Fr 08.11.2024
Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten ist für viele ein Schock. Seine zweite Präsidentschaft bedeutet drohende Massendeportationen, landesweite Angriffe auf das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, Politik für Superreiche und eine Eskalation des Genozids in Gaza. Wie konnte ein Mann an die Macht kommen, der mit seiner menschenverachtenden Rhetorik und Politik so offen rassistische, frauenfeindliche, transphobe und kriegstreibende Positionen vertrat? Die Analyse des Wahlergebnisses zeigt, dass Trumps Sieg kein Zufall war, sondern Ausdruck tiefsitzender gesellschaftlicher Spannungen
Die Gefahr durch Trump 2.0
Trumps provokative Äußerungen wie der Ruf nach einem „Muslim Ban“, die offene Unterstützung des Genozids inklusive der Aufforderung an Netanjahu, „den Job zu Ende bringen“, und zahlreiche andere Äußerungen von ihm und seinen Unterstützer*innen offenbaren ein schockierend klares rassistisches Weltbild.
Trumps beunruhigende Vision für eine autoritärere, nationalistischere und restriktivere Politik offenbart sich nicht nur in seinen provokanten Äußerungen, sondern auch in seinem alarmierenden „Project 2025“. Dieses umfangreiche Programm zielt auf eine massive Machtkonzentration in den Händen des Präsidenten ab, um eine rechts-nationalistische Agenda rücksichtslos durchzusetzen. Trumps rassistisches Weltbild spiegelt sich nun auch in konkreten Plänen wider – von einem Abbau von Umweltstandards und Sozialleistungen bis hin zu massiven Einschnitten bei Bürger*innenrechten, die vor allem marginalisierte Gruppen treffen würden. Besonders alarmierend sind Trumps konkrete Vorhaben in der Migrationspolitik. Dazu gehören die Aufhebung verschiedener Asylstatus, die Verweigerung staatlich geförderter Wohnungen für Familien mit unterschiedlichen Aufenthaltstiteln, eine massive Ausweitung der Abschiebepolitik mit Millionen von Abschiebungen sowie eine Aufstockung der Finanzmittel für Grenzschutzmaßnahmen gegenüber Mexiko. Diese Maßnahmen würden den Zugang zu Asylverfahren und staatlicher Unterstützung für viele Migrant*innen massiv einschränken, Menschenrechte systematisch verletzen und die gesellschaftliche Spaltung weiter vertiefen.
Trumps rückwärtsgewandte Vision bedroht aber nicht nur Migrant*innen, sondern auch die Rechte von Frauen und LGBTQIA+-Personen. So plant er, den Zugang zu Abtreibungspillen massiv einzuschränken, indem er deren Versand verbietet und die Zulassung durch die FDA weiter beschneiden will – ein schwerer Angriff auf das fundamentale Recht von Frauen auf reproduktive Selbstbestimmung. Genauso alarmierend ist Trumps Vorhaben, traditionelle Familienstrukturen auf Kosten der Rechte sexueller Minderheiten zu stärken. Damit würde er die ohnehin marginalisierte LGBTQIA+-Community noch weiter in die Defensive drängen und ihre hart erkämpften Fortschritte bei der gesellschaftlichen Akzeptanz und rechtlichen Gleichstellung zunichte machen.
Trump gelang es, sich erfolgreich als Verfechter der amerikanischen Arbeiter*innenklasse zu inszenieren, der gegen eine korrupte politische Elite kämpft. Seine reaktionäre Erzählung, obwohl moralisch verwerflich und oft von der materiellen Realität losgelöst, identifizierte klare Feinde und versprach, „mit ihnen fertig zu werden“ – mit allen Mitteln. Dass er selbst ein korrupter Milliardär ist, spielt in der zynischen Welt der amerikanischen Politik kaum eine Rolle. Seine Fähigkeit, Ängste und Ressentiments zu kanalisieren, erwies sich als entscheidend für seinen Wahlerfolg. Offensichtlich ist es ihm gelungen, gerade weiße und männliche Teile der Bevölkerung um ein reaktionäres, rassistisches Weltbild zu versammeln. Trotzdem ist festzuhalten, dass viele Trump aus Protest gegen die akute Situation in den USA und das Versagen der Demokrat*innen gewählt haben.
Demokrat*innen mit genozidalem, rassistischem und asozialem Kurs selbst verantwortlich
Während Donald Trumps eigene spaltende Rhetorik und populistische Appelle zweifellos seinen politischen Aufstieg befeuerten, tragen die Demokrat*innen erhebliche Mitschuld. Ihr Versäumnis, die Bedürfnisse und Sorgen der Arbeiter*innenklasse angemessen zu adressieren, ebnete den Weg für einen Demagogen wie Trump. Zu lange vernachlässigten sie es, den Wähler*innen eine überzeugende Vision und Hoffnung zu bieten – gerade jenen, die mit wirtschaftlicher Unsicherheit, Arbeitsplatzverlust und sinkenden Lebensstandards zu kämpfen hatten. Stattdessen verfolgten die Demokrat*innen eine zentristisch-wirtschaftsfreundliche Agenda, die viele Wähler*innen zurückließ und das Gefühl der Entfremdung verstärkte.
Besonders deutlich zeigt sich dies bei der bedingungslosen Unterstützung der Demokrat*innen für Israels Genozid an der palästinensischen Bevölkerung, selbst angesichts wiederholter UN-Resolutionen, die einen Waffenstillstand und einen Gefangenenaustausch forderten. Während Israel weiterhin amerikanische Waffen und Finanzhilfen erhielt und die palästinensische Bevölkerung weiterhin massakriert wurde, hinterließ die Komplizenschaft der Demokra*tinnen bei diesen Gräueltaten viele Wähler*innen frustriert und desillusioniert. Eine parteiübergreifende Mehrheit der US-Bevölkerung ist gegen die Unterstützung der israelischen Kriegsführung – gerade deshalb haben viele arabische und muslimische Amerikane*rinnen Harris nicht gewählt. Mit ihrer Weigerung, die Waffenlieferungen zu beenden, verdeutlichen die Demokrat*innen, dass ihnen imperialistische und genozidale Politik wichtiger war als Trump zu besiegen.
Der Kapitalismus als Nährboden für Trumps Aufstieg – der einzige Weg: Sozialismus
Trumps Wahlsieg stellt eine reale Bedrohung für Frauen, LGBTQIA+-Personen, Migrant*innen und BIPOC-Communities (Schwarze, Indigene und People of Color) dar. Um diese Gefahr zu verstehen, müssen wir erkennen, dass der Liberalismus im Kampf gegen Rechtsruck und Faschismus weitgehend wirkungslos ist. Der Grund dafür liegt in den systemischen Widersprüchen des Kapitalismus selbst. Der Liberalismus kann die grundlegenden Probleme des kapitalistischen Systems nicht lösen – die Verarmung der Arbeiter*innenklasse, die wachsende Ungleichheit und die Krise der gesellschaftlichen Verhältnisse. Eben diese Faktoren führen zu einer zunehmenden Hinwendung zu rechter Ideologie und Faschismus als vermeintlicher „Lösung“ für die Nöte der Menschen.
Anstatt Trump also lediglich als Symptom zu bekämpfen, müssen wir die tieferen Ursachen im kapitalistischen System selbst in den Blick nehmen. Nur eine grundlegende Umgestaltung hin zu einer sozialistischen Gesellschaftsordnung kann die Voraussetzungen für eine wirklich emanzipatorische Politik schaffen, die die Interessen der unterdrückten Gruppen in den Mittelpunkt stellt. Das erfordert ein tägliches Engagement im Kampf für soziale Gerechtigkeit – weit über parlamentarische Politik hinaus. Wie der Bürgerrechtler Kwame Ture sagte: „Sie wählen einmal alle vier Jahre, und das ist Ihre politische Verantwortung? Das ist der Gipfel bürgerlicher Propaganda, die die Menschen politisch unverantwortlich macht. Sie denken, ihre Verantwortung beschränkt sich auf eine einzige Stimmabgabe am Wahltag. Politik ist jeden Tag.“
Gleichzeitig sollten wir den Rechten nicht den Gefallen tun, in Pessimismus zu verfallen. Reaktionäre Kräfte versuchen gezielt, den Eindruck zu erwecken, dass es keine Möglichkeiten für Widerstand gibt. Doch die jüngere Geschichte zeigt ein anderes Bild: Während der letzten Trump-Präsidentschaft haben z. B. 2017 Massenproteste an Flughäfen und Streiks der New Yorker Taxifahrer*innen den Muslim-Ban abgewendet. 2019 beendete die Streikdrohung des Verbandes der Flugbegleiter*innen einen Regierungs-Shutdown mit der Forderung nach Finanzierung der Grenzmauer. Auch historisch wurde der Vietnam-Krieg während der republikanischen Nixon-Präsidentschaft beendet. Das alles zeigt: Widerstand kann auch einen autoritären Trump in die Knie zwingen!
Der Wahlsieg Trumps zeigt vor allem, dass dieses System und die etablierte Politik uns nichts anderes zu bieten haben als Rechtsruck, Armut und Genozid. Nur durch die Überwindung des kapitalistischen Systems und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaftsordnung können wir die realen Ursachen für den Aufstieg des Faschismus beseitigen. Dafür braucht es den entschlossenen Kampf der Arbeiter*innenklasse und aller unterdrückten Gruppen. Nur so können wir eine Zukunft jenseits von Ausbeutung und Unterdrückung erkämpfen.
Der Wahlsieg Trumps, genauso wie der Wahlerfolg der FPÖ in Österreich und der Rechtsruck international, sollte ein Weckruf sein, sich zu organisieren und Gegenmacht jenseits der extremen Rechten und des politischen Establishments aufzubauen. Als ISA wollen wir das tun, mach mit!
Bild: Montecruz Foto (2020) Creative Commons: Attribution Share Alike