Sa 01.07.2000
Trotzki widmete fast die ganzen letzten zwei Jahrzehnte seines Lebens dem Kampf gegen die innere Degeneration der Sowjetunion im Zuge der politischen Rückwärtsentwicklung unter der Führung Stalins. Im Gegensatz zu vielen anderen KommunistInnen wandte er die marxistische Methode nicht nur auf die Analyse der Entwicklung des Kapitalismus, sondern auch auf die Gesellschaft der Sowjetunion konsequent an.
Die Isolierung der russischen Revolution, die darauf zurückzuführen war, dass die sozialdemokratischen Parteien Europas die soziale Revolution verhinderten und bekämpften, war neben der Rückständigkeit Rußlands die zentrale Ursache für die politische Deformierung und das gesellschaftliche roll-back unter Stalin.
Trotzki verstand diesen Prozess bis 1933 noch nicht als gänzlich abgeschlossen. Er legte eine grosse Betonung auf den Zusammenhang zwischen der internationalen Entwicklung revolutionärer Bewegungen und der Verbürokratisierung der UdSSR. Mit jeder Niederlage der ArbeiterInnenbewegung festigte sich das konterrevolutionäre stalinistische Regime.
So ist es kein Zufall, dass Trotzki nach der „friedlichen“ Machtübernahme des Nazi-Faschismus in Deutschland die These einer Reformierbarkeit der KPdSU verwarf und statt dessen die Ansicht vertrat, dass eine politische Revolution notwendig sei, um die stalinistische Diktatur zu stürzen und den Weg für eine sozialistische Demokratie zu ermöglichen.
Die Niederlagen der ArbeiterInnenbewegung auf internationaler Ebene und der Siegeszug faschistischer Diktaturen, die auch auf die fatale Politik der KPn unter Anleitung des Kreml zurückzuführen war, ließ die Option eines Impulses für die Weiterentwicklung der UdSSR von außen und eine Änderung des politischen Systems nicht mehr zu.
Trotzki hat die russische Revolution aber nicht abgeschrieben. Er war der Ansicht, dass die UdSSR als nichtkapitalistische Gesellschaft wegen der Einführung des gesellschaftlichen Eigentums und der Planwirtschaft einen historischen Fortschritt darstellt, der von der Arbeiterschaft verteidigt werden muss.
Er differenziert zwischen der politischen und der sozialen Revolution. Während die sozialen Umwälzungen der Oktoberrevolution erhalten geblieben sind, solange der Kapitalismus nicht restauriert wurde, stellt die Diktatur der Partei- und Staatsbürokratie eine politische Enteignung der ArbeiterInnenklasse dar. Die Bürokratie sei daher durch eine politische Revolution zu stürzen. Diese Analyse hat auch eine zentrale soziale Dimension.
Trotzki erkannte, dass die Staats- und Parteibürokratie in der Gesellschaft eine eigene soziale Schicht darstellt, (er sprach von einer „Kaste“), die materiell bessergestellt war als die Massen. Es handelte sich also nicht einfach nur um “bürokratische Tendenzen” innerhalb der Planwirtschaft, die mehr oder weniger eine fehlerhafte Entwicklung darstellen, sondern um die Herrschaft einer Schicht/Kaste. Diese hat soziale Eigeninteressen und verdankt ihre Besserstellung ihrer Macht, daher war klar, dass sie diese nicht freiwillig aufgeben würde.
Er hatte auch analysiert, dass die wirtschaftlichen Erfolge der Sowjetunion, die durch die bürokratische Planwirtschaft eintraten, von begrenzter Dauer sein würden. Dies ist umso erstaunlicher, als die stalinistische Industrialisierung in einer Zeit stattfand, als der Kapitalismus durch die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre im Systemvergleich äußerst schlecht dastand. Während in den USA und Europa die Produktion einbrach und die Arbeitslosigkeit auf bis 30% stieg, fand in der UdSSR ein wirtschaftlicher Aufbau statt, wenngleich von geringem Niveau und unter harten Umständen. Aber diese Gegenüberstellung ließ auch im Lager der Bürgerlichen Endzeitstimmung aufkommen.
Trotzki hat darauf hingewiesen, dass das Wachstum in der Sowjetunion ein rein quantitatives war, das darauf beruhte, westliche Techniken (mehr schlecht als recht) zu kopieren und nach ausländischem Vorbild Fabriken nachzubauen. Wenn dieser Prozess aber einmal abgeschlossen ist, stößt das bürokratische Regime unweigerlich an seine Grenzen, weil es unfähig ist, die Qualität der Produkte zu verbessern. Dazu bedarf es unter Bedingungen der Planwirtschaft der aktiven demokratischen Teilnahme der ArbeiterInnen und keiner bürokratischen Kommandowirtschaft. An diesem Widerspruch sind die Wirtschaften des ehemaligen Ostblocks letztlich auch gescheitert, indem zuerst Stagnation und Stillstand chronisch wurden und die Produktivkräfte nicht mehr weiterentwickelt werden konnten.