Mo 27.02.2012
Alle fünf Jahre ein Kreuz machen. Bei der Partei, von der man sich am wenigsten abgestoßen fühlt. Von der man erwartet, dass sie die wenigsten Versprechen bricht. Und dann hoffen. Denn was die dann machen und entscheiden, darauf haben wir keinen Einfluss. Auch in „demokratischen“ Staaten sehen wir uns insgesamt mehr mit hierarchischen Strukturen konfrontiert als damit, wirklich etwas entscheiden zu können. Ob Schule, Uni, Lehre oder Arbeitsplatz: Die, die dort über unsere Köpfe hinweg bestimmen können, können wir nicht einmal wählen.
Die FPÖ will nun „mehr Demokratie“. Dass dieser Vorstoß von einer Partei kommt, die Menschen, die ohne österreichische Staatsbürgerschaft hier leben, jedes Mitbestimmungsrecht abspricht, klingt verwunderlich. Dennoch trifft der FPÖ-Ruf nach mehr direkter Demokratie v.a. auch wegen der Politik-Krise auf Widerhall. Vorbild soll die Schweiz sein. Aber auch unter Nicht-Rechten wird oft auf die Schweiz und ihre „direkte Demokratie“ orientiert. Aber ist die Schweiz das Musterland der Demokratie? MinisterInnen werden in der Schweiz auch nicht vom Volk gewählt. Auch der/die BundespräsidentIn nicht. Bei neuen Gesetzen wird allerdings das Volk gefragt. Natürlich können wir mit solchen Abstimmungen mehr mitbestimmen als ohne. Die Volksabstimmung gegen das AKW Zwentendorf war richtig und brachte das Atomkraftwerk zu Fall. Volksabstimmungen sind aber immer auch Momentaufnahmen des aktuellen Bewusstseins und beeinflussbar. Die SchweizerInnen stimmten mehrheitlich für ein Minarettverbot – Sind sie alle rechtsextrem? Nein, eine massive Propagandakampagne der rechten SVP und das Fehlen einer linken Alternative führten zu dem Ergebnis. Fragestellung, Inhalt und Rahmenbedingungen diktiert die etablierte Politik. Das sorgt dafür, dass die Mitbestimmung im Systemrahmen bleibt – Denn abwählen haben sich der Kapitalismus und seine Logik noch nie lassen.
Auch auf größerer Ebene versagen Volksabstimmungen als Mittel, um demokratische und soziale Rechte zu verteidigen oder auszubauen: Als sich die irische Bevölkerung gegen den Lissabon-Vertrag aussprach, folgte eine erpresserische Kampagne der EU und der Regierung und eine Wiederholung der Abstimmung, bis die Mehrheit die „richtige“ Entscheidung traf.
Aber die Krise des politischen Systems ist so tief, dass die Herrschenden Volksabstimmungen trotzdem fürchten. Als der damalige griechische Premier Papandreou im Herbst 2011 eine Volksabstimmung über den Sparkurs der Regierung ankündigte, war im EU-Establishment die Hölle los. Sein Plan, durch eine Einschüchterungskampagne Zustimmung zu erzwingen, war ein riskantes Unterfangen. Regierungen und Medien waren entsetzt. Weg waren alle demokratischen Mäntelchen. Der schwedische Außenminister Carl Bildt kommentierte: "Es gelingt mir wirklich nicht zu verstehen, worüber Griechenland ein Referendum haben will. Gibt es denn echte Optionen?“ Volltreffer.
Bürgerliche Demokratie ist für das Kapital die günstigste Herrschaftsform.
In bürgerlichen Demokratien können wir mitbestimmen. Bei Wahlen, Volksabstimmungen, Bürgerbefragungen. Es gibt Presse- und Organisationsfreiheit. Diese Rechte fielen aber nicht vom Himmel. Sie wurden in den letzten 200 Jahren v.a. durch die ArbeiterInnenbewegung erkämpft. Grundlegende gesellschaftliche Entscheidungen, z.B. was und wie produziert wird, unterliegen jedoch nicht demokratischen Mechanismen. Lenin analysierte in seinem Buch „Staat und Revolution“: „Die Allmacht des "Reichtums" ist in der demokratischen Republik deshalb SICHERER, weil sie nicht von einzelnen Mängeln des politischen Mechanismus, von einer schlechten politischen Hülle des Kapitalismus abhängig ist. Die demokratische Republik ist die denkbar beste politische Hülle des Kapitalismus, und daher begründet das Kapital, nachdem es von dieser besten Hülle Besitz ergriffen hat, seine Macht derart zuverlässig, derart sicher, daß KEIN Wechsel, weder der Personen noch der Institutionen noch der Parteien der bürgerlich-demokratischen Republik, diese Macht erschüttern kann.“
Diese These bestätigt sich in der aktuellen Situation: Auch wenn es kaum eine Regierung Europas schafft, wiedergewählt zu werden, ändert sich am System nichts. So gratulierte der zum Teufel gejagte Ex-Finanzminister Irlands seinem Nachfolger zu seinen Plänen mit den Worten, er hätte es selbst nicht anders gemacht. Der belgische Kapitalismus kam die letzten zwei Jahren sogar ohne Regierung aus. Nun werden in der Krise demokratische Strukturen und Rechte weiter ausgehöhlt. Als SozialistInnen wissen wir um die Beschränkung dieser Demokratie. Und doch ist es notwendig, sie zu verteidigen. In der Wirtschaftskrise benötigt das Kapital eine rücksichtslose Sparpolitik. Damit diese durchgeführt werden kann, werden auch unsere erkämpften demokratischen Rechte angegriffen und ausgehöhlt. SozialistInnen verteidigen grundlegende demokratische Rechte der ArbeiterInnenbewegung, wie das Recht, sich in Gewerkschaften zu organisieren, Demonstrationen und Streiks durchzuführen etc. Doch wir können uns von der Einschränkung dieser Rechte trotzdem nicht davon abhalten lassen, die notwendigen politischen Kämpfe zu führen.
Für die große Mehrheit der Weltbevölkerung, die in (neo)kolonialen und ausgebeuteten Ländern lebt, sind Diktaturen der Status Quo. Aufgrund kolonialistischer Ausbeutung konnten sich kaum eigenständige bürgerliche Klassen entwickeln, die ihren eigenen Staat errichten konnten, wie z.B. in Westeuropa. Sie blieben Marionetten ihrer Kolonialherren und sind es in den meisten Fällen noch heute. Auch, weil es für das Kapital billiger kommt und zusätzliche Konkurrenz, z.B. in Form von aufstrebenden afrikanischen Demokratien, unerwünscht ist und die Ausbeutung der Ressourcen erschweren würde.
Aber auch in den demokratischsten bürgerlichen Republiken endet die Demokratie am (symbolischen) Fabriktor. Unternehmen sind hierarchisch aufgebaut, Chefs werden nicht (von unten) gewählt und sind von dort schon gar nicht abwählbar. Meinungsfreiheit wird in der Arbeitswelt unmöglich gemacht. Wer sich beim Vorstellungsgespräch als SozialistIn und aktive(r) GewerkschafterIn outet, hat schlechte Chancen. Wer den Boss kritisiert, riskiert den Job. Unternehmen, die versuchen, Mitbestimmungsmöglichkeiten im Betrieb auszubauen, sehen sich schnell mit der harten Welt des kapitalistischen Konkurrenzkampfes überfordert. Im Kapitalismus können wir also überall dort mitbestimmen, wo wir nicht zu viel „kaputt“ machen können. „Echte Demokratie“ - das aber würde bedeuten, auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens mitbestimmen zu können, besonders in der Arbeitswelt. Aber der Kapitalismus ist ein System, das in der Wirtschaft keine Demokratie duldet – und sie damit auch auf der politischen Ebene automatisch einschränkt.
Sebastian Kugler