Mi 17.06.2009
Diese EU-Wahl hat vor dem Hintergrund der tiefsten Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren stattgefunden und europaweit hat die Linke nur ein schwaches Lebenszeichen von sich gegeben. In Österreich war bei Vielen die erste Reaktion auf das EU-Wahlergebnis ein Aufatmen – die FPÖ hat weniger bekommen als befürchtet. Aber erfreulich ist das Ergebnis nicht (mit wenigen internationalen Ausnahmen) und auch in Bezug auf die Gefahr des Rechtsextremismus kann keine Entwarnung gegeben werden.
Ursachen des Wahlergebnisses
Das Wahlergebnis ist: Eine niedrige, aber nicht gesunkene Wahlbeteiligung, insgesamt haben weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben (45,34%). Ein Totalabsturz der SPÖ mit dem Verlust von rund 10.%, Verluste bei der ÖVP, die aber nun um rund 6 Prozentpunkte vor der SPÖ und bei knapp 30% liegt. Insgesamt wurden die Regierungsparteien nur von einem Viertel der Wahlberechtigten gewählt. Die FPÖ blieb zwar hinter verschiedenen Erwartungen zurück verdoppelte sich aber auf über 13%. HPM konnte sein Ergebnis von 2004 noch ausbauen und erhielt knapp 18% und liegt damit an 3er Stelle. Die Grünen verloren und fielen unter 10% und liegen damit auf dem 5en Platz. BZÖ, KPÖ und JULI schnitten schlecht ab.
Der starke Verlust der SPÖ bestätigt die Analyse der SLP, dass die SPÖ keine ArbeiterInnenpartei mehr ist – und auch nicht als solche wahrgenommen wird. Nur 64% der SPÖ-WählerInnen haben sie auch das letzte Mal gewählt. Offensichtlich gab es nicht einmal mehr ein starkes „SPÖ als kleineres Übel wählen“ Motiv. Dies drückt die Abgehobenheit und Entfremdung der SPÖ von ihrer ehemaligen Basis, den ArbeitnehmerInnen aus. Es gab Zeiten, da hatte die SPÖ rund 700.000 Parteimitglieder – bei dieser Wahl hatte sie gerade mal 670.000 WählerInnen. Es zeigt auch, dass die WählerInnen der pseudo-sozialen Rhetorik der SPÖ-Führung nicht glauben. Sie durchschauen die recht durchsichtigen Manöver der SPÖ-Führung die verbal versucht, sich als „sozial“ zu präsentieren, gleichzeitig aber munter weiter Angriffe gegen ArbeitnehmerInnen, ihre Familien und gegen Jugendliche führt. Das zeigt sich auch darin, dass die SPÖ-Verluste gerade in ArbeiterInnenbezirken und Industriegebieten besonders hoch sind. Die ÖVP hat ihren Charakter weniger verändert als die SPÖ – sie war früher eine bürgerliche Partei und ist das auch heute noch. Sie kann daher ihre StammwählerInnen weit besser halten als die SPÖ.
HPM ist kein „linker“ Kandidat aber sein gutes Abschneiden drückt die Unzufriedenheit mit dem Establishment, mit „denen da oben aus“ – und zeigt damit auch, welches Potential für eine neue Partei da wäre. Laut dem Forschungsinstitut Sora ist das „wichtigste Motive, nicht an der Wahl teilzunehmen, … die Enttäuschung über die EU und ihre Politiker und Unzufriedenheit mit dem Angebot an Parteien und Politikern in Österreich.“
Auch wenn die FPÖ schlechter abgeschnitten hat, als in manchen Umfragen – rund 370.000 Menschen, die der FPÖ wegen, oder auch nur trotz ihres offen rassistischen und in den letzten Tagen auch mit antisemitischen Versatzstücken behafteten Wahlkampfes ihre Stimme gegeben haben, sind eine Bedrohung. Insbesondere auch, da das Protestpotential gegen die EU sich bei HPM offensichtlich gut aufgehoben fand, sind die der FPÖ verbliebenen WählerInnen zu einem größeren Anteil „ÜberzeugungstäterInnen“. Unter Hinzuzählung des BZÖ haben knapp eine halbe Million Menschen ihre Stimme rechts-außen Parteien gegeben!
Auch das Ergebnis der Grünen zeigt: je „normaler“ und etablierter sich eine Partei gibt bzw. gesehen wird, umso unattraktiver ist sie außerhalb der StammwählerInnen.Das gilt im Kleinen auch für die KPÖ, die das Potential für eine linke Kraft bei weitem nicht ausschöpfen konnte.
Konsequenzen des Wahlergebnisses
Der Ton innerhalb der Koalition wird rauer werden – die ÖVP wird versuchen, dass geänderte Kräfteverhältnis auch auf die Bundesebene umzulegen. Es ist noch offen, ob sie dies durch Neuwahlen versucht, oder vor diesen wegen Krise und drohender Stärkung der FPÖ zurückschreckt oder ob sie „nur“ die Gangart in der Koalition verschärfen wird. Aber sie wird jede Chance, die sich ihr bietet nuten – auch im Hinblick auf die Landtagswahlen im Herbst (Vorarlberg und OÖ) – um Positionen zu besetzen und Inhalte durchzubringen. Vorgezogene Neuwahlen sind durch das Ergebnis zwar wahrscheinlicher geworden, aber die österreichische Wirtschaft braucht zzt eine stabile Regierung als Unterstützung gegen die Krise. Und da die SPÖ ihre noch vorhandenen Einfluss im ÖGB dazu nutzt, diesen wie eh und je zu bremsen, ist sie für die Wirtschaft (und die ÖVP) der stabilere Partner als die unberechenbare und unter dem Druck von rechten Ideologen und einer gewissen WählerInnenschaft stehende FPÖ. Und bei einer geschwächten SPÖ die Panik vor Neuwahlen hat lassen sich die gewünschten Angriffe der Unternehmer noch leichter durchsetzen.
In der SPÖ wird sich die interne Krise durch das Wahlergebnis und die nun wohl kommende Serie von Kniefällen vor der ÖVP (aus Angst vor Neuwahlen) verstärken, aber kaum zu einer Lösung führen. Die Flügelkämpfe werden immer und immer wieder aufbrechen aber die Angst vor Neuwahlen und ihrem wahrscheinlich katastrophalen Abschneiden der SPÖ schweißt die SPÖ zusammen und stabilisiert Faymann. Eben weil Voves, Haider & Co. nicht für einen grundsätzlich anderen Kurs stehen sondern nur stärker ein populistisches Element in der SPÖ vertreten und die SPÖ zwar Einfluss auf den ÖGB hat, sich gewerkschaftlicher Druck aber nicht in der SPÖ widerspiegelt (die Beziehung also eine Einbahnstrasse ist), wird sich um sie kein organisierter linker Flügel in der SPÖ bilden. Die Debatten werden entlang von zwei Linien (die oft auch gegeneinander auftreten werden) erfolgen: sich „sozialer“ präsentieren (Stichwort: Vermögenssteuer), sich „gegen die FPÖ abgrenzen“ (Stichwort: mit oder gegen die FPÖ?) In der Praxis wird sich wohl meist ein pragmatischer Kurs (für die Vermögenssteuer gibt es keine Mehrheit und die FPÖ braucht man manchmal für Mehrheiten) durchsetzen – ein Kurs der in letzter Konsequenz die SPÖ weiter schwächen und die FPÖ weiter stärken wird. Gerade die jüngste Positionierung der SPÖ zu Migrationsthemen (Zustimmung zur Fekter-Verschärfung für AsylwerberInnen, Hausordnung in Wien etc) zeigen, dass von einer „linkswende“ keine Rede sein kann.
Die FPÖ hat festgestellt, dass ihr Austesten, wie weit sie mit Rassismus und Antisemitismus gehen kann, nicht wirklich geschadet hat – dieser Kurs wird also fortgesetzt werden. Sie hat aber das Protestpotential bei weitem nicht voll ausgeschöpft. Die Wählerstromanalysen besagen, dass die FPÖ den größten Teil der Stimmen von HPM (55.000) und von NichtwählerInnen (191.000) gewonnen hat und mehr an das BZÖ abgeben musste (28.000) als sie von der SPÖ gewonnen hat (26.000). Offen ist noch, wie die FPÖ intern das Ergebnis – das unter den eigenen Erwartungen liegt – bilanziert und künftig das Verhältnis zwischen ideologischen Zielen von rechts-rechts-außen und Stimmenmaximierung definiert. Es könnte daraus eine gewisse Verschiebung der Prioritäten hin zu mehr (pseudo)-Anti-Establishment folgen. Vor dem Hintergrund, dass es bei Nationalratswahlen bzw. Regionalwahlen den für die FPÖ verkomplizierenden Faktor HPM aber nicht gibt, wird die FPÖ im wesentlichen an ihrem Kurs festhalten. Das aggressive Auftreten der FPÖ im Wahlkampf sowie ihrer AnhängerInnen aus dem Neonazi-Lager hat offensichtlich keine negativen Folgen für das Wahlergebnis gebracht. Das schlechte Abschneiden des BZÖ bzw. die regionale Arbeitsteilung zwischen FPÖ und BZÖ wird der Diskussion über ein CDU-CSU-Modell neue Nahrung geben.
Was wäre möglich
Auch wenn die Wahlbeteiligung in ganz Europa niedrig war und es im Wesentlichen eine Stärkung der Rechten gegeben hat, zeigen einzelne Ergebnisse auch, was möglich gewesen wäre. Besonders hervorstechend sind die guten Ergebnisse des Linksblocks in Portugal (10,7%) sowie der „Volksbewegung gegen die EU“ in Dänemark (7,18%) und v.a. der Wahlsieg von Joe Higgins von der irischen Socialist Party, der Schwesterpartei der SLP. Joe, bzw. die SP, erzielte 50.510 (12.4%) Direktstimmen in Dublin und konnte damit das Ergebnis von 2004 mehr als verdoppeln und letztlich ein Mandat erringen.
Das Erstarken der Rechten und die Tatsache, dass es zwar eine Reihe von guten Ergebnisse für Linke, aber keinen generellen Linksruck gegeben hat, hat seine Ursache im Fehlen von verankerten ArbeiterInnenparteien mit einem sozialistischen Programm. Die traditionell bürgerlichen Parteien sind durch die bislang schwachen Klassenkämpfe gegen die Krise in einer guten Startposition. Neue linke Formationen fehlen bzw. dort, wo es sie gibt setzen sie auf ein soziales Reformprogramm dass die Wurzeln der Krise nicht angreift und in der Praxis keine Antworten auf die soziale Katastrophe der Krise bietet. Die LINKE in Deutschland z.B. blieb aufgrund eines solchen, angepassten Programms und Auftretens hinter ihrem Ergebnis bei den letzten Bundestagswahlen zurück.
Joe Higgins hingegen hat eine lange Geschichte von Kämpfen in der ArbeiterInnenbewegung – er ist als Sozialist, als Gemeinderat und als Parlamentarier immer konsequent auf der Seite von ArbeiterInnen gestanden und ein sozialistisches und klar antikapitalistisches Programm vertreten. Er hat Arbeitskämpfe aktiv unterstützt, Streiks eine Stimme gegeben und sich immer von Verhaberungs- und Vereinnahmungsversuchen durch die Etablierten ferngehalten. Selbst die KPÖ beruft sich positiv auf die langjährige Tradition von Joe, von seinem Abgeordnetengehalt nur einen Durchschnittslohn zu behalten (die KPÖ „vergisst“ allerdings zu erwähnen, dass Joe Mitglied der Schwesterpartei der SLP ist und versucht sogar eine Darstellung, Joe würde von Kaltenegger abschauen…)
Das schlechte Abschneiden der KPÖ in Österreich ist auf den Alleinvertretungsanspruch der KPÖ, die wieder einmal kein Interesse an einem gleichberechtigten linken Bündnis hatte zurück zu führen. Die Ursache liegt aber auch darin, dass es mit der FPÖ einen verkomplizierenden Faktor und mit dem Fehlen von Klassenkämpfen eine Verzögerung der Reaktionen auf die Krise gibt. Die KPÖ hat aber nicht einmal das vorhandene Potential ausgeschöpft. Sie beklagt, dass wirtschaftliche Themen nur eine „untergeordnete Rolle“ gespielt haben und der Rassismus der FPÖ dominiert hat. Gleichzeitig hat die KPÖ aber bei allen (uns bekannten) Mobilisierungen gegen die FPÖ durch Abwesenheit geglänzt.
Wichtig ist es nun alle Proteste gegen Lohnkürzungen, Arbeitszeitverlängerung, Stellenabbau und Betriebsschließungen offensiv zu unterstützen. In diesen Protesten liegt ein möglicher Startpunkt für den Aufbau einer neuen, linken Kraft in Österreich. Die Tatsache, dass die SPÖ (im Gegensatz zu früheren Wahlen) nicht in erster Linie an die FPÖ, sondern an NichtwählerInnen bzw. HPM verloren hat zeigt auch, dass es in der ArbeiterInnenklasse ein großes Potential für eine solche neue Partei gibt.
Die SLP sieht es als ihre Aufgabe, Proteste gegen die Angriffe auf die AbeiterInnenklasse zu unterstützen und hier auch mit KollegInnen in der SPÖ zusammen zu arbeiten, die gegen den Kurs ihrer Parteiführung auftreten. Die SLP tritt innerhalb des ÖGBs für einen kämpferischen Kurs ein und betont dort wie auch in den Aktionen gegen die rechtsextreme FPÖ die Notwendigkeit des Aufbaus einer neuen Partei für ArbeiterInnen und Jugendliche mit sozialistischem Programm und unterstützt jeden konkreten Schritt dafür.