Sa 01.11.2003
Hier ArbeiterInnen, die ihre Rechte verteidigen und auf Solidarität setzen. Dort das superreiche Management, welches Löhne kürzt, die Belegschaft spaltet und Streikbrecher engagiert. Sind das nicht veraltete Bilder? Ist nicht heute alles ganz anders, viel individueller, freier, bunter? AUA-PilotInnen und FlugbegleiterInnen (auch wenn sie für viele nicht ins Bild des klassischen Arbeiters passen) beweisen, dass die Welt auch heute von den Gegensätzen zwischen Kapital und Arbeit beherrscht wird. Natürlich hat sich in den letzten 150 Jahren viel verändert. Die ArbeiterInnenbewegung konnte Verbesserungen erkämpfen. Der technische Fortschritt hat die Strukturen der Wirtschaft laufend verändert. Es gäbe keine ArbeiterInnenklasse mehr, weil es heute kaum noch ArbeiterInnen gibt, wird oftmals behauptet. Doch tatsächlich war der Anteil jener Menschen, die "nichts zu verkaufen haben, als ihre Arbeitskraft" noch nie so groß wie heute. Ob man diese Menschen letztlich ArbeiterInnen, ProletarierInnen, Lohnabhängige, Angestellte oder ArbeitnehmerInnen nennt, ändert nichts an dieser Umstand. Auch die Angriffe, denen heute ein Eisenbahner, eine Sekretärin oder ein Programmierer ausgesetzt sind, laufen gleichförmig ab: Mehr Arbeit in weniger Zeit, sinkendes Realeinkommen und die ständige Drohung (auch wenn sie nicht immer offen ausgesprochen wird) den Arbeitsplatz zu verlieren, wenn man den Verschlechterungen nicht zustimmt. Alle strukturellen Merkmale kapitalistischer Herrschaft haben sich hartnäckig gehalten. Das gilt für die besondere Unterdrückung von Frauen; auch in der Arbeitswelt. Wie vor hundert Jahren verdienen Frauen wesentlich weniger als ihre männliche Kollegen und werden auf unterqualifizierte Tätigkeiten reduziert. Rassistische Diskriminierung von MigrantInnen und Asylsuchenden am Arbeitsmarkt, bei Sozialleistungen und Löhnen, ist ebenso fester Bestandteil der Profit-Gesellschaft.
Teile und Herrsche
Sexistische und rassistische Unterdrückung, aber auch z.B. die Trennung in ArbeiterInnen, Angestellte und BeamtInnen, werden bewusst aufrechterhalten, um die gemeinsamen Interessen der gesamten Klasse zu verdecken. Ein weiteres ideologisches Mittel ist die Ideologie "Wir, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sitzen alle im selben Boot". Beim AUA-Streik arbeitete das Management massiv mit diesen Methoden der Spaltung. Mit Erfolg wurden Teile des Bodenpersonals für die Interessen der Aktienbesitzer und des Managements instrumentalisiert und ein gemeinsamer Kampf verhindert. Diese Ideologie ("Wir sitzen alle im selben Boot") ist durch das überkommene System der österreichischen Sozialpartnerschaft tief in den Köpfen verwurzelt. Doch heute ist die Sozialpartnerschaft tot. Die Angriffe der letzten Jahre - Abbau des Sozialstaates, Reallohnkürzungen, erhöhter Druck am Arbeitsplatz - haben deutlich gemacht, wo die Trennlinien in unserer Gesellschaft liegen. Selbst die Spitze des ÖGB war gezwungen, zumindest kurzfristig mit klassenkämpferischen Tönen aufzutreten und zu Protesten aufzurufen. Karl Marx hat auf den im Kapitalismus unüberwindbaren Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit bereits vor 150 Jahren hingewiesen. Er hat analysiert, dass die KapitalistInnen für die Arbeitskraft, die sie kaufen, möglichst wenig zahlen wollen (also möglichst niedrige Gesamtlöhne/gehälter - inklusive aller Sozialversicherungsbeiträge). Er hat auch aufgezeigt, dass die ArbeiterInnen (egal ob ArbeiterIn, AngestellteR oder BeamteR) das Interesse haben, möglichst viel Einkommen für ihre Arbeit zu erzielen. Genau hier setzte die Entstehung der Gewerkschaften im 19. Jahrhundert an.
In Gewerkschaften organisieren
Ursprünglich standen die ArbeiterInnen im Betrieb dem Unternehmer einzeln gegenüber. Dadurch waren sie leicht erpressbar und die Arbeitsbedingungen katastrophal. Daher schlossen sie sich zu Organisationen zusammen, die ihre Interessen gemeinsam vertraten und mit der sie gemeinsam für ihre Rechte kämpfen konnten. Gewerkschaften wurden deshalb von den Herrschenden verboten und verfolgt. Sie mussten ihre Existenzberechtigung in harten Auseinandersetzungen erkämpfen. Heute versuchen Unternehmer und Regierung, das Rad der Geschichte weit zurück zu drehen. Sie erkennen dabei in den Interessensvertretungen der ArbeiternehmerInnen ihre "natürlichen Gegner". Weltweit werden GewerkschafterInnen verfolgt und ermordet. Auch in Europa versuchen Unternehmer und Staat, in Arbeitskämpfen mit Repression einzugreifen und zu drohen. In Britannien wurden GewerkschaftsführerInnen eingesperrt und Streikgelder beschlagnahmt. Im Zuge des IG-Metall-Streiks 2003 in Ostdeutschland gab es scharfe Angriffe auf die Gewerkschaften: Der "liberale" Spiegel titelte mit "Der Wahnsinnsstreik". Guido Westerwelle von der F.D.P. erklärte, dass es "um die Entmachtung der Gewerkschaftsfunktionäre" gehe. Die österreichische Bundesregierung vertritt exakt diese Linie. Bei den Plänen für das neue schlechtere ÖBB-Dienstrecht geht es vor allem darum, den Gewerkschaftseinfluss auszuhebeln. Denn haben die Gewerkschaften weniger Einfluss, dann müssen die Beschäftigten ihre Arbeitsbedingungen selbst ausverhandeln und sind leichter erpressbar. Im FPÖVP-Regierungsübereinkommen sind daher "Flexibilisierungsmöglichkeiten" geplant, die "auf betrieblicher Ebene ... (und) ... in Einzelvereinbarungen" ermöglicht werden. Genau gegen diese Politik richtete sich der AUA-Streik mit seiner Forderung nach einem Kollektivvertrag für den gesamten Konzern. Management und Regierung haben die Bedrohung erkannt, der bei einem Erfolg der AUA-KollegInnen für sie ausgehen würde. Der Staat hat mit dem Verbot einer Betriebsversammlung per einstweiliger Verfügung einen Vorgeschmack auf künftige Maßnahmen gegen ArbeiterInnen und soziale Bewegungen geliefert. Leider fehlt der Gewerkschaftsführung diese Konsequenz der Gegenseite: ÖGB-Präsident Verzetnitsch meinte auf die Frage, wie er sich selbst im AUA-Konflikt definiert: er sehe sich "als Vermittler". Gewerkschaften sind aber keine Vermittlungsorgane zwischen Unternehmer und ArbeitnehmerInnen. Sie sind auch keine Servicevereine, sondern Kampforganisationen. Das gilt heute mehr denn je.
Handeln statt Reden
Viele Diskussionen wurden und werden darüber geführt, wie Veränderungen erreicht werden können. Die Vorschläge reichen von "Beten für den Weltfrieden" über "Unterschriften gegen das AKW-Temelin" bis zu "bei der nächsten Wahl eine andere Partei (oder gar nicht) wählen". Es gibt unzählige guter Vorschläge gegen die Umweltzerstörung, gegen den Hunger und für soziale Gerechtigkeit auf der Welt. Nur umgesetzt werden sie nicht. Das liegt allerdings nicht daran, dass es bessere Argumente für andere Vorschläge gibt. In der Debatte um die Pensions"reform" wurde das sehr deutlich: Ein soziales Pensionssystem gibt es deshalb nicht weil, da es eine Umverteilung von Oben nach Unten bedeuten würde - also nicht besonders gewinnbringend ist. Deshalb wurde eine "Reform" beschlossen, die Pensionen massiv kürzt, Unternehmer entlastet und private Versicherungskonzerne mit 9,5 Prozent staatlicher Prämie aus Steuergeldern sponsert. "Gut" ist eben nicht für jedeN gleich gut. Weil es Widersprüche gibt, die nicht unter einen Hut zu bringen sind. Es gibt nicht die objektiv richtige Wahrheit. Es gibt vielmehr Maßnahmen, von denen entweder die Beschäftigten oder die UnternehmerInnen bzw. spezielle Gruppen davon profitieren. Zu glauben, beide könnten gleichermaßen profitieren, führt in die Sackgasse. Wenn aber die Interessen unterschiedlich sind, bleibt die Frage, wie können die ArbeiterInnen ihr Streben nach besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen durchsetzen? Eine Menschenkette hat die Voest-Vollprivatisierung nicht verhindert. Ein Sozialstaats-Volksbegehren hat den Sozialabbau nicht gestoppt. Der Irak-Krieg fand trotz wichtiger Friedensdemonstrationen statt. Wir lehnen all diese Aktionen nicht ab, sondern beteiligen uns - sie müssen aber bilanziert werden. Und wenn sich herausstellt, dass sie nicht reichen bzw. gereicht haben, dann müssen sie ergänzt werden. Die ArbeiterInnenklasse hat den Streik als sehr effektives Kampfmittel entwickelt. Aber von Seite der ÖGB-Führer wurde Streik immer als "überholt" dargestellt. Heute gäbe es "bessere" Methoden. Wir fragen allerdings: Welche? Derzeit greift vor allem die Unternehmer- und Regierungsseite zu den Methoden des "traditionellen Klassenkampfes", die viele nur mehr aus Geschichtsbüchern zu kennen glaubten: mit Aussperrungen, Entlassungen, staatlicher Repression, Streikbrechern und Anti-Gewerkschaftshetze. Es ist ein Fehler, dass auf dem ÖGB-Bundeskongress die Kämpfe gegen Pensionsraub und VOEST-Rest-Privatisierung nicht ernsthaft bilanziert wurden. Im Juni ist die Gewerkschaft auf halbem Weg stehen geblieben und hat der bereits geschwächten Regierung wieder das Ruder überlassen. Im September wurde der Arbeitskampf zugunsten des SPÖ-Wahlkampfes zurückgenommen. Auch in Österreich, einem der reichsten Länder der Welt, liegt die Armutsquote bei 13 %. Im September hat die Arbeitslosigkeit den höchsten Wert seit 20 Jahren erreicht und gleichzeitig will die Regierung die Notstandshilfe abschaffen. Mit den bisherigen Methoden werden wir die drohende Gesundheits"reform", die Zerschlagung der ÖBB und die folgenden Angriffe nicht abwehren können. Wir können es uns nicht mehr leisten, mit untauglichen Waffen zu kämpfen!
(Gegen-)Machtfaktor
JedeR einzelne ArbeiterIn ist schwach - aber zusammen stellen sie eine unglaubliche Macht dar. Wenn sie streiken erscheint keine Zeitung, fahren keine Straßen- und Eisenbahnen, es werden keine Güter transportiert, und es wird nichts produziert, in den Schulen wird nicht unterrichtet und es hebt kein Flugzeug ab. Davor haben die Herrschenden und die UnternehmerInnen Angst. Bei einem Streik verlieren sie nicht nur Geld, sondern den bisher "kleinen Leuten" wird klar, dass sie (im Gegensatz zu dem, was ihnen immer erzählt wird) nicht unwichtig und ohnmächtig sind. Sondern dass es eigentlich die ArbeiterInnen sind, die in unserer Gesellschaft die neuen Werte schaffen und das ganze Werk "am Laufen halten". Die gemeinsamen Erfahrungen in einem Arbeitskampf schaffen Selbstbewusstsein und ein kritischeres Bild der herrschenden Zustände. Die Lügenpropaganda in den Zeitungen über den eigenen Streik weist darauf hin, dass man selbst bei anderen Berichten nicht alles glauben sollte. Und die Tricks des Managements machen deutlich, dass man diesem besser nicht traut. Streiks waren nicht zufällig ein wichtiger Schritt bei revolutionären Veränderungen. Sie sind Ausdruck für Unmut und Widerstand und eine "Kriegsschule für die ArbeiterInnenklasse", wie es Friedrich Engels genannt hat. Er hat damit gemeint, dass die ArbeiterInnen in diesen Kämpfen einerseits die Funktionsweise des Kapitalismus erkennen, andererseits auch ihre eigene Stärke erfahren. Tatsächlich ist die ArbeiterInnenklasse heute die einzige Kraft in der Gesellschaft, die diese wirklich grundlegend zum Besseren verändern kann. Alle Verbesserungen der Arbeits- und Lohnbedingungen hat sich die ArbeiterInnenbewegung erkämpfen müssen. IMMER gab es die Argumente, es wäre nicht finanzierbar, würde zum Bankrott führen etc.. Die Massendemonstrationen gegen den Irak-Krieg haben nicht gereicht, weil sie den Herrschenden nur Prestige, aber nicht Geld gekostet haben. Eine internationale Streikbewegung hätte den Krieg viel eher stoppen können. Ebenso ist es bei den Angriffen der "eigenen" Regierung oder von Unternehmensführungen.
Eine andere Welt ist nötig, eine sozialistische Welt ist möglich!
Von den 4,7 Milliarden Menschen in den sogenannten Entwicklungsländern haben 800 Millionen chronisch Hunger, 1 Milliarde kein Dach überm Kopf und 1,3 Milliarden kein sauberes Trinkwasser. Umweltschutz bleibt ein Lippenbekenntnis und kriegerische Handlungen nehmen ebenso zu wie Gewalt als Antwort auf die Perspektivlosigkeit. Weiter aufzuzählen, warum der Kapitalismus gescheitert ist, erübrigt sich. Dazu reicht ein Blick in eine x-beliebige Tageszeitung. Immer mehr Menschen stellen sich die Frage nach einer Alternative zum Kapitalismus. Sie wünschen sich eine bessere und gerechtere Welt. Eine Welt, in der nicht Geld regiert und in der es eine Zukunft ohne Krieg und Umweltzerstörung gibt. Wir nennen eine solche Welt eine sozialistische Welt. Mit den Systemen in Osteuropa und der Sowjetunion hat das wenig zu tun. Das waren stalinistische Diktaturen - in einer sozialistischen Gesellschaft sind die Bedürfnisse der Menschen das wichtigste und ist umfassende ArbeiterInnen-Demokratie ein Grundprinzip. Aber wie können wir eine solche Gesellschaft erreichen? Der Sturz des kapitalistischen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems wird nicht durch den Putsch einer Minderheit passieren und auch nicht durch eine Volksabstimmung. Die Herrschenden werden ihre Privilegien, ihren Reichtum und ihre Macht nicht freiwillig hergeben. Sie werden sich nicht einfach abwählen lassen. Daher ist eine Revolution notwendig. Eine sozialistische Revolution ist ein Prozess, bei dem die ArbeiterInnenklasse die Macht ergreift. Einzig die ArbeiterInnenklasse ist auch zahlenmäßig und aufgrund ihrer Erfahrungen in kollektiven (Klassen-)Kämpfen in der Lage, dieses Ziel zu erreichen. Dies steht im Gegensatz zu Vorstellungen einer "Zivilgesellschaft", die "über Klassengrenzen hinweg eine andere Welt erschaffen könne". Wir meinen, dass auch andere Teile der Bevölkerung - sogenannte Intellektuelle, Studierende, Kleingewerbetreibende - unvermeidlich Teil einer solchen Revolution sein werden. Aber die entscheidende, treibende und kollektive Kraft kann nur von der ArbeiterInnenklasse kommen. Sie ist jene Klasse in der Gesellschaft, die Notwendigkeit und Möglichkeit mit sich bringt, Sozialismus zu erkämpfen. Und das nicht nur wegen der zahlenmäßigen Stärke, sondern v.a. aufgrund der Erfahrungen mit kollektiver Arbeit und Organisierung. Es mögen vielleicht manche Begriffe und Formulierungen veraltet erscheinen - aber die grundsätzliche Analyse über die Rolle und die Fähigkeiten der ArbeiterInnenklasse ist nach wie vor richtig. Es zeigt sich täglich aufs neue: bei der Solidarität der AUA-Streikenden, bei den von Kündigung betroffenen Phillips-Beschäftigten, beim Widerstand der ÖBB'lerInnen. Die SLP ist Teil dieser Kämpfe bzw. unterstützt sie. Es ist höchste Eisenbahn, dass die ArbeiterInnenklasse (auch wenn sie sich selbst nicht immer so nennt) beginnt, sich zu wehren und für eine bessere Gesellschaft zu kämpfen.