Mi 06.12.2006
Zur Zeit schreiten die Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP scheinbar zügig voran. Das „Klima“ wird von beiden Seiten gelobt und es gibt Einigung in einer Reihe von Punkten. In den Wochen nach dem 1. Oktober sah es noch düster für die Große Koalition aus. Es wurden vermehrt Stimmen für eine SPÖ-Minderheitsregierung laut. Von VertreterInnen der SPÖ-Führung wurde dies wohl eher als Druckmittel bzw. Notlösung gesehen, denn als wünschenswerte Option. Aber Teile der SPÖ-Mitgliedschaft und insbesondere die SPÖ-Jugendorganisation SJ treten seit dem 1.10. entschieden für eine solche Minderheitsregierung ein. Die SJ hat sogar eine Homepage zum Thema sowie eine Online-Petition eingerichtet.
Wir verstehen die Hoffnungen v.a. von jenen Jugendlichen, die die SPÖ nicht mehr bewusst in einer Bundesregierung erlebt haben. Dies drückt die Hoffnungen nach einer anderen, einer linkeren Politik aus und ist eine positive Entwicklung, dass Jugendliche sich für linke, sozialistische Ideen einsetzen. Wir meinen aber, das die Erwartungen in eine solche Minderheitsregierung rasch enttäuscht würden, da sie auf falschen Vorrausetzungen basiert. Es werden damit auch Illusionen geschürt, weil die Veränderungen, die die SPÖ in den vergangenen Jahrzehnten durchgemacht hat, ignoriert werden. Angesichts kommender, drohender weiterer Angriffe auf ArbeiterInnen und Jugendliche halten wir die Zusammenarbeit all jener Kräfte, egal ob in- oder außerhalb der SPÖ/SJ, die eine Koalition mit dem Kapital ablehnen und gegen Rassismus auftreten für notwendig.
Wirtschaft lässt keine Spielräume für kampflose Verbesserungen
Wir denken, dass zur Analyse und Einschätzung möglicher Entwicklungen immer auch der wirtschaftliche Hintergrund berücksichtigt werden sollte. Leider fehlt das in den verschiedenen Stellungnahmen zum Thema. Die Situation des österreichischen und internationalen Kapitals ist alles andere als rosig. Darüber sollten die jüngsten Jubelmeldungen von Grasser, Wirtschaftsforschungsinstituten und AMS nicht hinwegtäuschen. Um auf die sich verschärfende internationale Konkurrenz zu reagieren „muss“ die Wirtschaft aus ihrer Sicht die Produktionskosten senken. Dies geschieht durch Abwanderung (=Jobverluste in Österreich) und verstärkten Druck auf die Beschäftigten Lohneinbußen hinzunehmen, die Arbeitszeit de facto zu verlängern, die Arbeit zu intensivieren. Von staatlicher Seite werden Subventionen bzw. Steuergeschenke eingefordert um „den Standort“ zu erhalten. Wenn auch in den Details unterschiedlich so schließen sich doch letztlich beide – SPÖ und ÖVP – dieser Logik an. Die unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Maßnahmen und Konzepte führen letztlich alle in diese Richtung. Die SPÖ-Vorschläge sind nicht einmal „keynsianisch“ (d.h. sie fordern keine Einkommenserhöhung der unteren Einkommenschichten und öffentliche Investitionen zur Ankurbelung der Nachfrage, sondern Entlastung von Mittelstand und Klein- und Mittelbetrieben) – obwohl wir festhalten möchten, dass auch ein solches Konzept keine Lösung für die sozialen und wirtschaftlichen Probleme bringen würde.
Natürlich muss eine solche kapitalistische Logik nicht einfach akzeptiert werden. Widerstand ist – auch in Zeiten verengter ökonomischer Spielräume – möglich. Notwendig sind dafür Klassenkämpfe initiiert, unterstützt und geführt von den Organisationen der ArbeiterInnenbewegung, die die Logik des Kapitalismus nicht einfach akzeptieren, sondern im Gegenteil mit ihr brechen müssen.
Die SPÖ ist in der Opposition nicht nach links gegangen
Wir teilen die Hoffnung nicht, dass die SPÖ bereit und in der Lage ist, eine solche Rolle zu spielen. Wir sehen keine ernsthaften Anzeichen dafür, dass die SPÖ in den letzten Jahren nach links gegangen wäre – das wird auch von den WählerInnen gesehen. Das wichtigste Motiv zur Wahl der SPÖ war der Wunsch, Schüssel los zu werden (das gaben 40% der SPÖ-WählerInnen an). Da die SPÖ v.a. von Pensionistinnen gewählt wurde, während 75% der unter 30 Jährigen eine andere Partei wählten, deutet das nicht auf eine Hinwendung jüngerer ArbeiternehmerInnen zur SPÖ hin.
Angesichts der Tatsache, dass die Mehrheit der WählerInnen ArbeitnehmerInnen sind, die alles andere als reich sind, muss JEDE Partei, die gewählt werden will, eine gewisse soziale Rhetorik an den Tag legen. Nicht zuletzt hat auch die FPÖ versucht, sich mittels sozialer Phrasen als „soziale Heimatpartei“ zu positionieren. Die sozialen Punkte im SPÖ-Wahlkampf deuten daher weniger auf eine „Rückbesinnung auf alte, sozialdemokratische Werte“ hin, als auf schlichten WählerInnenfang.
Denn: an ihren Taten sollst Du sie messen! Die SPÖ war bis 2000 die stärkere Partei in der Bundesregierung und damit zentral verantwortlich für die Privatisierungspolitik der 1990er Jahre, die rassistischen Anti-AusländerInnengesetze und die „Spar-„Pakete und ihre Propaganda. An dieser Politik hat sich seit 2000 nichts wesentliches geändert. 2003 traf sich Gusenbauer mit Haider zum legendären Spargelessen, 2005 stimmte die SPÖ dem ÖVP-BZÖ Fremdenrechtspaket zu, dass massive Verschlechterungen für AsylwerberInnen bringt. In Kärnten schreckt die SPÖ nicht einmal vor einer Koalition mit Haiders-Truppe zurück. In Wien, dem Burgenland, der Steiermark, Kärnten und Salzburg stellt die SPÖ – teilweise alleine, teilweise in einer Koalition – zur Zeit die Landesregierung. Da kann man sich also in der Praxis ansehen, was die SPÖ so macht, wenn sie die Möglichkeit dazu hat. Am deutlichsten wird im Falle der SPÖ-Alleinregierung in Wien, dass nicht nur die Vorgaben der Bundesregierung (durch den Finanzausgleich) umgesetzt werden, sondern auch eigenständig ein letztlich neoliberaler Kurs gefahren wird. „Ausgliederung“ ist bekanntlich die Vorbereitung zur Privatisierung und bedeutet die Anwendung von Marktmechanismen – genau das geschieht durch die Ausgliederung großer Teile des Wiener Sozialbereiches in den „Fonds Soziales Wien“ (geplante Einsparung durch diese Maßnahme: 20 Millionen Euro). Die Mieten in den Wiener Gemeindebauten sind 2004 um 8 % gestiegen, der Spitalskostenbeitrag in Wien wurde 2005 auf 10.-/Tag erhöht und das Einkommen von SPÖ-Bürgermeister Häupl (knapp 15.000 Euro/Monat) ist ein vielfaches höher, als das Wiener Durchschnittseinkommen.
Die Tatsache, dass die Situation in Wien heute immer noch in vielen Bereichen besser ist, als in anderen Bundesländern ist nicht auf eine „linke“ SPÖ-Wien zurückzuführen, sondern liegt daran, dass in den vergangenen Jahrzehnten mehr Verbesserungen erreicht wurden, als in anderen Bundesländern: und wer von einem höheren Level anfängt, kann mehr abbauen, um unten anzukommen.
Wie würde eine echte ArbeiterInnenpartei eine Minderheitsregierung nutzen!?
Eine echte ArbeiterInnenpartei könnte eine Minderheitsregierung nutzen, um ein Programm für ArbeiterInnen aufzustellen und um soziale Kämpfe zu organisieren, um Verbesserungen zu erreichen. Verbesserungen für die ArbeiterInnenklasse werden nicht über ein „geschicktes Taktieren“ im „freien Spiel der Kräfte im Parlament“ erreicht sondern nur, wenn durch Klassenkämpfe in den Betrieben und in der Gesellschaft ein Druck aufgebaut wird. Das Kräfteverhältnis im Parlament spiegelt immer auch das gesellschaftliche Kräfteverhältnis wieder – dazu muss es aber auch und v.a. den außerparlamentarischen Klassenkampf geben. Die SPÖ hat sich aber schon lange vom klassenkämpfen verabschiedet. Ihre Politik würde sich im Falle einer Minderheitsregierung im wesentlichen darauf beschränken, „mehrheitsfähige“ Anträge im Parlament einzubringen.
Wir haben in den 1980er Jahren die Forderung nach einer „SPÖ-Alleinregierung auf Basis eines sozialistischen Programms“ gefordert. Die SPÖ war damals noch eine ArbeiterInnenpartei. Es ging aber nicht einfach nur darum eine SPÖ-Alleinregierung (die auch damals eine Minderheitsregierung gewesen wäre) zu fordern, sondern die Notwendigkeit eines sozialistischen Programms deutlich zu machen, für das nicht nur innerhalb, sondern v.a. außerhalb des Parlaments organisiert und gekämpft werden musste. Auf der Homepage Minderheitsregierung werden Programmpunkte angedacht, aus der ein solches Programm entwickelt werden könnte. Gerade weil „Sozialismus“ mit sehr unterschiedlichen Inhalten verbunden wird – und z.B. im Zusammenhang mit einer Minderheitsregierung als „Kreisky II“ verstanden werden könnte – ist ein solches Programm, das konkrete Forderungen und Maßnahmen zu Arbeitslosigkeit, Armut, Frauenunterdrückung, Bildung, ausländischen KollegInnen etc. beinhaltet wichtig.
Wir denken nicht, dass „der Slogan für eine Minderheitsregierung das selbe ist, wie der Slogan für eine ArbeiterInnenregierung“, wie die Strömung Funke in der SJ am 23.11.06 schreibt. Die SPÖ hat nicht nur die Klassenkämpfe der letzten Jahre nicht unterstützt sondern gerade in den letzten Monaten sehr entschiedene Schritte gesetzt, um die – historische – Verbindung zur organisierten ArbeiterInnenbewegung zu kappen. Natürlich gibt es noch viele GewerkschafterInnen in der SPÖ, aber ihr schwindender Einfluss wird deutlich indem sich Gusenbauer & Co. mit ihrer Eliminierung von GewerkschafterInnen von der SPÖ-Liste durchgesetzt haben.
Keine Widerholung der 1970er sondern weiterer Sozialabbau droht
Die Hoffnung, dass mit einer SPÖ-Minderheitsregierung die Ära der 1970er Jahre (von der ein reichlich verklärtes Bild existiert) wiederholt werden könne, halten wir für falsch. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind völlig andere, in der SPÖ spiegelt sich heute nicht mehr der Druck der ArbeiterInnenklasse, sondern der Wirtschaft wieder.
Wir wissen, dass die GenossInnen in der SJ eine andere Analyse der SPÖ haben als wir. Uns verbindet aber das Bekenntnis, gegen Sozialabbau und Rassismus aktiv zu werden. Auf ihrem Verbandstag hat die SJÖ festgestellt „Im Falle der Bildung einer Großen Koalition wird es wohl der SJ zufallen, für eine innerparteiliche Mehrheit gegen einen faulen Kompromiss mit der ÖVP zu kämpfen und unsere inhaltlichen Positionen nötigenfalls auch gegen eine rot-schwarze Regierung zu vertreten.“ Wir denken, dass dieser Kampf auch im Falle einer – zur Zeit nicht sehr wahrscheinlichen – Minderheitsregierung der SPÖ nötig würde.
Wir sind davon überzeugt, dass eine kommende Regierung eine Reihe von neoliberalen Maßnahmen setzen wird – Angriffe auf Arbeitslose (Richtung Hartz IV), Angriffe auf Beschäftigte (weitere Flexibilisierung und Deregulierung) – und gegen MigrantInnen vorgehen wird. Der Vorstoß von Brokal zu Alternativen zur Abschaffung der Studiengebühren weißt darauf hin, dass hier ein Umfallen droht, die angepeilte Grundsicherung könnte sich am Menschen in die Armut stoßenden deutschen Hartz 4 Modell orientieren. Dagegen werden Resolutionen nicht reichen – weder in- noch außerhalb der SPÖ. Um erfolgreich sein zu können, muss der Widerstand Kräfte in- und außerhalb der SPÖ umfassen und darf sich nicht auf Parteigremien beschränken. Der Widerstand gegen solche Angriffe muss so früh wie möglich und so breit wie möglich vorbereitet und organisiert werden. Wir denken, dass hier gemeinsame Aktionen für die Abschaffung von Studiengebühren und den freien Bildungszugang, gegen Angriffe auf Erwerbslose, gegen Privatisierung und gegen einen Ausbau von Überwachung und staatlichem Rassismus nötig werden.
Getrennt marschieren – gemeinsam kämpfen, wird angesichts der kommenden Angriffe für SozialistInnen einmal mehr unsere gemeinsame Aufgabe sein.