Do 02.03.2006
Am 14. Februar demonstrierten in Straßburg rund 50.000 GewerkschafterInnen aus ganz Europa gegen die geplante EU-Dienstleistungsrichtlinie. Drei Tage später nahm das Europaparlament einen Kompromiss, der von den Europäischen Volksparteien mit der Europäischen Sozialdemokratie ausgehandelt wurde, an. Jetzt beschäftigt sich wieder der EU-Rat unter dem derzeitigen Vorsitz Österreichs mit der Materie.
Fauler Kompromiss
Ursprünglich machte die Richtlinie, die nach ihrem Erfinder Frits Bolkestein benannt wurde, dadurch Furore, dass sie das Herkunftslandprinzip einführen wollte. Das hätte bedeutet, dass eine Firma, die in Österreich eine Dienstleistung anbietet, dabei den Gesetzen und der Gerichtsbarkeit des Herkunftslandes unterliegt. Dies hätte unweigerlich dazu geführt, dass vor allem die großen Firmen ihre Firmensitze in jenes Land verlegt hätten, dass ihnen die besten (für die Arbeitnehmer schlechtesten) Bedingungen bietet. Konkret: Bauarbeit zu litauischen Kollektivveträgen, Altenpflege zu slowakischen Löhnen, etc.
Der Kompromiss streicht dieses Prinzip weitgehend, aber nicht vollständig. Zwar gilt jetzt bei den Arbeitsbedingungen das Ziellandprinzip, das heißt die Bestimmungen des Landes, in dem die Dienstleistung erbracht wird, bei den Gewerbeberechtigungen hingegen nicht. Dies öffnet der grenzüberschreitenden Scheinselbstständigkeit Tür und Tor. So wird nicht nur das Arbeitsrecht des Ziellandes sondern auch das des Herkunftslandes ausgehebelt. Ein weiteres “Detail“: Zwar können ArbeitnehmerInnen, die von einer ausländischen Firma in Österreich beschäftigt werden, in Österreich ihr Recht einklagen, eine grenzüberschreitende Exekution der Urteile ist aber defacto unmöglich. Wenn ein ausländischer Anbieter “seinen“ Arbeitnehmer erst gar kein Urlaubsgeld zahlt, kann dies zwar eingeklagt werden, aber niemand exekutiert das dann im Land des Firmensitzes. Wir kennen dieses Phänomen von Strafzetteln aus dem Straßenverkehr. Zwar wird eine Strafverfügung aus dem Ausland zugestellt, wird sie nicht bezahlt, passiert genau nichts.
Was macht der ÖGB?
Bessere Formulierungen und mehr Ausnahmen (z.B. Wasserversorgung) werden gefordert. Mehr nicht. Die richtige Antwort wäre eine europaweite kämpferische Kampagne, die nicht nur das Aus der Bolkestein-Richtlinie fordert, sondern darüber hinaus für europaweite Kollektivverträge und eine Vereinheitlichung des Arbeitsrecht auf dem höchsten Niveau kämpft. Stattdessen setzt der ÖGB auf Lobbying. Das bisherige Ergebnis: Ein fauler Kompromiss mit teuflischen Details und keine internationale Gegenstrategie der europäischen Gewerkschaften.
Skandal: ÖGB-Chef für Liberalisierung und Privatisierung!
Offiziell kritisiert die Gewerkschaft in ihren Organen zu Recht die neoliberale Politik der Privatisierungen, Liberalisierung der Märkte und Arbeitszeiten als arbeitnehmerfeindlich und propagiert deren Bekämpfung. Was der Gewerkschaftsöffentlichkeit vorenthalten wird, ist der offenkundige Skandal, dass der eigene Präsident seinen Leuten in den Rücken fällt.
Im Kok-Bericht, einem Zwischenbericht zur Umsetzung des sogenannten Lissabon-Ziels der EU aus dem November 2004, wird u. a. gefordert:
- Liberalisierung von Märkten und netzgebundenen Industriezweigen, insbesondere auch der Postdienste und des Eisenbahnverkehrs
- Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs
- günstiges Klima für Unternehmen … Zurückhaltung bei den Lohnforderungen
Dieser Bericht wurde mitunterfertigt vom ÖGB-Präsidenten höchstpersönlich. Wie lange ist Fritz Verzetnitsch noch als ÖGB-Präsident tragbar?