Do 29.12.2011
13 Jahre lang konnten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in den Untergrund verschwinden. Konnten morden, Anschläge verüben, Aufmärsche besuchen, Nazi-Kumpels treffen und sich bei Konzerten als Szene-Helden feiern lassen. Ohne dass der Verfassungsschutz ihnen auf die Spur kam. Ist der Verfassungsschutz so blöd? Oder einfach nur auf dem rechten Auge blind?
Das „Trio“ war vor seinem Verschwinden im Jahr 1998 bereits im Kameradschaftsverbund „Thüringer Heimatschutz“ aktiv. Der damalige Kopf dieser Kameradschaft, Tino Brandt, wurde jahrelang vom Verfassungsschutz finanziert, er bekam für unwichtige und unkonkrete Hinweise eine ganze Stange Geld. Vor den drei Mördern warnte dieser V-Mann die Schlapphüte trotzdem nicht. Die Staatsgelder steckte er dafür geflissentlich in den Aufbau von Nazi-Strukturen.
Bei der immer noch schweigenden Beate Zschäpe verdichten sich indes die Hinweise auf eigene Verbindungen zum Verfassungsschutz. Bekannt geworden ist auch ein „Ausstiegsangebot“ seitens des Thüringer Verfassungsschutzes 1999 an das „Nazi-Trio“. Jedenfalls gab es sehr viel mehr Informationen und Kontakte als der Verfassungsschutz zugeben will.
Was sind V-Leute?
V-Mann – das klingt nach James Bond und Spionage-Thriller, so als würde ein Agent Undercover in die Nazi-Szene eingeschleust. In Wahrheit jedoch sind diese „Verbindungsleute“ oft bloß bezahlte Nazis, überzeugt von ihrer braunen Gesinnung. Sie werden vom Verfassungsschutz für die Weitergabe von Informationen angeworben und kassieren dafür Geld. Die Informationen, die Nazis dann weiterleiten, sind häufig lächerlich. Gleichzeitig nutzen sie die Gelder, um ihre Strukturen aufzubauen, um so effektiver. So der sächsische Spitzel Mirko H., der ein faschistisches Musiklabel gründete, oder der V-Mann Bastian T. aus Schleswig-Holstein, der auf einem Friedhof eine überdimensionale Hitler-Gedenktafel aufstellen ließ.
Oftmals ist das Ganze irrwitzig, so waren etwa in Nordrhein-Westfalen der Vorsitzende der NPD sowie auch dessen Stellvertreter für Verfassungsschutzbehörden tätig – wohl frei nach dem Motto: Doppelt hält besser. Weil das aber noch nicht zu reichen schien, wurde zeitgleich auch der Chefredakteur der regionalen NPD-Zeitung als V-Mann angeworben. Das führte zu einem Skandal während des ersten NPD-Verbotsverfahrens vor zehn Jahren. So wurde der Verbotsantrag mit der Begründung abgelehnt, dass es zu viele V-Leute in der NPD gebe, von „fehlender Staatsferne“ war die Rede.
Schockierend auch: V-Leute bekamen nicht nur Staatsgelder, sondern auch Informationen über ihre GegnerInnen. So wurden in Mecklenburg-Vorpommern Daten von AntifaschistInnen an einen Nazi-V-Mann weitergeleitet.
Roewer – brauner Verfassungs„schützer“
Wie weit die Verquickung von Staat und Nazi-Strukturen geht, zeigt sich auch am Beispiel Helmut Roewer. Von 1994 bis 2000 war er Chef des Thüringer Verfassungsschutzes. Unter seiner Führung warb der Landesverfassungsschutz diverse Nazi-Kader (!) als V-Leute an und zahlte diesen ein großzügiges Salär, so auch Tino Brandt. Roewer ist außerdem verantwortlich für ein „Aufklärungsvideo“, welches in Thüringer Schulen gezeigt wurde. In diesem Video werden linke Jugendliche als randalierende und krawallbereite Chaoten dargestellt, während Aufmärsche von Nazis ohne distanzierenden Kommentar gezeigt werden. In dem Video darf sich auch Tino Brandt mit den Worten „Wir sind prinzipiell gegen Gewalt“ äußern. Nach dem Ende seiner Karriere ist Roewer nun als Referent und Publizist tätig, unter anderem für den rechtsextremen Grazer Ares-Verlag.
Es war nie anders
Nazis und Rassisten in Staatsorganen – das hat eine lange Tradition. So wurde der Verfassungsschutz mit Hilfe von Gestapo-Leuten und Alt-Nazis aufgebaut. Ein Beispiel: Nachdem die Kontrolle über den 1950 gegründeten Verfassungsschutz 1955 von den Allierten an den Staatsapparat der Bundesrepublik abgetreten wurde, war ein gewisser Helmut Schrübbers 17 Jahre Vorsitzender. Schrübbers war SA-Mann und unter Adolf Hitler als Staatsanwalt für die NS-Justiz tätig. Unter Schrübbers’ Aufsicht „sollen auffällig viele hohe Positionen im Bundesamt mit ehemaligen SS- beziehungsweise SA-Angehörigen besetzt worden sein“, heißt es bei Wikipedia. Schrübbers musste 1972 schließlich seinen Hut nehmen, als Details über seine Tätigkeit in der NS-Justiz bekannt wurden.
Der erste Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) war Reinhard Gehlen. Dieser Gehlen hatte bei der Wehrmacht nicht nur die Stellung eines Generals inne, sondern war auch ein Kumpel von DVU-Gründer Gerhard Frey und verhalf während seiner Amtszeit SS-Mann Alois Brunner zur Flucht.
In der Bundesrepublik hatte nie eine umfassende Entnazifizierung stattgefunden. Nach der kapitalistischen Restauration Ostdeutschlands wurden die dort geschaffenen BRD-Strukturen dann in den neunziger Jahren zu einem Tummelplatz für Rechtsextreme.
Verfassungsschutz auflösen
Der größte Geheimdienstskandal in der Geschichte der BRD zeigt auf, dass der Verfassungsschutz nicht dem Schutz der Demokratie dient. Er arbeitet auch nicht einfach „schludrig“. Verschiedene Politiker fordern jetzt eine bessere Vernetzung der Landes- und Bundesbehörden sowie eine zentrale Datei für Neonazis. So eine Datei gibt es im Übrigen schon: für linke AktivistInnen.
Im Kampf gegen Nazis können wir uns weder auf mögliche „Strukturreformen“ noch auf ein eventuelles NPD-Verbotsverfahren verlassen.
Der Verfassungsschutz ist alles andere als politisch neutral. Er ist ein Organ des BRD-Kapitalismus und hat darum die Aufgabe, konsequent gegen alle diejenigen vorzugehen, die diesem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem kritisch bis ablehnend gegenüberstehen. Das trifft auf linke AktivistInnen, nicht aber auf Rechtsextreme zu. Hat man jemals erlebt, dass Nazis zum gemeinsamen Kampf für höhere Löhne oder für Bildung eintreten? Und in der Schuldzuweisung gegen MigrantInnen gibt es viele Berühungspunkte zwischen Unternehmern, bürgerlichen Politikern und Neonazis.
Darum verweisen Regierung und staatliche Strukturen Faschisten zwar ab und an in ihre Schranken, wenn sie zu weit gehen und dem Export und der Außenpolitik schaden könnten. Aber die Verquickung von Verfassungsschutz und Nazis wird bleiben. Darum hilft auch eine „bessere Vernetzung“ zwischen den Verfassungsschutzbehörden nicht. Nein, der Verfassungsschutz und alle anderen Geheimdienste müssen sofort und ersatzlos aufgelöst werden.