Mo 05.03.2007
Liebe KollegInnen und GenossInnen,
wir schreiben diesen Brief und wählen diese Anrede, weil wir meinen, dass uns die Ziele einer gerechteren Welt und die Ablehnung des aktuellen Regierungsprogrammes verbinden – selbst wenn wir in unterschiedlichen Organisationen Mitglied sind. Die Liste der gebrochenen Wahlversprechen und der geplanten Verschlechterungen für Beschäftigte&Arbeitslose, sozial Schwache, Jugendliche&PensionistInnen, Frauen&MigrantInnen hier aufzuzählen erübrigt sich – hierüber herrscht weitgehend Konsens.
Wir teilen den Unmut und begrüßen den Widerstand der sich gegen diese Politik entwickelt hat. Wir haben so weit wie möglich an den bisherigen Diskussionen und Protesten teilgenommen. Wir halten es aber auch für wichtig darüber zu diskutieren, wie verhindert werden kann, dass die Wut zur Passivität und dem Rückzug aus politischer Arbeit wird, wie der Widerstand intensiviert und erfolgreich sein kann.
Den 1. Mai gegen die Angriffe der Regierung nutzen und sich nicht zum linken Feigenblatt von Gusenbauer&Co machen lassen!
Der 1. Mai ist der traditionelle Kampftag der ArbeiterInnenbewegung. Soll sich der Widerstand gegen die SPÖ-Führung auf nicht-hingehen bzw. ein paar oppositionelle Transparente beschränken? Wir schlagen eine gemeinsame Aktion von Jugendlichen, ArbeitnehmerInnen und MigrantInnen – egal ob in- oder außerhalb der Sozialdemokratie – vor, die sich klar gegen das Regierungsprogramm wendet und die auch ein Angebot an jene z.B. tausenden Studierenden ist, die nicht Teil der Sozialdemokratie sind.
Als Termin für eine Vorbesprechung schlagen wir Freitag den 9. März um 18.00 im „Amerlinghaus“ (Wien 7 – Stiftgasse 8) vor (wobei weder Ort noch Zeitpunkt ein „Dogma“ sind).
Aufbau einer organisierten Opposition in der SPÖ?
Wir haben die Ansätze beobachtet, die sich in den sozialdemokratischen (Vorfeld-)Organisationen entwickelt haben. Objektiv sind die Möglichkeiten einer SPÖ-Linken jetzt Einfluss auf den Kurs der Partei zu finden schlechter als je zuvor, da die historische Basis der Partei selbst (also die ArbeiterInnenschaft) das Parteigeschehen des Kanzlervereins längst nicht mehr entscheidend prägt. Nichts desto trotz haben sich binnen kurzer Zeit mehrere hundert linke AktivistInnen aus den Jugendorganisationen und der FSG massiv zu Wort gemeldet und erstmals sogar Ansätze zu einer Vernetzung geschaffen. Die Frage ist: Wohin gehen diese Ansätze? Orientieren sie sich weiter am „Wohl der Partei“ und betonen, dass sie eigentlich dazu da wären, noch mehr Austritte zu verhindern. Oder orientieren sie sich am „Wohl sozialistischer Politik“ und sehen die sozialistischen Kräfte außerhalb der SPÖ als strategische Bündnispartner? Entsteht hier ein organisierter linker Flügel, mit einem sozialistischen Programm der – im Bündnis mit der außerparteilichen Linken - die Machtfrage in der Partei stellt? Oder sind es eher nur Internetforen mit freundlicher Duldung der Parteiführung zum Dampfablassen?
Wir denken, dass eine Opposition darüber hinausgehen muss, wenn sie erfolgreich sein will. Im Rahmen der ÖGB-Krise gab es bei „Zeichen setzen“ zwar immerhin ein Diskussionsforum (das es bei „Wir sind SPÖ“ nicht einmal für SPÖ-Mitglieder gibt), aber leider auch keine Treffen, Veranstaltungen, Konferenzen, um Strukturen heraus zu bilden. Das hat sich beim ÖGB-Kongress gerächt, wo die Ergebnisse der Mitgliederbefragung und der Regionalkonferenzen in einem müllkontainerähnlichem Gefäß präsentiert und real ignoriert wurden.
„Wir sind SPÖ“ wurde bisher von rund 1500 Menschen unterschrieben. Wir haben aber den Eindruck, dass die InitiatorInnen Treffen ablehnen und auch nicht den Aufbau einer organisierten Opposition anstreben. Es ist nicht klar, wer für die politische Ausrichtung der Homepage verantwortlich ist, ob diese Initiative demokratische Strukturen hat, wird zumindest nicht veröffentlicht. Ein Grund für den Unmut vieler gegen die SPÖ ist auch, dass sich die Parteiführung über die Interessen und auch Beschlüsse der Basis hinwegsetzt – eine Opposition muss hier demokratischer agieren. Wenn sich aus „Wir sind SPÖ“ keine organisierte Opposition entwickelt, verkommt diese Initiative zu einem linken Feigenblatt für Gusenbauer&Co. das letztlich nur ein Ergebnis haben wird – nämlich zu verhindern, dass noch mehr Menschen aus der SPÖ austreten.
Wir denken auch, dass es nicht reicht, die Proteste auf inner-parteiliche Strukturen zu beschränken bzw. zu konzentrieren. Bei der Angelobung der Regierung waren mehrere tausend Menschen, die protestiert haben. Die meisten Studierende, die Minderheit Mitglied in irgendeiner sozialdemokratischen Organisation. Welches Angebot gibt es für sie, den Widerstand weiter zu führen?
Die Positionen sind keineswegs einheitlich. Sie reichen z.B. von „Wenn man für die Bildung einer Regierung einen Partner braucht, muss man Kompromisse eingehen.“ (Ex-GPA-Chef Hans Sallmutter und Unterstützer von „Wir sind SPÖ“) bis zur Forderung nach einer Minderheitsregierung durch die Sozialistische Jugend. Wie steht es mit der Forderung nach der vollständigen Rücknahme der Pensionsreform, nach einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn, einem Mindestlohn, der Rückname von Verschlechterungen im Bildungswesen unter dem Deckmantel der „Autonomie“, nach einem Stop der Ausgliederungen und Privatisierungen auf nationaler aber auch regionaler Ebene, nach einem Ende des Stellenabbaus im öffentlichen Dienst, der die Einkommenssituation von Frauen weiter verschlechtert, der Rücknahme der rassistischen Gesetze der letzten Jahrzehnte sowie die volle sozialen und demokratische Gleichstellung von allen Menschen, die hier leben...?
Die inhaltliche Debatte über diese, und andere, Punkte ist unserer Ansicht nach ebenso wichtig wie die Frage „Wie die Angriffe verhindern“. Es ist schade, dass eine breite Teilnahme am ÖGB-Kongress mit dem Versuch, BündnispartnerInnen gegen dieses Regierungsprogramm zu organisieren, nicht stattgefunden hat. Aber „der Zug“ ist noch nicht abgefahren.
WIE und WO können die traditionellen Werte der SPÖ verteidigt werden?
Wir verstehen den Wunsch, die SPÖ für ihre ursprünglichen Ziele zurückzugewinnen. Tatsache ist, dass sich die SPÖ nicht erst heute davon verabschiedet hat. Die Belastungspakete, Privatisierung und die rassistische Politik der 1990er Jahre unter SPÖ-Kanzler dürfen nicht vergessen werden. Schon seit Jahren betreibt die SPÖ selbst dort, wo sie eine deutliche Mehrheit bzw. die Absolute hat, Sozialabbau (z.B. in Wien die Ausgliederung des Sozialbereiches). In den letzten Jahrzehnten hat sich rund die Hälfte aller Mitglieder von der SPÖ verabschiedet. Die Wut über das Regierungsprogramm und die geplanten Angriffe führen zu weiteren Austritten. Nicht diese Menschen haben sich von den ursprünglichen Idealen der Sozialdemokratie als ArbeiterInnenpartei verabschiedet – sondern die SPÖ. Die Entwicklung der SPÖ zu einer Sozialabbau-Partei war verknüpft mit einer (bewussten) Ausdünnung der Basisressourcen, sowie der Zurückdrängung des Gewerkschaftseinflusses.
Wenn die Angriffe auf Lehrlinge, Arbeitszeit, Bildung etc. konkreter werden, stellt sich für GewerkschafterInnen und die AktivistInnen in den Jugendorganisationen die Frage, wie darauf reagieren? Wenn es zu einer Jugendbewegung oder Arbeitskämpfen kommt, werden sich Mitglieder dieser Organisationen daran beteiligen bzw. die Organisationen insgesamt die Rechte von ArbeitnehmerInnen und Jugendlichen verteidigen. Wird die SPÖ Widerstand aus „ihren“ Organisationen akzeptieren oder versuchen, hier massiven Druck auszuüben? Die Verbalattacken von Gusenbauer auf Mitglieder der Jugendorganisationen als „gewalttätige Demonstranten“ weisen darauf hin, dass (u.a. durch Zudrehen der Geldhähne) Opposition nicht geduldet wird.
Tatsache ist, dass hundertausende Menschen in Österreich einen echten Ansatz für eine neue breite Organisation von und für ArbeiterInnen und Erwerbslosen als politische Heimat, als Wahlalternative und als Bündnispartner in Kämpfen begrüßen würden.
In einer Reihe von Ländern gibt es Ansätze für neue linke politische Formationen, welche die ursprünglichen Ideale der Sozialdemokratie aufgenommen haben und versuchen, ihr einen neuen Ausdruck zu geben. In vielen spielen (zu recht) enttäuschte SozialdemokratInnen und GewerkschafterInnen eine wichtige Rolle. Wir denken, dass eine solche Entwicklung auch in Österreich ansteht und insbesondere VSSTÖ und SJ hier eine – durch ihre Aktivitäten rund um die Regierungsbildung - wichtige Rolle zukommen kann. Diese Organisationen, aber auch Teile von FSG, SPÖ-Bezirksorganisationen etc. könnten sich durch die offizielle Lösung ihrer Verbindungen zur SPÖ für linke und kämpferische Jugendliche und ArbeitnehmerInnen öffnen und breite, attraktive sozialistische Organisationen werden. Eine solche Öffnung, die auf den besten Traditionen der (einst marxistischen) Sozialdemokratie aufbaut, könnte nicht nur „Enttäuschte“ ins sozialistische Boot holen. Umgekehrt würde eine solche Entwicklung eine enorme Dynamik in den Gewerkschaften auslösen, AktivstInnen aus verschiednen Bereichen von „Außen“ anziehen und jenen Prozess beschleunigen, der heute in Europa bereits vielfach auf der Tagesordnung steht. Nämlich die Schaffung einer politischen Vertretung für die ArbeiterInnenklasse, einer neuen ArbeiterInnenpartei.
Von einer Umsetzung der Regierungspläne profitieren auf der politischen Ebene rechtsextreme Kräfte wie die FPÖ. Wir denken daher auch, dass ihr all jenen innerhalb der SPÖ gegenüber eine Verantwortung habt, konkrete Kämpfe gegen die Regierungspläne gemeinsam mit Kräften außerhalb der SPÖ (mit)zuorganisieren um die Durchsetzung dieser Pläne und einen Rückzug in die Passivität vieler Menschen, die etwas tun wollen, zu verhindern.
Wir freuen uns auf Eure Antworten und stehen für Diskussionen selbstverständlich zu Verfügung.
Sonja Grusch
Für die SLP
Wien, 26.2.07