Di 20.12.2005
In den Wahlen zur Nationalversammlung hat seine Partei, die MVR (Bewegung für die fünfte Republik) 68% der abgegebenen Stimmen und damit 114 der 167 Sitze gewonnen. Das ist ein Zuwachs von 28 Sitzen und bedeutet eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, mit der die Verfassung geändert werden kann. Doch entgegen Chávez´ Appell, massenhaft an den Wahlen teilzunehmen, haben 75% der Wahlberechtigten keinen Stimmzettel abgegeben und damit für die geringste Wahlbeteiligung in der Geschichte Venezuelas gesorgt. Die zunehmende Zahl von NichtwählerInnen ist eine ernst zu nehmende Warnung. Sie ist Ausdruck zunehmender Unzufriedenheit über die stetig wachsende Bürokratisierung und Korruption im Staatsapparat und über die wieder wachsende Armut.
Insgesamt kontrollieren die pro-Chávez Parteien das Parlament zu nahezu 100%. Ein paar Tage vor den Wahlen haben alle wichtigen rechten und rechts-konservativen Oppositionsparteien unter der Behauptung ihre Kandidatur zurückgezogen, dass die Wahlen nicht demokratisch verlaufen würden. In Wirklichkeit aber handelte es sich dabei aber um einen Wahlboykott, der die Wahlen und die Regierung Chávez diskreditieren sollte.
Die Wahlkommission CNE hatte elf von zwölf Veränderungen für den Wahlverlauf zugestimmt, die von der Opposition eingefordert wurden. Einschließlich der Forderung, die Scanner von Wahlmaschinen entfernen zu lassen. BeobachterInnen der Organisation of American States erklärten, dass der Wahlgang vollständig korrekt und zuverlässig vonstatten gehen würde. Die Opposition lehnte es dennoch ab anzutreten.
Aus offenkundigen Gründen: Meinungsumfragen zeigten bereits vor den Wahlen, dass die Opposition eine eben solche Niederlage einfahren würde, wie bereits bei den Kommunalwahlen im August und den Gouverneurswahlen im Oktober 2004. Der Boykott war also ein verzweifelter Versuch, die Lage zu destabilisieren und den korrekten Wahlablauf zu stören. Verzweifelt angesichts der eigenen Schwäche, Spaltung und Demoralisierung.
Die vom US.Imperialismus gestützte Opposition hatte bereits versucht, die Regierung Chávez durch einen Putsch, durch wirtschaftliche Sabotage und ein Misstrauensvotum zu stürzen. Doch wurde jeder Versuch bisher unüberhörbar durch Massenmobilisierung der venezolanischen ArbeiterInnen und Armen zurückgeschlagen.
Jetzt aber kommt zum Vorschein, dass die Wahlbeteiligung bei nur 25% lag. Während in den Mittelklasse-Stadtteilen und in den wohlhabenderen Gebieten nur wenige zur Wahl gingen, berichtete die BBC von Schlangen vor den Wahllokalen in den Armenvierteln. Hier haben die Menschen von den subventionierten Lebensmittellieferungen der Regierung profitiert und sind zum ersten Mal Teil des Gesundheitssystems, kommen in den Genuss von Bildung – finanziert durch die steigenden Öl-Einkünfte des Landes.
Nichtsdestotrotz hätten viele Chávez-AnhängerInnen nicht gezögert, an den Wahlen teilzunehmen, wenn ihn unterstützende Parteien vor einer möglichen Niederlage gestanden hätten. Der sichere Sieg für die pro-Chávez Parteien war aber nicht der einzige Grund, weshalb viele sich nicht bemühten wählen zu gehen. Vieles deutet auf eine Art Pause im revolutionären Prozess hin, in der die Teilhabe der Mehrheit der Bevölkerung an den Aufbauprogrammen, den sogenannten Missionen und anderen Regierungsinitiativen abnimmt.
Eine der Gefahren, denen sich die Chávez-Regierung gegenüber sieht, ist der aufkommende Graben zwischen sich, Teilen des Staatsapparats und den aktiven Schichten einerseits und der Masse der Bevölkerung andererseits. Hatten steigende Staatsinvestitionen und die populären Maßnahmen der Chávez-Regierung die Lebensverhältnisse einer Bevölkerungsschicht verbessert, so hat sich am Gesamtbild von weit verbreiteter Armut und Elend mit 80% der VenezolanerInnen unterhalb der Armutsgrenze nicht viel geändert. Bleibt es dabei, so könnte einer „nicaraguanischen Entwicklung“ Bahn gebrochen werden, wo die Mehrheit der Bevölkerung ob uneingelöster Versprechen müde und desillusioniert von den revolutionären Bewegungen zurückgelassen wurde. Sie geben ihre Wahlstimmen mittlerweile sonst wem.
Sabotage-Kampagne
Trotz großer Unterstützung für Chávez und der Wahlniederlage der Opposition, stellt diese weiterhin eine Gefahr für Regierung, Arbeiterklasse und Arme dar. Haben sie bis zum jetzigen Zeitpunkt die Möglichkeit der Kandidatur bei Wahlen nicht wahrgenommen, so dürften einige extremere Teile der Opposition bald damit beginnen, eine Störkampagne und Sabotageakte einschließlich terroristischer Akte und Attentate durchzuführen.
Am Wahltag wurde im Westen Venezuelas ein Anschlag auf eine Ölpipeline verübt. Einige Oppositionelle müssen sich bereits vor Gericht verantworten. Ihnen wird vorgeworfen den Mord auf den venezolanischen Oberstaatsanwalt geplant zu haben. Es wurde aufgedeckt, dass CIA-Agenten in die Geschichte verwickelt sind und auch an Mordplänen gegen Chávez beteiligt waren.
Ein anderer Teil der Opposition ist darüber besorgt, dass solche Sabotageakte nur die ArbeiterInnen und Armen weiter nach links drängen werden, wodurch die Kapitalinteressen und das Profitstreben nicht eben gestützt werden.
Der Arbeitgeberverband Fedecamaras hielt kürzlich eine Konferenz ab, auf der die Rolle des Kapitals im von Hugo Chávez ausgerufenen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ diskutiert wurde! Sie neigen momentan eher zu einer gewissen Anpassung an die Chávez-Regierung – zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie eine weitere günstige Gelegenheit sehen, um erneut zuschlagen zu können.
Ein möglicher Fall der Ölpreise auf dem Weltmarkt oder eine zurückgehende Nachfrage nach venezolanischem Öl würde die Wirtschaft des Landes verwüsten. Schon jetzt, da der Ölpreis bei über 50$ liegt und die Staatsausgaben steigen und soziale Reformen möglich werden lässt, lebt fast die Hälfte der Bevölkerung in Armut.
Auch wenn die Forderungen der Arbeiterklasse nach Jobs, Wohnungen und funktionierenden sozialen Einrichtungen erfüllt werden, so werden eine eventuelle Wirtschaftskrise und die damit einher gehende Demoralisierung den Boden für einen diesmal erfolgreichen Sturz von Chávez in der Zukunft bereiten.
Um dieses Szenario zu verhindern, müssen Arbeiterklasse und Arme sofort handeln. Die Revolution muss vollendet und der Kapitalismus endlich abgeschafft werden.
Das heißt, dass alle Schlüsselindustrien, Banken und Finanzinstitutionen verstaatlicht werden müssen und nicht nur solche, die bankrott gegangen sind und deren Reprivatisierung von Chávez in Aussicht gestellt wurde. Die Besitzer müssen sofort entmachtet werden, damit sie nicht noch weitere Male die Möglichkeit erhalten, die Regierung Chávez zu stürzen.
Ein sozialistisches Venezuela mit einer demokratisch geplanten Wirtschaft und unter demokratischer Kontrolle und demokratischem Management der ArbeiterInnen wäre eine Motivation für die ArbeiterInnen und Armen, die mit Massenbewegungen und Aufständen die Angriffe des Neoliberalismus in Lateinamerika beantwortet haben. Ein sozialistisches Venezuela wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer echten Wirtschaftskooperation in Lateinamerika und zur Befriedigung der Bedürfnisse in einer kontinentalen sozialistischen Föderation.