Do 01.05.1997
Nach dem versprochenen Ederertausender versucht uns die Regierung ein weiteres Mal für dumm zu verkaufen: Die Einführung des EURO brächte nun die entgültige Einigung Europas und wichtige Vorteile, wie die Abschaffung der Wechselgebühren bei Geldumtausch beim Auslandsurlaub. Vergessen wird allerdings, daß sich aufgrund der Entwicklung der Löhne und der Sparpolitik, nur mehr ein Drittel der Bevölkerung einen solchen Urlaub leisten kann. Doch wie sehen die Perspektiven für die Wirtschafts- und Währungsunion - jenseits der Plattheiten der Regierungspropaganda - aus?
"Die Währungsunion ist Ausdruck des Willens der Menschen und Länder Europas, enger und wirksamer zum gemeinsamen Nutzen zusammenzuarbeiten." (Theo Waigel, deutscher Finanzminister). Die Bilanz der bisherigen Schritte zur Währungsunion "für die Menschen in Europa", ergibt allerdings ein erschütterndes Bild: 20 Millionen ohne Arbeit, 50 Millionen leben in Armut. Zusammengewachsen ist in Europa vor allem die Politik der Regierungen: Sozialabbau und Sparpolitik auf dem Rücken der Masse der Bevölkerung. Nach außen hin wurde durch das Schengener Abkommen ein neuer eisener Vorhang aufgezogen. Die Wahrheit ist immer konkret und die Folgen dieser gesamten Linie ebenfalls: Daß in Großbritannien zwei Millionen Schulkinder unterernährt sind, ist genauso ein Ergebnis dieser Politik, wie der Einsatz von Kriegsschiffen gegen Menschen, die vor Not und Verfolgung flüchten.
"Bei Maastricht ist der Weg auch ein Stück weit das Ziel, erlaubt es doch den Regierungen und Parlamenten, von ihren Völkern entscheidente Stabilitätsopfer zu verlangen." (derselbe Waigel). Maastricht ist ein gemeinsames Projekt der Unternehmer Europas um Sozialabbau durchzuführen. Es ist ein neoliberales Projekt, bei dem Kriterien wie Geldwertstabilität und Verschuldung (und nicht Wachstum, Arbeitslosigkeit...), zählen. Aber es ist ebenfalls der Versuch, auf kapitalistischer Grundlage durch eine einheitliche Währung den Nationalstaat zu überwinden und den USA und Japan einen ebenbürtigen Konkurrenten entgegenzustellen.
"Historische" Mission EURO
Tatsächlich ist der Haupttrend nicht die "Globalisierung" - also die Herausbildung einer schrankenlosen Weltwirtschaft. Der Wegfall des Ost-West-Konflikts hat zu einem stärkeren Hervortreten der Konkurrenz zwischen den USA, Japan und der EU geführt. Begleitet war diese Entwicklung durch eine stärkere innere Integration in diesen drei Blöcken. Doch während die USA und Japan jeweils unangefochten die Nr.1 sind, ergeben sich aus dem zunehmenden deutschen Einfluß in der EU Spannungen und Probleme. Die deutsche Bourgoisie begegnete diesem mit der Forcierung des Maastrichtprojekts, der Fiktion, Nationalstaaten und damit nationalstaatliche Bourgoisien zu überwinden. Ein neuer -der stärkste Wirtschaftsraum der Erde soll so entstehen.
Eine unendliche Geschichte
Weltweite Produktion und Nationalstaat ist eines der Hauptwiderspruchspaare im Kapitalismus. In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts hatte der Versuch diesen Widerspruch auf kapitalistischer Grundlage zu überwinden, zwei Weltkriege zur Folge. Aber auch die Entwicklung nach 1945 zeigt, daß Intergration nur zu Zeiten einer boomenden Weltwirtschaft möglich war. Auch diese Formen des Zusammenwachsens waren begrenzt. Das internationale Währungssystem fixer Wechselkurse wurde mit dem Dollar als Leitwährung nach dem Krieg errichtet. Es brach im Vorfeld der ersten Weltwirtschaftskrise Mitte der 70er Jahre zusammen. Der Versuch, in Europa einen Hartwährungsblock zu errichten, überlebte diese Krise ebenfalls nicht. Erst 1979 nahm man einen neuen Anlauf: Das "Europäische Währungssystem" (EWS) - ebenfalls ein System fixer Wechselkurse - wurde installiert. Bis zum Jahre 1987 gab es elf Neufestsetzungen der Wechselkursparitäten, die fast zur Zerbröselung des EWS führten. Das Jahr 1989/90 markierte eine kurzfristige Trendumkehr: Die deutsche Vereinigung bescherte Europa eine Sonderkonjunktur und einen Integrationsschub unter Führung Deutschlands. Am Höhepunkt dieser Entwicklung wurde der Vertrag von Maastricht abgeschlossen. Zur gleichen Zeit brach das EWS auseinander - die Wechselkurse wurden mit 15 Prozent Schwankungsbreite (jeweils nach oben und unten) de facto freigegeben. Bis heute hat es keinen Versuch der Wiederbelebung des EWS gegeben. Alleine schon die Betrachtung der bisherigen Entwicklung demonstriert, daß es schon bisher keine kontinuierliche Integration in der EG/EU gab.
EURO-Stufenplan und Ziele
Mit dem Jahr 2002 soll der EURO eingeführt werden. Das stellt zunächst eine Verschiebung um zwei Jahre dar - ursprünglich war das Jahr 2000 vorgesehen. Im Frühjahr 1998 soll auf Grundlage der Wirtschaftsdaten von 1997 über den entgültigen Kreis der Teilnehmer entschieden werden. 1999 werden laut Plan zwischen den betroffenen Staaten unwiderruflich fixe Wechselkurse beschlossen. Die Kontrolle über Zinsen und Währungen - also die gesamte Geldpolitik - wird einer europäischen Zentralbank übergeben. Die Wechselkurse müssen über zwei Jahre hindurch eingehalten werden - um eben im Jahre 2002 die nationalen Währungen durch den EURO zu ersetzen. Die Ziele sind im Wesentlichen: Nationale Alleingänge auszuschalten, die Staaten zur eisernen Budgetdisziplin anzuhalten und ein Gegenwicht zum Dollar aufzubauen. Vor allem sollen auch so die Rahmenbedingungen für das Finanzkapital entscheidend verbessert werden. Hohe Verschuldung und niedrige Zinsen würden dem im Wege stehen - nicht zuletzt deshalb sieht das Maastrichtkonzept hier eine strenge Reglementierung vor.
Europäische Realität und Widersprüche
Tatsächlich erfüllte 1996 kein Mitgliedsstaat der EU (außer Luxemburg) die Konvergenzkriterien. Auch der "Erfinder" der Kriterien - Deutschland - hat aufgrund der gallopierenden Arbeitslosenrate massive Probleme das Defizit in den Griff zu bekommen. Ein "Frisieren" der Bilanzen ist jetzt überall im Gange: Italien will die Schwarzarbeit in das Volumen der Volkswirtschaft einbeziehen (um so im Verhältnis die Verschuldung zu reduzieren), Deutschland will sich die Kosten für die Vereinigung anrechnen lassen... Der tollste "Trick" ist allerdings die Ausgliederung. Leistungen, die mindestens zur Hälfte kostendeckend sind, dürfen aus dem Budget auslagert werden. So schlägt man mehre Fliegen mit einer Klappe: Die Zahlen werden geschönt, Tarife erhöht, staatliche Dienste reduziert und durch die Ausgliederung die vollständige Privatisierung vorbereitet.
In der EU sind vom Stand der wirtschaftlichen Entwicklung und Produktivität stark unterschiedliche Staaten und Regionen zusammengefaßt. Das Verhältnis des jeweiligen Bruttosozialproduktes pro Kopf zwischen dem reichsten und dem ärmsten Staat der EU beträgt 1 : 4,5. Bei der Produktivität gibt es ein Gefälle von bis zu 40 %. Nationale Währungen sind eine Möglichkeit, wirtschaftliche Probleme und Ungleichheiten in der Entwicklung abzufedern. Niedrige Zinsen können als Mittel eingesetzt werden, um die Konjunktur zu beleben. Diese Möglichkeiten würden durch die Einführung des EURO theoretisch wegfallen. Gleichzeitig bleiben 99 % des Budgets unter Kontrolle der jeweiligen Nationalstaaten. Das heißt, daß es zwar eine übernationale Währung geben soll, aber keinen Staatsapparat und keine übernationalen budgetären Instrumente, um diese Währung zu (unter)stützen, bei Problemen zu intervenieren ...
Wirtschaft im Abwertstrend
Der entscheidende Faktor, ob diese Widersprüche abgeschwächt werden oder verstärkt aufbrechen, ist die wirtschaftliche Entwicklung. In Krisenzeiten neigen die Bourgoisien dazu, protektionistische Maßnahmen zu setzen. Das bedeutet z.B. den Einsatz von Subventionen um im Standortwettbewerb zu bestehen. Ebenso spielt in solchen Zeiten die nationale Währungs- und Zinspolitik wieder eine größere Rolle. Der Zusammenbruch des Europäischen Währungssystem (EWS) 1992 stand in engem Zusammenhang mit der Rezession 1993. Die jetzigen Wachstumsraten sind mit rund 2%/Jahr auf einem historischen Tiefpunkt - der Kapitalismus weltweit und besonders in Europa befindet sich in einer langanhaltenden Niedergangsphase. Die steigenden Arbeitslosenzahlen zeigen, daß auch dieses Wachstum kaum eine realwirtschaftliche Grundlage hat - das einzige, was tatsächlich boomt ,ist die Spekulation. Auf Basis dieser Entwicklung werden die Widersprüche zwischen den Bourgosien eher zu als abnehmen. „Das Weltsozialprodukt wird in den nächsten Jahren nicht wachsen, sondern schrumpfen. Die internationalen und politischen Spannungen werden zunehmen. Seperatistische Strömungen, lokale und nationale Autonomie werden wieder wichtiger. Sie werden dominierender werden als die großen Intergrationsideen.“ (Prof. Fredmund Malik, lt. Profil strategischer Berater zahlreicher europäischer Unternehmen und der ÖVP).
Eine Rezession vor 2002 würde den EURO mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beerdigen. Paradoxerweise sind es gerade auch die Sparmaßnahmen im Zuge der Erfüllung der Maastrichtkriterien, die die Nachfrage dämpfen und die Konjuktur somit weiter abschwächen. Der konservative Ökonom Streißler prophezeit in der "Presse": Durch die Einführung des EURO käme es zu fünf Jahren Rezession.
Ein weiterer Punkt bei dem die Widersprüchlichkeiten des EURO-Projekts voll aufbrechen werden, ist die Frage der Teilnehmer. "Im Falle Frankreichs und Deutschlands habe die EU-Kommission die jeweils günstigste Variante ihrer Prognose angelegt; bei Italien die schlechteste ... Die Teilnahme an der Europäischen Währungsunion sei eine “eminent politische Frage", zitiert die Presse den italienischen Ministerpräsidenten Prodi und gibt ihm recht. Die unterschiedlichen Interessen einzelner Staaten und Fraktionen der Bourgoisie (Frage der Teilnahme, Härte der Währung...) - könnten den EURO “statt zum Treibmittel zum Sprengmittel” für die EU werden lassen (der Chef der deutschen Bundesbank im Profil).
Mögliche Szenarien
Sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten, daß eine "kritische Menge von Staaten" drei Jahre lang Konvergenzkriterien und Wechselkurse im notwendigen Verhältnis einhalten, würde der EURO 2002 eingeführt. Das würde zunächst eine weitere Spaltung Europas in einen „EURO-Kern“, einige "Trabantenstaaten" und Staaten, die ihren wirtschaftlichen Bezugspunkt verstärkt im außereuropäischen Raum suchen, bedeuten. In der „EURO-Zone“ würden Volkswirtschaften mit unterschiedlicher Produktivität in den Ring geschickt, wie bei einem Boxturnier in dem plötzlich die Gewichtsklassen aufgehoben werden. Die Ungleichheit der Regionen wird vor diesem Hintergrund weiter wachsen, mit allen sozialen und politischen Konsequenzen. Die Forderungen nach Strukturförderungen würden einem wachsenden Chauvinismus in den reicheren Gebieten gegenüberstehen. Ein Beispiel für die Größenordnung der Probleme: Die deutsche Regierung pumpt seit der deutschen Währungsunion in das Gebiet der ehemaligen DDR rund 200 Mrd Mark, um die regionalen Unterschiede und Spannungen abzufedern. Dem Strukturfonds der gesamten EU stehen insgesamt nur 50 Mrd Mark jährlich zur Verfügung.
Enormer Sprengsatz ist das Aufbrechens kurzfristig gestopfter Budgetlöcher. Auch ist die Frage offen, welches Vertrauen Kapitalanleger in den EURO haben würden. Wirtschaftliche und soziale Probleme würden dazu führen, daß die Regierungen verstärkt zu Subventionen greifen, der Druck, Transfer- und Ausgleichzahlungen zu tätigen, erhöht sich. Wenn auch nur eine einzige Regierung nachgibt, kommt die gemeinsame Währung unter Druck: Die Folge ist Kapitalflucht. Ein Krach der Finanzmärkte wäre (im Gegensatz zu den Behauptungen, daß diese besser kontrolliert werden könnten) die wahrscheinliche Folge. Je näher wir der EURO-Einführung kommen, desto größer werden die Widersprüche und Spannungen zwischen und in den EU-Staaten. Politisch drückt sich das in einer Zunahme von Klassenkämpfen, aber auch Nationalismus und Regionalismus aus.
Das Problem der Bourgoisie ist: Sie hat kein Alternativkonzept. Das Nichtzustandekommen des EUROS würde zu einer Stärkung der deutschen Mark (als europäische Ersatz-Leitwährung) führen. Das hätte einerseits verheerende Folgen für die exportorientierte deutsche Industrie, die schon jetzt unter der hohen DM leidet. Andererseits würde eine DM-Zone in Mitteleuropa enstehen, mit osteuropäischen Staaten als Hinterhof. Mit einer entsprechenden Reaktion anderer EU-Staaten - vor allem Frankreichs wäre zu rechnen. "Wir wären gegen alle und alle gegen uns" brachte der deutsche Ex-Bundeskanzler Helmuth Schmidt eine solche Situation auf den Punkt.
Doch im Moment stellt ohnehin keine Regierung den Termin in Frage. Wohl weniger, weil an diesen wirklich geglaubt wird, sondern, weil "Wer den Termin in Frage stellt riskiert, daß der Zwang zur Disziplinierung verloren geht." (Zitat: Bund der deutschen Industrie).