Do 16.03.2006
Der Streik im öffentlichen Dienst ist inzwischen in die sechste Woche gegangen. Laut ver.di ist dieser Arbeitskampf mittlerweile der längste in der Geschichte des öffentlichen Dienstes seit achtzig Jahren.
In Niedersachsen kursieren nun Gerüchte, dass für die Kommunalbeschäftigten eine Einigung bald bevorstehen könnte. In Baden-Württemberg vereinbarten ver.di und die kommunalen Arbeitgeber eine Schlichtung. Ver.di benannte den früheren AOK-Chef von Baden-Württemberg, Roland Sing, die Arbeitgeber beriefen den Ex-Präsidenten des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofs, Claus Meissner. Bis Sonntag soll ein Vorschlag unterbreitet werden.
Es droht, dass ver.di die Streiks in der Stuttgarter Region während der Schlichtung aussetzen könnte – statt den Druck zu erhöhen. Möglicherweise soll das auf einer Streikversammlung im Stuttgarter DGB-Haus erreicht werden. Zudem ist davon die Rede, dass die IG Metall bis Monatsende keine weiteren Warnstreiks im Rahmen des Tarifkonflikts um die „Steinkühler-Pause“ plant.
SPD-Politiker bekommen allmählich kalte Füße, da sie – auch wegen der Kandidaturen von WASG und der Linken – ihre Wahlchancen geschmälert sehen. Die Besuche bei WASG-Treffen sind zwar schwach (in Stuttgart waren bei einem Abend mit Tom Adler und Dieter Janssen nur 22 TeilnehmerInnen, obwohl 2.500 Flugblätter verteilt wurden); das hängt damit zusammen, dass die WASG nicht als Kampfinstrument und konkrete Hilfe gesehen wird. Dennoch spekulieren bürgerliche Wahlforscher, dass die WASG auf Grund des Streiks bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am 26. März ein bis zwei Prozent zu legen könnte (so der Tagesspiegel vom 13. März).
Nach wie vor ist der Arbeitskampf im öffentlichen Dienst nicht nur auf Grund der Länge bedeutsam, sondern vor allem wegen der Härte der Arbeitgeberseite: Einsatz von Hunderten von Streikbrechern (LeiharbeiterInnen, Ein-Euro-Jobs), Ruf nach Polizeikräften wie in Osnabrück, Medienhetze... Jüngstes Beispiel: Freitag letzter Woche, also am 10. März, hatten sich etwa 50 KrankenpflegeschülerInnen der Städtischen Klinik in Duisburg an einem Soli-Streik in Essen beteiligt. Daraufhin hatte die Klinikleitung bei ihrer Rückkehr die Kündigung bekanntgegeben. Das hatte zur Folge, dass 300 bis 400 streikende KollegInnen in Essen spontan in Busse stiegen und zur Klinik nach Duisburg fuhren, um dagegen zu protestieren. Zunächst rief die Klinikleitung dann nach der Polizei. Der Einsatzleiter teilte der Klinikleitung aber bald mit, dass die DemonstrantInnen nicht abziehen wollen und der Kündigungsbeschluss doch zurückgenommen werden sollte. Letztendlich ließ der Klinikgeschäftsführer Reinhard Isenberg gegenüber den demonstrierenden GewerkschafterInnen erklären, dass er sich möglicherweise missverständlich ausgedrückt habe. Kündigungen oder Maßregelungen seien nicht beabsichtigt gewesen. Ein Beispiel also für erfolgreiche Solidarität.
Ein SAV-Mitglied aus Hamburg berichtete über die dortige Streikversammlung der Länderbeschäftigten am 13. März, an der 300 KollegInnen teilgenommen haben, über die Stimmung: „Die Diskussion war recht kontrovers mit verschiedensten Schattierungen. Eine Reihe von Mitgliedern hat ihren Unmut bekundet. Das war bereits in der vorherigen Debatte über die Aktivitäten spürbar. In der ersten Diskussion haben drei Leute nacheinander aus verschiedenen Bereichen den Wunsch geäußert, dass es ein Streikkomitee geben sollte, damit die Aktivitäten besser organisiert werden können. Das wurde von Siggi Fries, der zuständigen Funktionärin, ohne große Argumentation abgelehnt.
Während des Referates von Rose gab es bereits zwei Rufe zum Thema Arbeitszeit. Der eine war: „35 Stunde sind 100 Prozent“ (Rose meinte 38,5 wären 100 Prozent). Der andere Zuruf war: „Für 39,5 streike ich nicht“.
Andere Kolleginnen haben die Spaltung der Arbeitszeit bei dem Abschluss der Kommunalbeschäftigten kritisiert. Insbesondere KollegInnen von der BSU haben den Abschluss scharf kritisiert. Auf dem Betriebsgruppentreffen haben sie wohl einen Antrag verabschiedet, dass sie für gleiche Arbeitszeiten sind, und haben darüber eine Abstimmung gefordert. (Es hieß von der Redeleitung Fries, dass diese Versammlung nur ein Meinungsbild erstellen kann. Das Meinungsbild wurde später natürlich nicht erstellt und der Antrag damit abgebügelt). Es gab auch resignierte Stimmen, die meinten, dass ein fauler Kompromiss von 39 oder sogar 40 bei dieser Verhandlungstaktik sicher sind.“
Um einer Erschöpfung der Streikenden entgegen zu wirken und den Druck gegen die Arbeitgeber zu verstärken, wäre bundesweit eine schnelle Ausweitung aller streikbereiten Bereiche nötig. Natürlich kann man nicht über die Ermüdungserscheinungen hinweg gehen, die der wochenlange Streik mit sich bringt. Vorschläge, den Streik in einen Bereich vorübergehend auszusetzen, um wieder Kräfte sammeln zu können, dürfen auf keinen Fall einfach abgetan werden. Im Vordergrund muss aber stehen, dass der beste Weg, einem Abbröckeln zuvorzukommen, eine Ausdehnung des Streiks wäre – und ein gemeinsamer Kampf mit den MetallerInnen.
Die Öffentlichkeitsarbeit ist auch eine Schlüsselfrage. Leserbriefe, wie sie die ver.di-Spitze vorschlägt, sind bei weitem nicht genug. Demonstrationen in der Innenstadt, Flugblätter an die Bevölkerung und andere Maßnahmen sind nötig.
Im Raum Stuttgart wird ein stadtweiter Streik- und Protesttag von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes mit KollegInnen anderer Bereiche, allen voran der MetallerInnen gefordert. Bei den MetallerInnen läuft bekanntlich auch gerade ein Tarifkampf an (in Nordwürttemberg-Nordbaden finden seit dem 1. März auch schon Warnstreiks statt, da bezüglich der „Steinkühler-Pause“ die Friedenspflicht vorbei ist). AktivistInnen vom Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di und Mitglieder der SAV setzen sich aktiv für diese Losung ein.
In Stuttgart wurde ein Aufruf für einen solchen Streik- und Protesttag gestartet, der im öffentlichen Dienst bereits eine bemerkenswerte UnterstützerInnenliste vorweisen kann (unter anderem wurde ihm auf der Streikversammlung vom Tiefbauamt Stuttgart zugestimmt; aus Schwäbisch Hall kam eine positive Zuschrift von einem Vorstandsmitglied des AGMAV im Diakonischen Werk Württemberg). Jetzt kommt es darauf an, auch unter den MetallerInnen dafür zu werben. Dementsprechend wurde der Aufruf am Dienstag, den 14. März in Böblingen bei einer IG-Metall-Aktion verbreitet und beim Metaller-Treffen in Stuttgart eingebracht. Vereinbart wurde, für diesen Vorschlag auch auf der Delegiertenkonferenz der IG Metall am kommenden Samstag zu werben.
Im labournet heißt es zu der Initiative: „Solidarität ist unsere Stärke. Für einen eintägigen Streik- und Protesttag aller Gewerkschaften und Belegschaften der Region Stuttgart.“ Aufruf für die Idee eines Streik- und Protesttages in der Region Stuttgart zur Unterstützung der Streikenden im öffentlichen Dienst (pdf). http://www.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/tarif06/soli_s.pdf
Neben den bisherigen ErstunterzeichnerInnen wird der Aufruf einstimmig unterstützt von der Streikversammlung am Bürgerhospital Stuttgart am 10. März.
Aus dem Text: „…Die Gewerkschaftsbewegung ist gefordert, die harte Gangart der Arbeitgeber mit der Bündelung und Steigerung ihrer Kampfkraft zu begegnen. Die anhaltende Sympathie in der Bevölkerung für den Streik im öffentlichen Dienst sollte baldmöglichst öffentlich bekundet werden. Dies zu organisieren betrachten wir als Aufgabe des DGB und der Einzelgewerkschaften. Wir schlagen deshalb dem DGB und den Einzelgewerkschaften der Region Stuttgart vor, baldmöglichst zu einem eintägigen Streik- und Protesttag gegen Arbeitsplatzvernichtung und zur Solidarität mit den Streikenden im öffentlichen Dienst aufzurufen. Alle Bereiche, die aus der Friedenspflicht sind (Metallindustrie, EnBW, Einzelhandel...) sollten zu einem gemeinsamen eintägigen Warnstreik mit gemeinsamer Demonstration und Kundgebung vor dem Rathaus aufgerufen werden. Alle anderen Belegschaften (einschließlich der BeamtInnen) sollten während der Arbeitszeit zur Demonstration und Kundgebung aufgerufen werden….“ Weitere UnterstützerInnen melden sich bei: dieter.janssen@freenet.de.“