Do 08.10.2009
Der 20. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer trifft zusammen mit der größten Krise der kapitalistischen Weltwirtschaft seit der Großen Depression, die vor 80 Jahren begann. Diejenigen, die diese Krise zu verantworten haben und nicht für ihre Folgen zahlen müssen - die Kapitalisten und ihre Sachverwalter in den Regierungen - werden das Jubiläum der revolutionären Massenbewegung in der DDR im Herbst 1989 und des Zusammenbruchs der Ostblock-Staaten zum Anlass nehmen, von der Krise ihres Systems abzulenken und zu behaupten, dass es zur kapitalistischen Marktwirtschaft keine Alternative gebe - wie der Zusammenbruch des so genannten ‘realen Sozialismus’ gezeigt habe.
Gleichzeitig hat die Weltwirtschaftskrise das Selbstbewusstsein solcher Linker wieder steigen lassen, die in der DDR und den anderen Staaten des Ostblocks ein sozialistisches System, oder zumindest einen legitimen ‘Versuch’ ein solches zu errichten, erblicken und sicher gibt es auch einige junge AntikapitalistInnen die sich fragen, ob an der DDR tatsächlich alles so grausam war, wie es die pro-kapitalistischen Massenmedien und bürgerlichen Politiker darstellen. Für die große Mehrheit der deutschen Arbeiterklasse und Jugendlichen gilt jedoch weiterhin, dass die DDR eine Diktatur war, auch wenn ein wachsender Teil der Ostdeutschen der sozialen Sicherheit und solidarischeren gesellschaftlichen Atmosphäre der DDR zumindest eine Träne nach weint.
Die Haltung zur DDR ist dementsprechend von großer Bedeutung für politische Kräfte, die sich den Sozialismus auf die Fahne geschrieben haben. Darin beantwortet sich nicht nur die Frage, was man unter Sozialismus versteht, sondern auch die Frage, ob man Vertrauen und Unterstützung in einer Mehrheit der Arbeiterklasse für eine sozialistische Perspektive wird finden können.
Voraussetzungen für die Gründung der DDR
Die DDR war ein Produkt der neuen Weltlage nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Dieser war von einem Bündnis ungleicher Kräfte gewonnen worden: den kapitalistisch-imperialistischen Mächten USA, Frankreich, Großbritannien und der nicht-kapitalistischen Sowjetunion. Mit der Niederlage des Hitler-Faschismus war auch die Basis dieses Bündnisses nicht mehr gegeben und die tiefen Gegensätze zweier grundsätzlich unterschiedlicher Wirtschaftssysteme und der Interessen der in den verschiedenen Systemen Herrschenden mussten im Verhältnis dieser Staaten wieder dominant werden.
In der Sowjetunion war nach der Oktoberrevolution im Jahr 1917 Kapitalismus und Großgrundbesitz abgeschafft worden. ArbeiterInnen und Bauernschaft hatten das alte unterdrückerische und ausbeuterische System hinweggefegt und einen Sowjetstaat errichtet. Sowjet ist das russische Wort für ‘Rat’ - es war ein Staat der demokratisch gewählten Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte. Diese hatten mehrheitlich die von Lenin und Trotzki geführte bolschewistische Partei in die Führung der Räte gewählt und auf der Basis des revolutionär-sozialistischen Programms der Bolschewiki das Tor hin zur sozialistischen Weltrevolution aufgestoßen. Doch außer den Russen schritt kein Land durch dieses aufgestoßene Tor. Der russische Arbeiterstaat blieb isoliert. Und in seiner Isolierung und wirtschaftlichen, sowie kulturellen Rückständigkeit war er nicht in der Lage eine sozialistische Entwicklungsrichtung einzuschlagen. Die politische Macht entglitt den Räten und konzentrierte sich in den Händen der Funktionäre in Partei und Staat, die diese dazu nutzten ein System zu etablieren, das ihnen Privilegien und Macht sicherte. Eine unterdrückerische bürokratische Kaste erhob sich über die Gesellschaft, ihr personalisierter Ausdruck war Josef Stalin, Generalsekretär der Kommunistischen Partei. Doch diese Kaste tastete die durch die Oktoberrevolution geschaffenen ökonomischen Verhältnisse in Russland nicht an: das Staatseigentum an Industrie und Banken, das staatliche Außenhandelsmonopol - der Kapitalismus blieb abgeschafft. Die Sowjetunion war schon kein Kapitalismus mehr, aber auch weder Sozialismus noch eine Arbeiterdemokratie (in klassischer marxistischer Terminologie ‘Diktatur des Proletariats’), sondern eine nicht vorhersehbare nicht-kapitalistische Übergangsgesellschaft, in der eine bürokratische Funktionärselite eine Diktatur über das Proletariat errichtet hatte. Trotzki nannte diesen Staat einen ‘entarteten Arbeiterstaat’, das System ging als Stalinismus in die Geschichte ein.
Ein Verständnis des Charakters der Sowjetunion ist eine Voraussetzung für ein Verständnis der DDR. Nicht nur, weil die DDR durch die sowjetische Besatzung nach dem Modell des sowjetischen Staates geschaffen wurde. Sondern auch, weil die Entstehungsgeschichte der DDR nur durch ein Verständnis der Interessen der Führung der Sowjetunion erklärt werden kann.
Diese hatte sich wie ein Krebsgeschwür in die verstaatlichte Planwirtschaft Russlands hinein gefressen. Sie musste Marxismus und die Ideale der Oktoberrevolution propagieren, weil sie ansonsten keine soziale Verankerung in der Gesellschaft hatte, die Produktionsmittel gehörten ihr ja nicht, sondern sie hatten nur die Kontrolle darüber. Sie musste sich gleichsam gegen die eigene Arbeiterklasse rüsten, da diese sich gegen politische Unterdrückung und Abschöpfung eines großen Teils des gesellschaftlichen Mehrprodukts zur Finanzierung der Privilegien der Bürokratie hätte wenden können, als auch gegen den internationalen Kapitalismus, der das Gebiet der Sowjetunion für den Weltmarkt verloren hatte und ein natürliches Expansionsstreben in diese Richtung entwickeln musste. Letzteres war auch der Grund, weshalb Großbritannien und andere imperialistische Mächte, trotz ihrer Interessenkonflikte mit dem faschistischen Deutschland, zuerst darauf hofften, dass Hitler die Sowjetunion bezwingen würde und erst im Verlauf der Ereignisse gezwungen wurden, mit der Sowjetunion ein Bündnis gegen das Weltmachtstreben des deutschen faschistischen Kapitalismus zu bilden.
Ausgehend von dieser Konstellation hatte die herrschende Elite in Moskau vor allem an einem Zustand Interesse: Ruhe. Sie hatte kein Interesse an Revolutionen der Arbeiterklasse in anderen Ländern, weil wirkliche Arbeitermacht in einem anderen Land, ihre privilegierte und diktatorische Stellung in der Sowjetunion hätte in Frage stellen können. Sie wollten natürlich auch Sicherheit vor Versuchen der imperialistischen Staaten, sich den russischen Markt wieder unter den Nagel zu reißen, weil das ihre eigene Machtbasis untergraben hätte.
Stalins Außenpolitik
Dieser Wunsch der Moskauer Bürokratie nach dem Erhalt der bestehenden Verhältnisse drückte sich seit Mitte der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts in einer Politik der Bündnisse mit kapitalistischen Kräften zur Verteidigung der bürgerlich-kapitalistischen Demokratie gegen den Faschismus aus. Auf diesem Altar wurde die Spanische Revolution geopfert. Dass die Stalin-Clique keinerlei politische Prinzipien hatte, sondern nur ihre eigene Position sichern wollte, zeigte sich dann nicht zuletzt beim Nichtangriffspakt zwischen der Sowjetunion und Nazi-Deutschland, dem so genannten Hitler-Stalin-Pakt. Dieser sollte einen Angriff Deutschlands auf die UdSSR verhindern und ermöglichte der sowjetischen Bürokratie gleichzeitig ihr Einflussgebiet auf Ostpolen und das Baltikum auszudehnen. Nach Hitlers Überfall auf die Sowjetunion schwenkte die stalinistische Bürokratie wieder auf den Kampf für ‘die Demokratie’ um und bildete die Anti-Hitler-Koalition mit den ‘demokratischen’ Imperialisten Roosevelt, Churchill und de Gaulle.
Doch während sie kein Interesse an wirklichen sozialistischen Revolutionen hatte, weil diese zu wirklicher Arbeitermacht hätten führen können, war sie in den Ländern, die sie in ihr Machtgebiet einverleibte geradezu gezwungen, deren soziale und ökonomische Struktur der der Sowjetunion anzugleichen. Dies geschah nach 1939 in Polen. Leo Trotzki hatte das vorhergesehen. In einem in dem Sammelband ‘Verteidigung des Marxismus’ veröffentlichten Text schrieb er: “Insofern Stalins bonapartistische Diktatur sich nicht auf privates, sondern auf Staatseigentum gründet, müsste die Invasion in Polen durch die Rote Armee der Natur der Sache nach mit der Beseitigung des privatkapitalistischen Eigentums enden, um das Regime in den besetzten Gebieten in Übereinstimmung zu bringen mit dem Regime der UdSSR. Diese Maßnahme, revolutionär in ihrem Charakter - ‘die Expropriation der Expropriateure’ -, wird in diesem Fall auf militärisch-bürokratische Weise durchgeführt.”
Diese beiden Aspekte - das Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion und die sich aus dem nicht-kapitalistischen Klassencharakter ihrer Ökonomie ergebende Dynamik - spielten eine entscheidende Rolle bei der Politik der sowjetischen Besatzungsmacht in Ostdeutschland und der späteren DDR.
Mit der Niederlage Deutschlands bestand die Grundlage für das Bündnis zwischen der Sowjetunion auf der einen und den USA, Großbritannien und Frankreich auf der anderen Seite nicht mehr. Doch das Auseinanderbrechen dieses Bündnisses war in der tatsächlichen geschichtlichen Entwicklung natürlich ein Prozess, der bis Frühjahr 1947 dauerte. Bis dahin erweckten die Siegermächte den Anschein, sie könnten Europa im Konsens unter sich aufteilen. Wie dies geschah, berichtet Winston Churchill in seinen Memoiren: “Um 10.00 abends des 9. Oktober 1944 fanden wir uns dann zur ersten wichtigen Sitzung im Kreml ein. Da mir der Moment günstig erschien, um die Dinge entschlossen anzupacken, sagte ich: ‘Lassen sie uns unsere Angelegenheiten im Balkan regeln. Ihre Armeen sind in Rumänien und Bulgarien. Wir haben dort Interessen, Missionen und Agenten. Lassen Sie uns dort nicht in kleinlicher Weise gegeneinander arbeiten. Um nur von Großbritannien und Russland zu sprechen, was würden Sie dazu sagen, wenn Sie in Rumänien zu neunzig Prozent das Übergewicht hätten und wir zu neunzig Prozent in Griechenland, während wir uns in Jugoslawien auf halb und halb einigen?’ Während das übersetzt wurde, schrieb ich auf ein halbes Blatt Papier:
Rumänien: Russland 90%, die anderen 10%;
Griechenland: Großbritannien 90% (im Einvernehmen mit den USA), Russland 10%;
Jugoslawien: 50:50;
Ungarn: 50:50;
Bulgarien: Russland 75%, die anderen 25%.
Ich schob den Zettel Stalin zu, der mittlerweile die Übersetzung gehört hatte. Eine kleine Pause trat ein. Dann ergriff er einen Bleistift, machte einen großen Haken und schob uns das Blatt zu. Die ganze Sache beanspruchte nicht mehr Zeit, als sie zu schildern. Das mit Bleistift beschriebene Papier lag in der Mitte des Tisches. Schließlich sagte ich: ‘Könnte man es nicht für ziemlich frivol halten, wenn wir diese Fragen, die das Schicksal von Millionen Menschen berühren, in so nebensächlicher Form behandeln? Wir wollen den Zettel verbrennen.’ ‘Nein, behalten Sie ihn’, sagte Stalin.”
Besetzung Deutschlands
Als die Rote Armee den Osten Deutschlands besetzte und die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) gebildet wurde, hatte die Moskauer Führung keinen Plan, den Kapitalismus in der SBZ abzuschaffen. Sie wollte ihre Macht erhalten und an den Wiederaufbau der stark zerstörten Sowjetunion gehen. Um letzteres zu ermöglichen erhob die Sowjetunion enorme Reparationsansprüche an das niedergerungene Deutschland. Diese konnte sie nach dem Potsdamer Abkommen der Siegermächte aus der SBZ entnehmen und außerdem zu einem Teil aus den von den westlichen Alliierten besetzten Zonen.
Die Reparationen an sich waren schon ein anti-sozialistischer Akt, der das Potenzial für eine tatsächlich sozialistische, also von der deutschen Arbeiterklasse selber getragene, Umwälzung der Gesellschaft erschwerte. Warum? Erstens lag der Logik der Reparationen die als Kollektivschuldthese bekannte Annahme zu Grunde, das gesamte deutsche Volk, also einschließlich der Arbeiterklasse, trage die Verantwortung für den Faschismus und den Zweiten Weltkrieg. Warum diese These falsch ist, kann an dieser Stelle nicht ausführlich erläutert werden. Es sei nur daran erinnert, dass die NSDAP zu keinem Zeitpunkt bei freien Wahlen eine Mehrheit in der Weimarer Republik erzielte und Hitler nur mit den Stimmen der anderen bürgerlichen Parteien im Reichstag zum Kanzler gewählt und sein Ermächtigungsgesetz durchsetzen konnte, ganz zu Schweigen von der massiven finanziellen Unterstützung der Nazis durch die Krupps und Thyssens. Die Nazi-Diktatur war eine Diktatur über die Arbeiterklasse, ihr erster Zweck die Zerstörung der organisierten Arbeiterbewegung in Deutschland mit dem Ziel die Macht des Kapitalismus zu erhalten, die Profitraten zu steigern und Deutschland kriegsfähig zu machen.
Zweitens musste die deutsche Arbeiterklasse und nicht die Kapitalistenklasse für die Reparationen zahlen. Das konnte die Unterstützung für die Sowjetunion in der deutschen Bevölkerung nur untergraben.
Drittens führten die Reparationen zu einer Schwächung der deutschen Industrie und damit auch der Arbeiterklasse und der ökonomischen Basis für einen möglichen zukünftigen deutschen Arbeiterstaat.
Die Politik Stalins nach dem Zweiten Weltkrieg stand in offensichtlichem Gegensatz zur Politik der Bolschewiki und des revolutionären Russlands nach dem Ersten Weltkrieg, als von dort die Forderung nach einem ‘demokratischen Frieden ohne Annexionen und Reparationen’ aufgestellt wurde.
Das Stabilitäts- und Sicherheitsbedürfnis der sowjetischen Bürokratie führte dazu, dass sie für Deutschland keine sozialistische Gesellschaftsform anstrebte, sondern einen entmilitarisierten, neutralen, kapitalistischen Pufferstaat favorisierte. Diesen Gedanken vertrat Stalin selbst noch 1952 in der berühmten Stalin-Note, die ein vereinigtes, neutrales Deutschland mit eigenen Streitkräften vorsah. In diesem Zusammenhang kann man sehr wohl sagen, dass die Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend von den Westmächten und der Adenauer-Regierung zu verantworten ist. Adenauers Leitsatz aus Sicht des Kapitalismus war: Lieber das halbe Deutschland ganz, als das ganze Deutschland halb.
Natürlich versuchte die stalinistische Bürokratie trotzdem ein Höchstmaß an Kontrolle über die SBZ zu erlangen. Das war aus ihrer Sicht am besten möglich, wenn Mitglieder der KPD die entscheidenden Funktionen besetzten. Der spätere SED-Führer Walter Ulbricht fasste das so zusammen: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“
Sozialistische Stimmung in der Arbeiterklasse
Tatsächlich gab es nach Ende des Zweiten Weltkriegs in der Arbeiterklasse Deutschlands eine ausgeprägt pro-sozialistische Stimmung. Vielen war klar, dass der Faschismus weder vom Himmel gefallen war, noch Produkt des kollektiven Wahnsinns des gesamten deutschen Volks war. Um eine Wiederholung einer faschistischen Diktatur und der Grauen des Krieges zu vermeiden gab es massenhafte Unterstützung für die Idee der Sozialisierung der großen Industrien und für die Idee der Einheit der Arbeiterbewegung, denn die Unfähigkeit von SPD und KPD vor 1933 geschlossen gegen die Nazis zu kämpfen wurde zu Recht als eine wichtige Voraussetzung für Hitlers Machtergreifung gesehen.
Dementsprechend gab es nach Kriegsende in vielen Städten und Betrieben eine Dynamik zur antifaschistischen Selbstorganisation von ArbeiterInnen. Diese versuchten durch den Aufbau so genannter Antifa-Komitees und räteähnlicher Strukturen Wirtschaft und Versorgung wieder ins Laufen zu bekommen und eine Entnazifizierung in Staat, bzw. was davon übrig war, und Verwaltung zu organisieren.
Ein Bericht des US-Geheimdienstes vom 30. Juni 1945 führt dazu aus: “Ein Kennzeichen, der als Massenorganisationen gebildeten antifaschistischen Gruppierungen ist (...) der Wunsch derjenigen sozialen Gruppen, die in den letzten 12 Jahren keine Möglichkeit hatten, ihr Leben selbst zu gestalten, beim Aufbau Deutschlands Einfluss zu gewinnen. (...) Diese Organisationen entsprangen der Überzeugung, dass der Nationalsozialismus aus jedem Lebensbereich Deutschlands getilgt werden müsse. Diese Überzeugung wird nicht nur als ideologisches Prinzip vertreten, das für ein neues demokratisches Deutschland nötig sei, sondern auch als ein realistisches Konzept, das eine grundlegende Machtverschiebung vorsieht; d.h., die Gruppen, die den Nationalsozialismus hervorgebracht hätten und ihn zwangsläufig hervorbringen müssten, sollten die Macht an die Gruppen abtreten, die von ihm unterdrückt worden seien (...) Die Mehrheit der Organisationen wurde folglich aus Widerstandszellen der Nazi-Periode gebildet, d.h. von denjenigen, die von Anfang an auf den Umsturz der Nazis und ihrer wirtschaftlichen und sozialen Trägerschichten abzielten. (...) Unter diesen Umständen (ist) es natürlich, dass die alte Arbeiterklasse, die aktivste Gruppe von Nazi-Gegnern in der deutschen Gesellschaft, die überwiegende Mehrheit und auch den Großteil der Führer dieser Organisationen stellt.”
In seinem Roman ‘Schwarzenberg’ beschreibt Stefan Heym beeindruckend, wie sich in dem Teil des Erzgebirges, in dem für eine kurze Zeit keine Besatzungstruppen stationiert waren, eine weitgehende Selbstorganisation der Bevölkerung entwickelte, die sich ein in Grundzügen sozialistisches Programm zum Wiederaufbau der Gesellschaft zu eigen machte.
Die Forderung nach Sozialisierung der Wirtschaft war weit verbreitet. Der sozialistische Historiker der deutschen Arbeiterbewegung Wolfgang Abendroth schrieb dazu, das diese Zeit “die kurze Blüteperiode sozialistischen Denkens (war), in der es (...) auch vorübergehend ohne Zweifel die Majorität dieser Nation gewonnen hatte,” Dies galt, nebenbei bemerkt, nicht nur für Deutschland, sondern für einen großen Teil des von faschistischer Besatzung und Krieg befreiten Europas.
Diese pro-sozialistische Stimmung und die Hoffnung auf einen Aufbau einer Gesellschaft, in der mit der Macht der Kapitalisten auch die Wurzeln von Faschismus und Krieg ausgemerzt würden, drückte sich in vielerlei Hinsicht aus. Die in den westlichen und östlichen Zonen gegründeten Parteien mussten sich ein sozialistisches Profil geben. Die CDU bezeichnete sich 1946 in Berlin als ‘die große deutsche sozialistische Volkspartei’ und in ihrem Ahlener Programm von 1947 schrieb die NRW-CDU: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. (…) Inhalt und Ziel (einer) sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein.” Ein ‘Sozialismus aus christlicher Verantwortung’ wurde von Jakob Kaiser und anderen CDU-Führern propagiert. Der SPD-Führer der Westzonen Kurt Schumacher sprach vom ‘Sozialismus als Tagesaufgabe’ und die Gewerkschaftsführer Hans Böckler und Fritz Tarnow werden mit folgenden Worten zitiert: “Der Kapitalismus liegt in seinen letzten Zügen.” Und: “Die Gegenwart geht schwanger mit einer neuen Ordnung. (...) Es kann kein Zweifel sein, dass die Uhr der freien, privat-kapitalistischen Produktionsordnung abgelaufen ist.” Am 1 Dezember 1946 stimmten 72 Prozent bei einer Volksabstimmung in Hessen für die Überführung in gesellschaftliches Eigentum von Bergbau, der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie und des an Schienen und Oberleitungen gebundenen Verkehrswesens. Im Juni erzielte ein Volksentscheid in Sachsen für die Enteignung der Betriebe von aktiven Nationalsozialisten und Kriegsverbrechern sogar 77,7 Prozent.
Das Bewusstsein und der Wille in der Arbeiterklasse war nach dem Zweiten Weltkrieg kein Hindernis für einen sozialistischen Wiederaufbau Deutschlands. Das waren die Interessen der Besatzungsmächte - in West und Ost.
Dies widerspiegelte sich im Programm der am 11. Juni 1945 wieder gegründeten KPD, welches ‚bürgerlicher‘ war als alle anderen Parteiprogramme. Darin war mit keinem Wort vom Sozialismus die Rede. Die KPD war nicht mehr als ein Organ der Außenpolitik Moskaus. Die Macht in der SBZ lag in den Händen der Sowjetischen Militäradministration (SMAD). Die SMAD ließ ab Mitte Juni Parteien zu, um den Antifa-Komitees, die später auch bürokratisch aufgelöst wurden, die Initiative aus der Hand zu nehmen und vor allem über die KPD die Kontrolle über das politische Leben in der deutschen Bevölkerung ausüben zu können. Sie verfügte in ihrem ‘Befehl Nummer 2‘: “Es wird bestimmt, dass für die ganze Zeit des Okkupationsregimes die Tätigkeit aller (..) Organisationen unter der Kontrolle der Sowjetischen Militärischen Administration und entsprechend den von ihr gegebenen Instruktionen vor sich gehen wird.” Selbstbestimmung eines Volkes sieht anders aus.
Der Historiker Hermann Weber schreibt in seiner ‘Geschichte der DDR’ über die Gründung der KPD: “Der Gründungsaufruf der KPD vom 11. Juni forderte (...) Die ‘Liquidierung der Überreste des Hitlerregimes’, aber keineswegs eine sozialistische Umgestaltung Deutschlands, sondern die ‘Vollendung’ der Revolution von 1848. So wirkte der Aufruf in vielen Teilen wie eine Abkehr von den revolutionären Traditionen der Partei. Die KPD-Führer wandten sich nachdrücklich gegen die Einführung des Sowjetsystems in Deutschland, da ‘dieser Weg nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland’ entspräche. Vielmehr traten sie ein für die Errichtung einer ‘demokratischen Republik’, eines ‘antifaschistisch-demokratischen Regimes’ mit ‘allen Rechten und Freiheiten für das Volk’. Darüber hinaus sicherte der Aufruf die ‘völlig ungehinderte Entfaltung des freien Handels und der privaten Unternehmerinitiative’ zu. Diese Politik entsprach völlig der damaligen Linie Stalins für Osteuropa und Deutschland. Ulbricht selbst bestätigte später, dass ‘das Politbüro der KPdSU uns ausdrücklich darauf aufmerksam machte, dass wir in Deutschland nicht die Formen der Sowjetmacht und andere sowjetische Formen einfach übernehmen können.”
Hinter dieser Linie steckte das grundlegende Interesse der Moskauer Bürokratie den status quo zu erhalten, unabhängige sozialistische Bewegungen der Arbeiterklasse zu unterdrücken und einen Ausgleich mit dem Imperialismus in ‘friedlicher Koexistenz’ zu finden. Die theoretische Begründung für diese Politik war mit der so genannten Etappentheorie geliefert worden, die eine lange Phase demokratisch-kapitalistischer Entwicklung als Voraussetzung für eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft betrachtete. Gleichzeitig wollte die Sowjet-Bürokratie mittels Besatzung und KPD die Kontrolle über die SBZ in ihren Händen konzentrieren. Die Bewegung der Antifa-Komitees und die revolutionären Ambitionen vieler einfacher KPD-Mitglieder standen dem im Weg. Wolfgang Leonhard, der zur ‘Gruppe Ulbricht’ der Exil-Kommunisten gehörte, die als erste mit den Sowjets in Ostdeutschland eintraf, schreibt in seinem Buch ‘Die Revolution entlässt ihre Kinder’: “Der Stalinismus kann nicht zulassen, dass durch selbständige Initiative von unten antifaschistische, sozialistische und kommunistische Bewegungen oder Organisationen entstehen, denn er liefe stets Gefahr, dass sie sich seiner Kontrolle entziehen und sich gegen Direktiven von oben zu stellen versuchen. Die Auflösung der Antifaschistischen Komitees war daher nichts anderes als die Zertrümmerung erster Ansätze einer vielleicht machtvollen, selbständigen, antifaschistischen und sozialistischen Bewegung. Es war der erste Sieg des Apparats über die selbständigen Regungen der antifaschistischen, links eingestellten Schichten Deutschlands.”
Nach den Antifa-Komitees wurden später auch die Betriebsräte aufgelöst. Dazu schreibt Hermann Weber: “In den Betrieben herrschte nach Kriegsende eine Art ‘Machtvakuum’, das - wie auch im Westen Deutschlands - von den Vertretern der Arbeiter, in erster Linie von den Betriebsräten ausgefüllt wurde. Sie wollten den Wiederaufbau ‘von der Basis’ her voran treiben, die Wirtschaft demokratisieren. Vor allem die älteren Industriefacharbeiter ergriffen spontan die Initiative, um eine Art Selbstbestimmung der Arbeiter zu erreichen. Auch wenn diese Entwicklung nicht überschätzt werden sollte, so hat doch erst die schrittweise Aushöhlung und dann die Auflösung der Betriebsräte diese Arbeiterinitiative mit ihrer betrieblichen Mitbestimmung in der SBZ ganz ausschalten können. Sie passte nicht in das Konzept von SMAD und KPD-SED.”
Bildung der Blockparteien
Unmittelbar nach der KPD-Gründung wurden auch andere Parteien gebildet: SPD, CDU und LDPD. Am 14. Juli bildeten diese vier Parteien den ‘Antifaschistischen Block’. Dieser markierte den ersten Schritt zur Gleichschaltung aller Parteien unter der Kontrolle und unter dem Druck der SMAD. Diese bemühte sich sogar, dass die anderen Parteien gegründet wurden. Wolfgang Leonhard beschreibt eine “groteske Situation”, die aber illustriert, wie die Parteien von oben gegründet wurden: “So erzählte ein Genosse aus einem etwas abgelegenen Brandenburger Bezirk, wie ihn der Kommandant nach der Bildung der Einheitsfront der vier Parteien holen ließ:
‚Haben bekommen wichtige Mitteilung aus Berlin. Sind gegründet worden vier antifaschistisch-demokratische Parteien und haben gebildet Einheitsfront. Muss jetzt wissen, wie es bei uns im Bezirk steht. Gibt es bei uns Kommunistische Partei?’
‚Ja.’
‚Gibt es bei uns Sozialdemokratische Partei?’
Nein, noch nicht, Genosse Kommandant.’
‚Sähr schlecht. Müssen haben Sozialdemokratische Partei. Gibt es bei uns Christlich-Demokratische Union?’
‚Nein, Genosse Kommandant.’
‚Warum nicht? Steht hier geschrieben: Christlich-Demokratische Union. Gibt es bei uns Liberal-Demokratische Partei?’
‚Nein, Genosse Kommandant.’
Der Kommandant war sichtlich ungehalten.
‘Auch nicht? Schlecht! Müssen haben Liberal-Demokratische Partei. Du bekommen Auftrag, gründen alle Parteien, wie hier geschrieben.’
‚Aber das geht doch nicht, Genosse Kommandant, ich bin doch der Sekretär der KPD-Ortsgruppe und kann doch nicht die anderen Parteien gründen!’
Das schien dem Kommandanten einzuleuchten. ‘Du kennen Sozialdemokraten?’
‘Ja, Genosse Kommandant, aber die sind jetzt in die KPD eingetreten.’
‚Nitschewo! Müssen wieder austreten und gründen SPD, wie hier steht geschrieben.’
So geschah es auch. Schließlich wurden noch zwei Bürgerliche gefunden, die Ortsgruppen der anderen beiden Parteien organisierten.
Der Kommandant rieb sich erfreut die Hände:
‘Jetzt gutt’, rief er lachend und lud den Sekretär zu einem Glas Wodka ein, ‘nun kann berichten, dass alle vier Parteien haben wie steht geschrieben in Direktive aus Berlin. Jetzt müssen noch schnell Einheitsfront gründen.’”
Hoffnung in der Arbeiterklasse
Natürlich gab es viele ArbeiterInnen, die mit Begeisterung und der Hoffnung ein neues, friedliches und sozialistisches Deutschland aufzubauen KPD und SPD eingetreten sind. Gerade in der KPD gab es viele alte Kommunisten, die mit der bürgerlichen Linie der Parteiführung und der SMAD haderten. Viele hofften zweifellos, dass die undemokratischen Strukturen und Maßnahmen vorübergehende Erscheinungen seien, die mit einer Stabilisierung der Verhältnisse und wirtschaftlicher Entwicklung sich zurück entwickeln würden. Es sollte auch nicht vergessen werden, dass eine halbe Million Deutsche in den vierziger und fünfziger Jahren von West nach Ost ‘rüber machten’, darunter nicht wenige antifaschistische Intellektuelle, die sich erhofften einen Beitrag zu einer sozialistischen Entwicklung in Deutschland leisten zu können und aus der Emigration in die SBZ kamen. Dazu gehörten unter anderem Bertolt Brecht, Stefan Heym, Anna Seghers, Arnold Zweig und Ernst Bloch. Der Schriftsteller Peter Hacks siedelte noch 1955 von München in die DDR über.
Für viele war auch klar, dass eine Bedrohung des Nachkriegs”friedens” vom Westen ausging. Während die DDR die Oder-Neiße-Grenzen zu Polen und damit die Gebietsverluste Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg anerkannte, hielt die Bundesrepublik an der Forderung einer Wiederherstellung Deutschlands in den Grenzen von 1937 fest, was eine militärische Konfrontation mit der Sowjetunion und Polen implizierte.
Dass aber die Autorität der KPD unter den realen sich entwickelnden Bedingungen litt und sie keine mehrheitliche Unterstützung in der Arbeiterklasse erreichen konnte, hing mit ihrem bürokratischen Vorgehen und ihrer hundertprozentigen Identifikation mit der SMAD zusammen. So färbten auch die Übergriffe russischer Soldaten vor allem auf Frauen und die harten Reparationen auf die KPD ab. Die Unterdrückung der selbständigen Initiativen in der Arbeiterklasse führten zu Enttäuschung, Frustration und Rückzug aus der Aktivität bei vielen ArbeiterInnen. Ein Beispiel nennt Robert Bechert in seinem Buch ‘Die gescheiterte Revolution’: “Die Folge war, dass eine Reihe dieser ersten Aktivisten es ablehnte, KPD oder SPD beizutreten als diese wieder gegründet wurden. Leonhard schreibt darüber wie in Dresden 20.-30.000 Leute einer ‘Antifa’ beitraten. Aber später, nachdem sie unterdrückt worden war, traten nur 7.000 der ‘Antifa’ der KPD und 3.000 der SPD bei. Für einige war das die erste Lektion in Sachen Stalinismus.”
Der Kapitalismus wird angeschafft
Das politische Konzept Stalins - einen einheitlichen neutralen Pufferstaat in Deutschland zu errichten - musste mit der Realität in einen Konflikt geraten. Der westliche Imperialismus hatte kein Interesse an einer friedlichen Koexistenz mit der Sowjetunion. Der Verlust eines großen Teils des Weltmarktes für seine Investitionen und für die Ausbeutung von Rohstoffen und Arbeitskräften, der Widerspruch der Wirtschaftssysteme musste früher oder später eine Konfrontation zwischen Kapitalismus und Stalinismus hervorbringen. Gleichzeitig entwickelte sich in der SBZ eine Dynamik dahin, das dort entstandene Vakuum - in der SBZ war im Gegensatz zu den westlichen Besatzungszonen ein weitgehendes Entnazifizierungsprogramm umgesetzt worden und ein großer Teil der Kapitalisten und Großgrundbesitzer war vor der Roten Armee in den Westteil Deutschlands geflüchtet - durch ein dem System der Besatzungsmacht gleichendes System zu ersetzen. Dazu kam der Druck und die Erwartungshaltung für tief greifende soziale Veränderungen in großen Teilen der Arbeiterklasse. Schritt für Schritt wurde nun in Wirtschaft und Staat ein System entwickelt, das weitgehend dem Modell der Sowjetunion entsprach.
1946 wurde eine Landreform durchgeführt, die den Großgrundbesitz der Junker enteignete. Als nächster Schritt wurden die Unternehmen von Nazis und Kriegsverbrechern enteignet. Die KPD hatte anfangs noch das Angebot der SPD zu einem Zusammenschluss abgelehnt, weil sie sich zunächst selber konsolidieren und ihren Funktionärsapparat auf Linie bringen wollte. Im April 1946 kam es dann zur Vereinigung der beiden Arbeiterparteien und zur Gründung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Diese Vereinigung konnte sich zwar auf den Wunsch nach Einheit in breiten Teilen der Arbeiterbewegung stützen, aber die Erfahrungen mit SMAD und KPD hatten auch viele Mitglieder der SPD skeptisch gemacht. Hintergrund der plötzlichen Vereinigungsbereitschaft der KPD-Führung war die Sorge, die Kontrolle in der SBZ zu verlieren. Bei den Wahlen in Österreich und in Ungarn hatten die Kommunistischen Parteien schlechte Ergebnisse erzielt. Das alarmierte die KPD-Führung und ließ sie die Vereinigung schnell und bürokratisch durchziehen. Nicht selten übte der SMAD Druck vereinigungsunwillige Sozialdemokraten aus. 1948 hatte die Partei fast zwei Millionen Mitglieder, circa 16 Prozent der erwachsenen Bevölkerung war Parteimitglied. Allein diese große Zahl zeigt, dass es sich dabei nicht nur um Karrieristen und Apparatschiks handeln konnte. Die Größe der SED war ein Ausdruck der Tatsache, dass es eine große gesellschaftliche Basis für die Hoffnung auf eine sozialistische Entwicklungsrichtung gab.
Dies galt umso mehr, da der US-Präsident Truman 1947 den Kalten Krieg ausgerufen hatte. Der Imperialismus setzte auf Konfrontation und auf Einbindung Westdeutschlands in seine ökonomische und später auch militärische Struktur. Die vollständige Abschaffung kapitalistischer Verhältnisse und die Einführung einer staatlich gelenkten Planwirtschaft war durch die Sowjetunion eine Reaktion auf diese Politik des Westens. Die Staatsgründung der DDR war, nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland, ebenso eine Reaktion. Das Ziel die staatliche Einheit Deutschlands wieder her zu stellen, hielten beide Seiten formell aufrecht. In der Realität sollte dies aus Sicht der auf beiden Seiten Herrschenden jedoch nur unter der Voraussetzung der Übernahme der eigenen staatlichen Struktur möglich sein, wobei darauf hingewiesen werden muss, dass Stalin für die Schaffung eines neutralen Pufferstaates in Deutschland noch 1952 offensichtlich bereit war die SED-Alleinherrschaft zu opfern.
Privilegien und Machtkonzentration
Es kann in diesem Artikel nicht darum gehen die Entwicklung der Politik der DDR-Führung, ihre Zick-Zacks und verschiedenen Versuche auf ökonomische Schwierigkeiten einzugehen im Detail nach zu zeichnen. Entscheidend ist den Charakter und die grundlegenden Strukturen der DDR zu verstehen.
Das Mehrparteiensystem der DDR war eine schlechte Karikatur einer tatsächlich demokratischen Gesellschaft, in der die Freiheit zur Bildung politischer und gewerkschaftlicher Organisationen und Parteien existiert. Die Parteien waren in der ‘Nationalen Front zusammen geschlossen und erkannten die führende Rolle der SED an. So erklärte zum Beispiel der Hauptvorstand der Ost-CDU im Juli 1952, die CDU “erkennt die führende Rolle der SED als der Partei der Arbeiterklasse vorbehaltlos an. Sie ist überzeugt, dass der erfolgreiche Aufbau des Sozialismus in der DDR nur auf der Grundlage der fortgeschrittenen Wissenschaft (...) des Marxismus-Leninismus möglich ist.”
In der, ohnehin wenig einflussreichen, Volkskammer waren neben den Abgeordneten der Parteien auch VertreterInnen der so genannten Massenorganisationen - Gewerkschaften, Freie Deutsche Jugend etc. - vertreten. Letztere waren in ihrer übergroßen Mehrheit Mitglieder der SED, so dass diese immer über eine satte Mehrheit in der Volkskammer verfügte. Ohnehin aber gab es nur eine Einheitsliste zu wählen und keine Möglichkeit unabhängig gegen diese zu kandidieren. Die Macht der SED stützte sich in den ersten Jahren auf die sowjetische Besatzung. Georg Fülberth, Politikwissenschaftler und DKP-Mitglied, schreibt in seinem Buch über die deutsche Nachkriegsgeschichte ‘Finis Germaniae’: “Angesichts der Opfer, welche die SED der Bevölkerung abverlangte, war sie nicht populär. Die Partei war isoliert und wäre in freier Wahl deshalb gewiss abgewählt worden. Diese wurden darum durch weithin unfreiwillige Akklamation ersetzt. Für die erste Volkskammerwahl am 15.Oktober 1950 wurden wieder Einheitslisten der Nationalen Front aufgestellt. Auf den Stimmzetteln fehlten diesmal sogar die Kreise für Ja- und Nein-Stimmen.”
Die Opfer waren in der SBZ und späteren DDR jedoch ungleich verteilt. Es entwickelte sich eine bürokratische Kaste von Partei- und Staatsfunktionären, die erhebliche Privilegien und unkontrollierte Machtfülle genossen. Hermann Weber schreibt dazu: “Indessen formierte sich jedoch in der Zeit von 1949 bis 1953 in der DDR die gleiche ‘Oberschicht’, die in der UdSSR Machtpositionen besetzt und materiell privilegiert ist. Sie umfasst die hauptamtlichen Mitarbeiter von Partei, Staat, Sicherheitsorganen, Wirtschaft und Medien. Dabei spielte der Parteiapparat, seine hauptamtlichen Kader, die entscheidende Rolle. Dazu gehörten fast 2.000 zentrale Funktionäre und eine entsprechend große Anzahl von Bezirks-, Kreis- und Ortssekretären, von Redakteuren, Propagandisten und Instrukteuren. Für das Jahr 1950 registrierte die offizielle Statistik 111.000 Angestellte (und 30.000 Arbeiter) bei ‘politischen, sozialen und wirtschaftlichen Organisationen. (...) Der Hauptamtliche Apparat der SED, der die Partei befehligte und immer stärker deren entscheidender Motor wurde, wuchs ständig. (...) Materielle Privilegien erlangten vor allem die neuen Führungskräfte, die die Staatswirtschaft, d.h. die über 5.000 Industriebetriebe, die volkseigenen Güter, LPGs usw. anleitetet. Schließlich waren auch das Offizierskorps, SSD (Staatssicherheitsdienst, A.d.A.) und Justiz Teil der neuen Elite. Diese Oberschicht, die vermutlich eine halbe Million Menschen umfasste, unterschied sich mit ihren Familien deutlich von der Masse der Bevölkerung.”
Zweifellos, und darauf weisen Verteidiger der DDR gerne hin, waren die materiellen Privilegien der DDR-Bürokratie nicht vergleichbar mit dem ungeheuren privaten Reichtum, den die Kapitalistenklasse in der Bundesrepublik akkumulieren konnte. Robert Bechert zutreffend, warum dieser Vergleich aufgrund der unterschiedlichen sozialen Systeme hinkt: “Es gab in den stalinistischen Ländern, inklusive der DDR, ein anderes Bewusstsein als in den kapitalistischen Ländern. Im Kapitalismus gehört es dazu, dass es eine herrschende Klasse gibt, die die Macht und den Reichtum kontrolliert. In einem kapitalistischen System empfindet man es als normal, dass die Besitzer des Reichtums den größten Anteil abkriegen usw., auch wenn es Proteste gegen unmäßigen Reichtum und Privilegien geben kann. Dies ist ein Grund, warum der Sozialismus wiederholt als Alternative angesehen wurde.
Aber weil in den stalinistischen Staaten die wichtigsten Quellen des Reichtums verstaatlicht waren und die Regime ‘sozialistische’ Phrasen benutzten um ihre Herrschaft zu rechtfertigen, gab es unter den Massen eine tiefe Ablehnung der Privilegien der bürokratischen Spitzen. Es wurde keine Rechtfertigung für das sehr viel komfortablere Leben der Elite gesehen. Das war der Grund der Grund für die Parolen gegen Privilegien, die in der DDR-Revolution aufkamen. Deswegen untergrub die detaillierte Aufdeckung der Privilegien der Bürokratie und der Stasi das Regime nach dem November (1989, A.d.A.) so schnell. Das ist in Revolutionen in kapitalistischen Ländern nicht unmittelbar vorgekommen. Natürlich gab es im Falle der DDR weitere Faktoren. Zum Beispiel wurden die Protestierenden, die im Januar 1990 in die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße in Berlin eindrangen, dadurch erzürnt, dass sie in dem Gebäudekomplex Sonderläden, voll gestopft mit westlichen Waren und sogar einen Friseursalon nur mit westlichen Shampoos und Haarkuren fanden. Die Wut richtete sich gegen eine Elite, die sich selbst eine viel breitere Auswahl verschaffte während sie es jahrelang für jeden normalen DDR-Bürger in arbeitsfähigem Alter sehr schwierig machte, in den Westen zu reisen.
Die Dissidenten Reinhard Weisshuhn und Wolfgang Templin haben diesen Unterschied zusammen gefasst, als sie schrieben, ‘es ist schon bemerkenswert, dass der ‘kleine Mann auf der Straße’ einem ehemaligen Politbüromitglied schon den Volvo übel nimmt, während er des westlichen Bankers Privatjet für selbstverständlich hält.’”
SED-Struktur
Auch die SED selber war nicht nach den Prinzipien des demokratischen Zentralismus aufgebaut, wie sie selber behauptete, sondern eine straff von oben nach unten bürokratisch und hierarchisch organisierte Struktur. Der demokratische Zentralismus, den Lenin als Organisationsprinzip für die bolschewistische Partei entwickelt hatte und der sich auf das in der Arbeiterbewegung immer schon praktizierte Prinzip ‘demokratisch entscheiden, geschlossen handeln’ stützte, sah freie Debatte, Freiheit der Kritik, demokratische Meinungsbildungsprozesse und Wahlen der Funktionäre von unten nach oben vor. Hermann Weber beschreibt die Struktur der SED so: “Da die SED als Führungsorgan der DDR einen totalen Leitungsanspruch erhob, hatte eine geschlossene und zentralisierte Parteiorganisation höchste Priorität. Der straff hierarchische Zentralismus war (...) dominierendes Prinzip der Parteistruktur der SED und der Organisationsstruktur der DDR überhaupt. Diesen straffen Zentralismus sollte - laut Statut - die Wahl aller Parteiorgane mildern. Tatsächlich wurde jedoch weiterhin die stalinistische Methode praktiziert, nach der jeweils übergeordnete Apparate die Funktionäre der unteren Ebene benannte und einsetzte. Die übergeordneten Leitungen überprüften die Kandidaten für die Vorstände und Sekretariate, gaben Direktiven für die zu wählenden Kandidaten und nahmen über ihre Instrukteure unmittelbaren Einfluss auf die Wahlen. Eine Auswahl zwischen mehreren Kandidaten konnten die Delegierten in der Regel nicht treffen. Allein in den Betriebsparteiorganisationen, also auf der untersten Ebene, war ein minimales Mitbestimmungsrecht entstanden, weil nur so die vielfältigen Aufgaben durchzuführen waren.”
Waren diese bürokratischen Deformationen vermeidbar? Entscheidend für eine Bewertung der DDR ist, dass es von Seiten der Parteiführung gar keine ernsthaften Versuche gab, diese Deformationen zu vermeiden und eine sozialistische Arbeiterdemokratie zu errichten. SBZ und DDR waren von Beginn an als eine Diktatur über das Proletariat und nicht als Diktatur (im Sinne von Herrschaft) des Proletariats konzipiert. Die vielfältigen Ansätze sozialistischer Demokratie, von Massenaktivität und -initiative wurden durch die SMAD und die KPD/SED unterdrückt. Und der wiederholten Ausrufung von Sozialismus und Übergang zum Kommunismus durch die SED-Führung zum Trotz, war die Entwicklungsrichtung der gesellschaftlichen Strukturen keine in Richtung Sozialismus. Nach der marxistischen Auffassung des Übergangs zum Sozialismus, entsteht nach einer erfolgreichen Revolution ein Arbeiterstaat (in dem aber die ArbeiterInnen selber die Macht ausüben), der aber, weil er zum ersten Mal in der Geschichte der Staat der Bevölkerungsmehrheit und damit tatsächliche Demokratie ist, mit seiner Entstehung schon seinen eigenen Auflösungsprozess einleitet. Denn unter den Bedingungen wachsenden materiellen Wohlstands und sozialistischer Demokratie werden die Repressionsfunktionen eines Arbeiterstaates (die sich ohnehin nur gegen die Reste der alten herrschenden Kapitalistenklasse und deren Restaurationsversuchen richten müssten) immer weniger gebraucht und von einem Staatswesen kann zu einer freien Selbstverwaltung von Gesellschaft und Wirtschaft übergegangen werden. Zumindest müsste also eine Entwicklung in Richtung Sozialismus durch einen Abbau staatlicher Organe, sicherlich staatlicher Repression und eine Zunahme von demokratischer Selbstverwaltung gekennzeichnet sein. In der DDR war das Gegenteil der Fall. Der privilegierte bürokratische Apparat dehnte sich aus und entfernte sich immer mehr von der Masse der arbeitenden Bevölkerung, die Staatssicherheit baute ihren Spitzel- und Repressionsapparat bis in die achtziger Jahre weiter aus - und zwar gegen die eigene Arbeiterklasse.
In diesem Sinne war die DDR zu keinem Zeitpunkt ein Versuch eine sozialistische Demokratie zu errichten, denn die Entscheidungsträger in Moskau und der KPD/SED haben von Beginn an zentrale sozialistische Prinzipien gebrochen und eine bürokratische Herrschaft errichtet, die ihren Interessen als privilegierter bürokratischer Kaste entsprach. Das gilt natürlich nicht für all die SED-Mitglieder, ArbeiterInnen und Intellektuellen, die auf eine sozialistische Entwicklung hofften und im besten Wissen und Gewissen den Aufbau der DDR unterstützten. In diesem Sinne mag man sagen können, dass der Versuch einen Sozialismus von oben zu errichten gescheitert ist. Er musste aber scheitern, weil sein materieller Inhalt im Widerspruch zu tatsächlichem Sozialismus stand.
DDR-Wirtschaft
Die Ökonomie ist letztlich die entscheidende Basis jeder gesellschaftlichen Entwicklung. Das gilt auch für die DDR. Es wird oft darauf hingewiesen, dass die Ausgangslage der DDR-Wirtschaft schlechter war, als die Lage der Bundesrepublik. Das ist richtig, greift aber auch zu kurz. Der Osten war auch im Deutschen Reich industriell weniger entwickelt, als die spätere Bundesrepublik. Dazu schreibt Fülberth: “Im Gebiet der späteren DDR gab es im Norden eine stark landwirtschaftliche betonte Zone, Metallverarbeitung um Berlin, in Thüringen und Sachsen, Textilproduktion in Sachsen, seit dem Ersten Weltkrieg chemische Großindustrie in Sachsen-Anhalt, jedoch insgesamt keine Grundstoffindustrie und eigene Energiebasis. Das Land war auf Integration in den bisherigen gesamtdeutschen Kontext angewiesen. Noch nicht einmal eine ausreichende Zufuhr aus den ehemals deutschen, jetzt polnischen Kohlerevieren Oberschlesiens war in den ersten Jahren realistisch. (...) Sie musste also eine eigene Grundstoff-Basis schaffen. Dies geschah unter anderem durch massiven Braunkohle-Abbau und die Errichtung eines Eisenhütten-Kombinates an der Oder.”
Die besondere Erschwerung der Ausgangslage der DDR erfolgte aber durch die anti-sozialistischen Maßnahmen der massiven Reparationszahlungen an die Sowjetunion. Diese warfen die wirtschaftliche Entwicklung in der DDR zurück, waren aber auch von einem internationalen volkswirtschaftlichen Standpunkt unsinnig, da sie enorme Verschwendung bedeuteten (wenn man alleine an den Ab- und Aufbau von Produktionsanlagen und den zwangsläufigen Motivationsverlust unter ostdeutschen ArbeiterInnen denkt). Die Reparationen sind Ausdruck des engstirnigen, bürokratischen und nationalistischen Charakters der russischen Bürokratie. Eine Alternative dazu wäre die Bildung einer tatsächlichen sozialistischen Föderation der Sowjetunion, der DDR und anderer osteuropäischer Staaten gewesen und die Entwicklung eines gemeinsamen demokratischen Wirtschaftsplans. Dies hätte auf der Basis sozialistischer Rätedemokratien in diesen Ländern ein enorme Dynamik des Wiederaufbaus und eine Stärkung der Solidarität der Arbeiterklasse dieser Länder ausgelöst - und wäre damit gleichzeitig ein Impuls für die sozialistische Revolution im Rest Europas gewesen.
Nationale Frage
Die DDR stand vor der besonderen Herausforderung des Vergleiches mit der Bundesrepublik Die Bevölkerung der DDR war über familiäre und freundschaftliche Bande mit dem Westen im Kontakt. Bis zum Mauerbau 1961 konnten DDR-Bürger in die BRD reisen und sich - in den Jahren des ‘Wirtschaftswunders’ - ein Bild des besseren Angebots mit Konsumartikeln und der oftmals besseren Qualität der Waren machen. Die Bundesrepublik profitierte vom Marshallplan, litt nicht unter Arbeitskräftemangel und hatte eine höhere Arbeitsproduktivität. Wegen dieses Vergleichs werden die Leistungen der DDR-Wirtschaft oftmals unterschätzt. Es gelang der DDR aber eine beeindruckende industrielle Entwicklung insbesondere beim Aufbau der Schwerindustrie. Das Wirtschaftswachstum führte trotz Ineffizienz und bürokratischer Verschwendung auch zu einem Wachstum im Lebensstandard der Masse der Bevölkerung. Trotzdem strahlten die besseren Lebensbedingungen in der Bundesrepublik eine hohe Attraktivität für ostdeutsche ArbeiterInnen und AkademikerInnen aus und fast drei Millionen siedelten zwischen 1945 und 1961 in den Westen über. Der daraus entstehende Arbeitskräftemangel und die Sorge einer Implosion der DDR-Wirtschaft war der entscheidende Faktor für den Bau der Mauer 1961. Dieser als ‘antifaschistischer Schutzwall’ propagierte ‘eiserne Vorhang’ sperrte eine ganze Bevölkerung ein und schnitt sie von ihren Familien und FreundInnen im anderen Teil Deutschlands ab. Der Mauerbau musste einerseits die Entfremdung der Massen mit dem SED-Regime verstärken, andererseits führte er aber auch zu der Notwendigkeit der Arrangierung mit einem Leben in der DDR, wollte man nicht eine lebensgefährliche Flucht wagen. Eine ‚sozialistische Nation‘, wie von der SED ausgerufen, bildete sich in der DDR zu keinem Zeitpunkt. Die nationale Frage wurde nicht gelöst, auch wenn es in einem wachsenden Teil der Bevölkerung ein Selbstverständnis als DDR-BürgerInnen gab, was sich ja auch in der ersten Phase der revolutionären Bewegung im Herbst 1989 in der Parole „Wir bleiben hier“ ausdrückte.
Gleichzeitig entwickelten sich wichtige soziale Errungenschaften, die das Leben in der DDR mit bestimmten. Hierzu führt Georg Fülberth aus: “Schon die Arbeitskräfteknappheit hielt dazu an, die Berufstätigkeit der Frauen zu fördern: sie gehörte zur gesellschaftlichen Norm. Die Ganztagsbetreuung von Kindern im Vorschulalter war ebenso die Regel wie ein umfassender Mutterschutz. Betriebe richteten Krippenplätze und Kindergärten ein. Es galt ein - tatsächlich realisiertes - Recht auf Arbeit für alle Bürgerinnen und Bürger. Kündigungen gegenüber Beschäftigten durften nur ausgesprochen werden, wenn zugleich ein neuer Arbeitsplatz angeboten wurde. Die Mieten waren öffentlich-rechtlich normiert und niedrig, die Preise für Nahrungsmittel wurden durch staatliche Subventionen niedrig gehalten. Das System der sozialen Sicherung bestand in einer alle Gesellschaftsmitglieder umfassenden Volksversicherung.”
Die größere materielle Unabhängigkeit von Frauen in der DDR führte aber nicht zu einer größeren Rolle von Frauen in Staat und Partei. Die SED-Führung war ein Alt-Herren-Club. Frauen in Ministerinnenämtern waren an einer Hand abzulesen, im Politbüro war keine einzige Frau vertreten. Dies ist auch ein Ausdruck davon, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse eher denen einer bürgerlichen Gesellschaft ähnelten, als den Vorstellungen, die man von einer auf individueller Freiheit basierenden sozialistischen Demokratie haben kann.
Natürlich empfinden ehemalige DDR-Bürger die kapitalistische Gesellschaft als roher und härter als die DDR, denn die alle Lebensbereiche durchziehende Konkurrenz fördert Ellenbogenmentalität und Egoismus. Aber eine harmonisches, freies und selbstbestimmtes Leben gab es nun einmal nicht. Die Stellung der Frau in der Wirtschaft entsprach nicht ihre Stellung in der Familie. Hier gab es weitgehend die selbe Rollenverteilung, wie im Westen. Die Jugend wurde in FDJ-Hemden gesteckt und konnte nicht unbeschwert und kritisch ihre eigenen Erfahrungen selbstbestimmt verarbeiten, kreativ und schöpferisch tätig sein.
Mit der wachsenden Notwendigkeit das Angebot an Konsumgütern zu erhöhen geriet die bürokratische Kommandowirtschaft in immer größere Schwierigkeiten. Die Wirtschaftspolitik der SED ist durch einen Zick-Zack-Kurs gekennzeichnet, den wir hier nicht nachzeichnen können. Aber egal, ob es in den sechziger Jahren Versuche der Einführung von Marktelementen gab oder diese wieder zurück genommen wurde - der grundsätzliche Charakter einer von oben nach unten organisierten Wirtschaft ohne demokratische Kontrolle und Einflussmöglichkeiten für die Beschäftigten und KonsumentInnen blieb immer erhalten. Je komplexer die Anforderungen an die Wirtschaft wurden, desto schwerer wiegte dieses Problem. Denn natürlich ist es einfacher mit zentralistisch-bürokratischen Methoden ein Stahlwerk hochzuziehen, als die vielfältigen Bedürfnisse des individuellen Konsums von Millionen von Menschen zu erfassen und in der Produktion zu befriedigen. Das bedarf der Einbeziehung dieser Menschen in den Produktionsprozess, was nicht erfolgte.
In einem Artikel zum zehnjährigen Jubiläum der DDR-Revolution schrieb René Henze in der VORAN (Vorgängerzeitung der ‘Solidarität - Sozialistische Zeitung’): “Ein Beispiel für die fatale Wirkung bürokratischer Herrschaft war die Zahlen-Fälscherei. In der DDR war es Gang und gäbe, Bilanzen zu frisieren. Der Abteilungsleiter schönte seinen Bericht für den Betriebsleiter, der wiederum legte dem Bezirkssekretär der Partei einen guten Bericht vor und der meldete nach Berlin die Übererfüllung des Plans. Für manche Leser im Westen hört sich das absurd an (war es ja eigentlich auch), doch in der DDR gab es dahinter einen Sinn. Denn wenn der untere Bürokrat dem Oberen schlechte Nachrichten gebracht hätte, dann hätte es nicht nur unangenehme Fragen gegeben, sondern das hätte auch den Posten kosten können. Und dann wäre das angenehme Leben, das höhere Gehalt, die Privilegien und die Macht von einem Tag auf den anderen futsch gewesen. Es ist kein Zufall, dass die DDR sich immer mit dem Schriftsteller Kafka und seinen Schilderungen über Bürokraten sehr schwer tat. Für eine eng vernetzte Wirtschaft ist beispielsweise auch der ungehinderte Austausch von Informationen unabdingbar. In der DDR war schon der unkontrollierte Einsatz von Kopierern ausgeschlossen - aus Angst, darauf könnten ja auch regime-kritische Flugblätter vervielfältigt werden.”
Arbeiteraufstand und Opposition
Opposition gab es in der DDR immer wieder. Die SED-Führung ließ mehrmals Säuberungen in Mitgliedschaft und Funktionärskörper durchführen, um sich kritischer oder potenziell kritischer Mitglieder zu entledigen.
Im Juni 1953 explodierte dann der Unmut in der Arbeiterklasse über mangelnde demokratische Rechte, schlechte Arbeitsbedingungen und die Teilung Deutschlands. Ende Mai hatte die SED-Führung eine zehnprozentige Normerhöhung in den Betrieben angeordnet. Gleichzeitig war aber ein ‘Neuer Kurs’ beschlossen worden, der Zugeständnisse an Handwerker und Selbständige machte, nur nicht an die ArbeiterInnen. Während im SED-Zentralorgan am 14. Juni 1953 ein kritischer Artikel zu den Normerhöhungen erschien, brachte ausgerechnet das Gewerkschaftsblatt ‘Tribüne’ am 16. Juni einen Rechtfertigungsartikel. Die Empörung über diesen Artikel brachte das Fass zum Überlaufen und ausgehend von den Baustellen auf der damaligen Stalinallee in Ostberlin entwickelte sich der Arbeiteraufstand vom 17. Juni, der durch das sowjetische Militär nieder geschlagen wurde. Zuerst schickten die Arbeiter eine Resolution für die Rücknahme der Normerhöhungen an den Ministerpräsidenten Grotewohl, in der sie schrieben der ‘Neue Kurs’ habe nur den Kapitalisten etwas gebracht, nicht aber den Arbeitern. Eine Demonstration am 16. Juni begann mit 300 Beteiligten auf der Stalinallee und wuchs bis zum Haus der Ministerien auf 10.000 Menschen an. Von der Forderung nach Rücknahme der Normerhöhungen ausgehend entwickelten sich schnell politische Forderungen inklusive der nach dem Rücktritt der Regierung und nach freien Wahlen. Innerhalb von 24 Stunden legten ArbeiterInnen in der ganzen DDR die Arbeit nieder, bildeten in vielen Betrieben demokratisch gewählte Ausschüsse und Streikkomitees und gingen massenhaft auf die Straße. In 250 Orten kam es zu Streiks und Demonstrationen. Die Rücknahme der Normerhöhungen konnte der Bewegung nicht mehr den Wind aus den Segeln nehmen. Dies geschah durch russische Panzer.
Bertolt Brecht, der den Aufstand nicht unterstützte, verfasste nach seiner Niederschlagung folgendes Gedicht mit dem Titel ‘Die Lösung’:
Nach dem Aufstand des 17. Juni
Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands
In der Stalinallee Flugblätter verteilen
Auf denen zu lesen war, dass das Volk
Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
Und es nur durch verdoppelte Arbeit
Zurückerobern könne. Wäre es da
Nicht doch einfacher, die Regierung
Löste das Volk auf und
Wählt ein anderes?
Der Arbeiteraufstand des 17. Juni war eine spontane Massenbewegung der Arbeiterklasse in der DDR. Er war weder vom Westen gesteuert, noch gingen die ArbeiterInnen für eine Wiedereinführung des Kapitalismus auf die Straße. Er ist der deutlichste Beleg dafür, dass die DDR kein demokratischer Arbeiterstaat, keine sozialistische Demokratie und die SED keine sozialistische Arbeiterpartei war. Gleichzeitig markiert er eine Zäsur für das Verhältnis zwischen SED und Arbeiterklasse. Nicht wenige ehrliche SozialistInnen kehrten der SED nach dem 17. Juni ihren Rücken und wandten sich nie wieder um.
Harich, Biermann, Bahro
In den folgenden 33 Jahren bis zur revolutionären Massenbewegung des Jahres 1989 gab es immer wieder die Herausbildung oppositioneller Gruppen, aber keine vergleichbare Massenopposition der Arbeiterschaft. Oppositionelle Strömungen entwickelten sich eher unter Intellektuellen und der Jugend.
1956 wagte der Philosoph Wolfgang Harich es dem sowjetischen Botschafter ein Memorandum für eine Demokratisierung der DDR und eine Ablösung Ulbrichts zu überreichen. Harich und andere wurden 1957 verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Der Philosoph Ernst Bloch, um den herum sich in Leipzig ein kritischer Diskussionskreis gebildet hatte, wurde 1957 gegen seinen Willen emeritiert und ging später in die Bundesrepublik. Er schrieb daraufhin in einem Brief an den Präsidenten der Akademie der Wissenschaften: “In den ersten Jahren meiner Universitätstätigkeit erfreute ich mich ungehindert der Freiheit des Wortes der Schrift und der Lehre. In den letzten Jahren hat sich diese Situation zunehmend geändert. Ich wurde in Isolierung getrieben, hatte keine Möglichkeit zu lehren, der Kontakt der Studenten wurde unterbrochen, meine besten Schüler wurden verfolgt, bestraft, die Möglichkeit für publizistisches Wirken wurde unterbunden, ich konnte in keiner Zeitschrift veröffentlichen, und der Aufbau-Verlag in Berlin kam seinen vertraglichen Verpflichtungen meinen Werken gegenüber nicht nach. So entstand die Tendenz, mich in Schweigen zu begraben.”
In ähnlicher Art und Weise wurden auch in den sechziger und siebziger Jahre kritische Künstler und Wissenschaftler gegängelt, verfolgt oder aus der DDR ausgewiesen. Der Liedermacher Wolf Biermann, der sich grundsätzlich zur DDR bekannte, wurde 1976 nach einem Konzert in Köln, für das er eine Reisegenehmigung erhalten hatte, ausgebürgert. SchriftstellerInnen, die sich mit Biermann solidarisierten wurden aus der SED ausgeschlossen und erhielten kaum noch Möglichkeiten ihre Werke zu veröffentlichen.
1977 wurde dann das Hauptwerk Linksoppositionellen Rudolf Bahro, ‘Die Alternative’, in der Bundesrepublik veröffentlicht, nachdem es kein DDR-Verlag veröffentlichen wollte. Bahro unternimmt darin eine Kritik der DDR aus sozialistischer Perspektive. Er wurde verhaftet, zu acht Jahren Gefängnis verurteilt und nach massiven Protesten 1979 aus der Haft und der DDR in die Bundesrepublik entlassen.
Der Charakter all dieser genannten, und vieler ungenannter, Oppositioneller war nicht pro-kapitalistisch. Sie propagierten keine Restauration des Kapitalismus und keinen Anschluss an die BRD. Sie stellten nur die Alleinherrschaft der SED, ihre Methoden und die Struktur der DDR in Frage. Die stalinistische Bürokratie konnte sich darüber jedoch keine Debatte erlauben, weil jede ehrliche Diskussion auf sozialistischer Basis die Machtfülle und Privilegien der Bürokraten grundsätzlich in Frage gestellt hätte.
Der Niedergang der DDR basierte auf ihrem bürokratisch-diktatorischen Charakter. Dieser musste die eigene Bevölkerung immer mehr entfremden und führte gleichzeitig zu enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, Stillstand, Versorgungsengpässen, was wiederum den Unmut in der Bevölkerung verstärkte. 1989 brach dieser sich Bahn und fegte Honecker und das SED-Regime wie ein Kartenhaus hinweg.
Für MarxistInnen und in der Auseinandersetzung innerhalb der Linken und in der Arbeiterbewegung ist eine unzweideutige Haltung zur DDR von großer Bedeutung. Für viele ArbeiterInnen ist es immer noch eine wichtige Frage, wie man es mit dem SED-Regime hält. Deshalb ist es keine Kleinigkeit, ob man der Meinung ist, dass die DDR an Fehlern der SED-Führung oder dem Druck des Westens zugrunde gegangen ist oder ob man die Haltung vertritt, dass das stalinistische System selber der Fehler war.
Der Trotzkist Willy Boepple war nach dem Zweiten Weltkrieg Mitglied des Zentralkomitees der KPD und des gemeinsamen Parteivorstands von KPD und SED, bevor er sich der Vierten Internationale anschloss. 1990 schrieb er einen Brief an den schon zitierten DKP-Mann Georg Fülberth, der damals einen Artikel über die DDR veröffentlicht hatte: “Wer wie ich die damalige erste Garnitur der KPD (später SED) hautnah erlebt und gesehen hat, wie willen- und bedingungslos sich die große Mehrheit der Parteielite der ‘Macht des Faktischen’ gebeugt hat, ja sogar wider besseres Wissens gehandelt und schwadroniert hat, der weiß, dass es sich bei dem Elend der DDR (...) um die politische Praxis einer Parteiführung [handelt], die weder fähig noch willens war, eine sozialistische Demokratie zu entwickeln. (...)
Deshalb mein entschiedener Widerspruch gegen Deine Erklärung, ‘der Reale Sozialismus’ sei nach den utopischen Kommunisten in den USA und nach der Pariser Kommune der ‘dritte versuch eines Ausbruchs aus dem Kapitalismus’ gewesen. Erstens waren die Sowjetunion und die anderen Länder des ‘real existierenden Sozialismus’ einschließlich der DDR keine sozialistischen Gesellschaftsformationen (auch wenn man einschränkend die Worte ‘real existierend’ oder einfach ‘Real’ hinzufügt), sondern reale, brutale und - historisch gesehen - reaktionäre Diktaturen auf nichtkapitalistischer wirtschaftlicher Grundlage. (...) Die toten Kommunarden haben es nicht verdient, mit den Figuren der Ulbricht-Clique auf eine Stufe gestellt zu werden.”
Dem ist nur eins hinzuzufügen: Wäre die DDR sozialistisch gewesen, hätte der Westen eine Mauer errichtet.