sich dann nicht mehr an den Profiten, sondern an den Bedürfnissen der Menschen. Eine höhere Produktivität ist keine Schreckensnachricht mehr für den Arbeitsmarkt. Ganz im Gegenteil, es bedeutet, die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit senken zu können und das bei gleichem bzw. steigendem Lebensstandard!
Noch aber sind wir im Hier und Jetzt und die Menschen stehen riesigen Angriffen auf ihren Lebensstandard gegenüber. Sparpakete, Lohnkürzungen, Verschlechterungen bei den Arbeitsbedingungen und bei der Arbeitszeit, Ansteigen der Arbeitslosigkeit, Eingriffe des Staates in die Kollektivvertragspolitik, Antigewerkschaftsgesetze … stehen rund um den Globus auf der Tagesordnung. Auch in Österreich: Aufkündigung von Kollektivverträgen (AUA, Druckerei-ArbeiterInnen), Nulllohnrunden oder bestenfalls Abschlüsse unter der Inflationsrate (Beamte, BAGS), gesetzlicher Eingriff in den KV-Abschluss in OÖ usw., ein Sparpaket mit massiven Kürzungen im Gesundheitsbereich, im öffentlichen Dienst, bei den Pensionen…
In vielen Staaten wie Belgien, Großbritannien, Spanien oder Griechenland gibt es aber auch massiven Widerstand. In Tunesien und Ägypten waren Streiks ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die Diktatoren. In Österreich ist es dagegen noch vergleichsweise ruhig. Die Regierung präsentiert das größte Sparpaket und nicht der ÖGB, sondern die SLP alleine steht vor dem Tor des Bundeskanzleramts. Wo ist nur die Gewerkschaft, auf Urlaub? Und tatsächlich, so ist es. Die öffentlich Bediensteten sollen mit den PensionistInnen den Löwenanteil des Paketes stemmen. Kein Protest, keine Demonstration oder gar Streik durch die GÖD (=Gewerkschaft Öffentlicher Dienst). Der GÖD-Vorsitzende Neugebauer unterbricht nicht einmal seinen Urlaub. Er unterschreibt einfach und segnet die Vorhaben der Regierung ab! Das spiegelt den Zustand der österreichischen Gewerkschaftsbewegung wider.
Gerade in der Krise brauchen wir kämpferische und demokratische Gewerkschaften!
Parteien können ihren Charakter verändern. So sind z. B. die ehemaligen ArbeiterInnenparteien wie die SPÖ im Laufe der Zeit „verbürgerlicht“. Sie haben ihre Verbindung zur ArbeiterInnenbewegung gekappt. Noch vor 30 Jahren haben sich soziale Kämpfe in der SPÖ widergespiegelt und wesentlichen Einfluss auf ihre Politik gehabt. Heute ist die Verbindung Gewerkschaft-SPÖ eine einseitige. Die SPÖ benutzt die Gewerkschaft, um die Arbeitenden ruhig zu stellen. Umgekehrt funktioniert das nicht mehr. Ganz im Gegenteil. Soziale Auseinandersetzungen spielen sich in der Regel nicht nur ohne SPÖ, sondern sogar gegen sie ab.
Bei Gewerkschaften sieht das anders aus. Ihre Verbindung zu den arbeitenden Menschen ist lebensnotwendig. Ihre ureigenste Aufgabe ist es, für höhere Löhne zu kämpfen und die Arbeitenden zu einen. Karl Marx bezeichnete sie deswegen als „Preisfechterin für die Ware Arbeitskraft“. Sie können sich nicht in dem Maße von ihrer sozialen Basis, der ArbeiterInnenklasse, lösen, auch weil die Mitgliedschaft ihre finanzielle Basis darstellt. So bleiben Gewerkschaften auf den Druck durch die Arbeitenden empfindlich und können in diese und jene Richtung gedrängt werden. (Dass das nicht leicht geht, steht auf einem anderen Blatt )
Aktuell geraten die Fachgewerkschaften immer stärker unter Druck. Bestes Beispiel dafür war der Metallerstreik im Herbst 2011. Er wurde zu früh abgebrochen und brachte nicht das, was sich Viele erhofft hatten. Aber dass er überhaupt stattfand war, weil der Druck auf die Gewerkschaftsspitze so groß wurde, dass sie kämpfen musste. Der ÖGB als Dachverband ist nicht diesem direkten Druck ausgesetzt. Das erklärt auch, warum der ÖGB als Bremser gegenüber den Fachgewerkschaften auftritt. Es ist daher notwendig, dass künftig die Entscheidung zu streiken von einer Fachgewerkschaft alleine gefällt werden kann und der ÖGB das nicht mehr verhindern kann!
Der Zustand der österreichischen Gewerkschaften ist katastrophal: kaum Aktivität, kaum Einbindung der Mitglieder, wenig Demokratie. „Der ÖGB hat sich immer dazu bekannt, dass eine Konsolidierung der Staatsfinanzen notwendig ist“, schreibt der ÖGB in seiner Stellungnahme zum Sparpaket der Regierung. Der ÖGB ist die einzige Gewerkschaft in Europa, die Sparmaßnahmen begrüßt, anstatt dagegen Einspruch einzulegen.
Es handelt sich um eine strukturelle Krise des Kapitalismus. Jede „Lösung“ geht auf Kosten der ArbeiterInnenklasse. Und angesichts von Tiefe und Charakter der Krise zeigt sich auch, dass nicht einmal die härtesten Einschnitte in der Lage sind, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Die Arbeitenden in Griechenland bluten – und trotzdem wird es immer schlimmer mit der Krise. So oder so, Beschäftige, Jugendliche, PensionistInnen und Arbeitslose sollen für eine Krise bezahlen, die sie nicht verursacht haben!
Viele Mitglieder werden sich angesichts der Rolle des ÖGB die Frage stellen, wozu Gewerkschaftsbeitrag zahlen. Doch es führt kein Weg an den Gewerkschaften vorbei. Wir müssen sie uns von den hohen FunktionärInnen zurückerobern. Wir brauchen kämpferische und demokratische Gewerkschaften mit einer echten, politischen Alternative. Das wird sicherlich ein mühevoller Weg! Es gibt aber keinen anderen, wenn wir nicht im Sumpf des dahin dümpelnden Kapitalismus versinken wollen. Oder wie es die deutsche Revolutionärin Rosa Luxemburg schon vor 100 Jahren auf den Punkt brachte: Sozialismus oder Barbarei!