Mo 27.02.2012
Als vorübergehenden Waffenstillstand bezeichneten ArbeiterInnen am Berliner Universitätsklinikum Charité am 9.12.2011 ihre Entscheidung, nach 89 Tagen Streik die Arbeit wieder aufzunehmen. Erreicht hatten sie einen vertraglich festgelegten Mindestlohn von 8,50 Euro und die verbindliche Zusage auf Tarifverhandlungen (Tarifvertrag = Kollektivvertrag).
Denn einen Tarifvertrag gibt es für sie nicht. Es handelt sich um die ArbeiterInnen der Charité Facility Management GmbH (CFM), der 2006 ausgegliederten und teilprivatisierten Tochter des Klinikums, verantwortlich für Krankentransport, Reinigung, Küche, Sicherheitsdienst, Sterilisation etc.
Hier wurden Niedrigstlöhne von unter sieben Euro/Stunde gezahlt, es herrschen miese Arbeitsbedingungen, Arbeitsverträge werden individuell ausgehandelt und es gibt keinen Tarifvertrag. Die Gewerkschaften ver.di und gkl organisierten schon im Mai 2011 einen zweiwöchigen Streik für die Aufnahme von Tarifverhandlungen. Diese wurden auch durchgesetzt, aber nach drei Monaten ergebnislos für gescheitert erklärt, weil die Geschäftsführung zu keinen angemessenen Regelungen bereit war. Daraufhin ging eine Minderheit von bis zu 300 KollegInnen am 12. September in den unbefristeten Streik.
Dieser wurde unter schwierigen Voraussetzungen geführt, umso höher ist der erreichte Zwischenerfolg einzuordnen. Die Belegschaft ist aufgespalten: ca. 1/4 verfügen nur über befristete Verträge und trauen sich eher nicht, an einem Streik teilzunehmen, weil sie dann keine Chance auf einen fixen Vertrag mehr sehen. 1/3 sind „gestellte“ MitarbeiterInnen, die 2006 von der Charité in die CFM überführt wurden und weiter bei der Charité zum dortigen Tarifvertrag angestellt sind und an die CFM entliehen werden. Hinzu kam, dass eine weitere im Betrieb vertretene Gewerkschaft, die IG BAU, nur Reinigungskräfte vertreten will und den Streik sabotierte.
Vom ersten Tag an übte die Geschäftsführung auf Streikende und Nichtstreikende erheblichen Druck aus. Es wurde mit Abmahnungen und Arbeitsplatzverlust gedroht, Rausschmeißertypen einer privaten Sicherheitsfirma verfolgten die Streikenden auf Schritt und Tritt, Plakate und Fahnen der Gewerkschaften wurden immer wieder heruntergerissen und zerstört.
Die Streikenden haben sich nicht einschüchtern lassen, große Entschlossenheit und langen Atem bewiesen. Sie haben ihren Streik aktiv und kreativ geführt: tägliche Demonstrationen und Aktionen, darunter Flashmobs in einem von einem der privaten Teilhaber (Dussmann-Gruppe) betriebenen Kaufhaus, Mahnwachen vor dem Sitz des Charité-Vorstands und der Landeszentrale der regierenden SPD, Aktionen zur Verzögerung von Materiallieferungen des Charité-Lagers und vieles mehr. Eine bedeutende Rolle spielte auch die Solidarität in Berlin, der Bundesrepublik und international. Neben unzähligen Solidaritätserklärungen gab es eine große offene Streikversammlung, an der über 150 VertreterInnen anderer Berliner Betriebe und Gewerkschaften teilnahmen, zwei große Solidaritätsdemonstrationen mit bis zu tausend TeilnehmerInnen und von der SAV (Schwesterorganisation der SLP in Deutschland) angestoßene Solidaritätsaktionen in anderen Städten und Ländern, darunter auch Österreich. Eine wichtige Rolle spielte ein im Mai gegründetes Solidaritätskomitee, das auf täglicher Basis unterstützte und u.a. dabei half, eine tägliche Streikzeitung herauszubringen.
Die KollegInnen verstanden ihren Arbeitskampf nicht nur als Kampf für ein besseres Einkommen und bessere Arbeitsbedingungen für sich selber, sondern als Teil einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung gegen die permanente Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der abhängig Beschäftigten. Und nicht zuletzt als Protest gegen Privatisierung und Ausgliederung, die immer zu Verschlechterungen für Beschäftigte und NutzerInnen (in diesem Fall PatientInnen) führen. Folgerichtig ist die grundlegende Forderung der KollegInnen auch die Wiedereingliederung der CFM in die Charité.
Der Arbeitskampf wurde unterbrochen, ist aber nicht beendet. Der Kampf für einen Tarifvertrag geht weiter und die CFM-Beschäftigten stellen sich darauf ein, dass sie ohne neuerlichen Arbeitskampf in den Tarifverhandlungen ihre Forderungen wahrscheinlich nicht durchsetzen können. Jetzt werden die gewerkschaftlichen Strukturen im Betrieb verbessert, um baldmöglichst gestärkt und mit mehr KollegInnen wieder in den Streik treten zu können, wenn es nötig werden sollte.
*Funktionsangabe dient nur zur Kenntlichmachung der Person