Tägliche Wettskandale

Überlegungen zum “Risiko” in einer kapitalistischen Gesellschaft
John Evers

Der deutsche Wettskandal zieht nun in Österreich seine Kreise: Der Hauptbeschuldigte Ex-Schiedsrichter Hoyzer hat manipulierte Spiele auch hierzulande angedeutet. Bundesligaverantwortliche und Wett-Unternehmen beteuern zwar, dass dafür keine Anhaltspunkte existieren. Sie geben aber ebenso zu, Vorkommnisse wie im Nachbarland nicht ausschließen zu können. Erwogen werden nun Wettverbote für Fußballer und Ausweispflicht für Wettkunden. Angesichts der Tatsache, dass die von Frank Stronach fast zur Gänze gekaufte Liga in der Realität eine einzige sportliche Manipulation ist, wirken diese Maßnahmen ohnehin lächerlich. Sie gehen aber auch am eigentlichen Problem völlig vorbei.

Spielsucht und Riesenumsätze

Im Jahr 2004 wurden alleine durch Sportwetten Umsätze in der Höhe von 915 Millionen Euro gemacht. Internetanbieter BETandWIN.com meldete unlängst einen Rekord-Quartalsumsatz von über 184 Mio. EUR; ein Plus von 113 Prozent. 2002 erzielten die Casinos Austria AG einen Gewinn (!) von 12,72 Millionen Euro (fast 180 Millionen ATS), von dem sie übrigens laut ÖGB lediglich 1.6 % Steuern bezahlten. Gleichzeitig gelten in Österreich rund 100.000 Personen als spielsüchtig. SPÖ und Grüne, aber auch konservative Kräfte nehmen nun den Wettskandal zum Anlass, um “Prävention” zu fordern: “Der Vorstoß des Salzburger Landtages, die Schutzbestimmung für Jugendliche im Hinblick auf die bis dato erlaubten Lotto, Toto-Spiele sowie Rubbellose zu erweitern, sollte auch von den anderen Bundesländern übernommen werden”, sagt Abg. z. NR Silvia Fuhrmann, Obfrau der Jungen ÖVP.  Das sind reine Alibiaktionen! Zur tatsächlichen Entwicklung des europäischen Glückspielsektors meinte die European Betting Association vor wenigen Tagen: “Nach Ansicht des Generalsekretärs der European Betting Association (“EBA”) Didier Dewyn sind in Bezug auf die Liberalisierung der europäischen Sportwettmärkte deutlich Fortschritte feststellbar.”

Tägliche Wettskandale

Während man dem ÖGB Informationssendungen zu den Pensionskürzungen im ORF verweigerte, flimmern fast täglich ganze Glücksspielshows im staatlichen Rundfunk. Ironischerweise wird z.B. gerade das “Millionenrad” von jemandem moderiert, dessen erhebliche Finanzprobleme öffentlich bekannt sind. Ebenso gibt es im Sport keinen Event ohne Zocken. Tatsächlich ist das aber nur die Spitze eines kapitalistischen Eisberges. Herbert Prohaska und andere Sportler bewerben “Quadriga-Superfund”-Anleihen - also Spekulation - als ideale Geldanlage für den “kleinen Mann”. Österreichs Banken überschlagen sich geradezu dabei, ihren Kunden extrem unsichere Fremdwährungskredite mit kaum abschätzbarem Risiko anzudrehen (+12,4 % gegenüber dem Vorjahr). Der Löwenanteil davon dient zur Finanzierung elementarer Bedürfnisse: Es handelt sich um Wohnungs- und Hausbaukredite in einer durchschnittlichen Höhe von 100.000 - 130.000 Euro! Es spekulieren hier Menschen, die eigentlich viel zuwenig Geld zum (ver)spekulieren besitzen.

Risiko und Kapitalismus

Die Tendenz zum finanziellen Risiko hat im Kapitalismus also zwei - durchaus miteinander verknüpfte - Seiten: Erstens wird  Zocken als erstrebenswerte und coole Lebenseinstellung, ja fast als Notwendigkeit präsentiert und vermarktet.  Zweitens gibt es vor, Bedürfnisse zu befriedigen, welche die kapitalistische Warenwelt permanent hervorruft oder erfindet. Übrig bleibt für viele ein schwarzes Loch: “Ein Viertel aller Österreicher hätten kein Geld für unerwartete Ausgaben, 223.000 Personen seien mit den Zahlungen im Rückstand” (der Standard, 11.2.2005).

Lösungsstrategien

Schuldnerberatungen, Arbeiterkammern und Gewerkschaften appellieren in diesem Zusammenhang an die Banken, “mehr soziale Verantwortung zu zeigen.” Das wäre genauso, wie denselben Appell an die Wettbüros zu richten. Beides ist sinnlos! Wesentlich effizienter wären da z.B. zweckgebundene Steuern für Glückspiel und Kreditwesen, die dann Beratungsstellen zufließen, eine Stärkung des Konsumentenschutzes, Ausbau niedrigschwelliger  Entschuldungsmöglichkeiten für kleine PrivatschuldnerInnen, etc … Eine komplette Vergesellschaftung aller Glückspielgeschäfte, Banken und Kreditinstitute könnte ein weiterer wichtiger Schritt sein. Gleichzeitig müsste dafür gesorgt werden, dass zumindest elementare Bedürfnisse, wie eben z.B. ausreichender und leistbarer Wohnraum und ein Mindestlohn von 1.100 Euro, für jede/n garantiert sind, um der Verschuldung eine wesentliche soziale Grundlage zu nehmen. Das Grundproblem liegt letztlich im System: Der Kapitalismus selbst machte das Zocken zur Heilslehre. Der Sozialismus basiert demgegenüber auf demokratischer Planwirtschaft, in der wenig gesellschaftlicher Raum für (Ab)Zocke bestehen bleiben wird …

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