Kunst und Bewegung in Zeiten von Corona

Zur Weiterentwicklung braucht es die Verbindung Kunst & soziale Bewegungen statt eines elitären Kunstbegriffs
Michael Gehmacher

Ende April drehten über 30 Schauspieler*innen aus Österreich und Deutschland Videos zu den Coronamaßnahmen der Regierungen. Die Aktion war eine Mogelpackung: Die (großteils sehr prominenten und gut verdienenden) Schauspieler*innen thematisierten darin die  Lockdownmaßnahmen. Es ging nicht um Solidarität mit anderen Künstler*innen in sozial schwierigen Situationen. Coronamaßnahmen wurden unmittelbar für Gewalt in der Familie, Einsamkeit, Frauenunterdrückung, psychische Krankheiten usw. verantwortlich gemacht, andere Erklärungen ausgeblendet.

Die Videos (produziert von einer Münchner Medienagentur) waren kein Werkzeug, um für nötige Verbesserungen im Kunstbereich zu kämpfen, sondern Wasser auf die Mühlen der Coronaschwurbler*innen und Rechtsextremen. Die Reaktion der Gegenseite: (pseudokritische) Künstler*innen, die ihrerseits v.a. die staatliche Propaganda nachbeten fordern Auftrittsverbot und ähnliches. Den Boden für Rechtsextremismus aufbereiten und die Forderung nach Auftrittsverbot waren allerdings zwei Seiten der selben Medaille. 
Erfrischend waren dagegen Beiträge von Betroffenen, die die Aktion aufs Korn nahmen und Videos über ihren Alltag z.B. auf der Intensivpflegestation, posteten. In Österreich gibt es seit Beginn der Pandemie auch andere Künstler*innenproteste, die tatsächlich kritisch waren und zumindest ein paar Verbesserungen erreicht haben. 

Doch die weitergehende Frage, ob die aktuelle Auffassung von Kunst, die in der öffentlichen Darstellung oft mit der „Hochkultur“ verbunden ist und an der Trennung von Publikum und Künstler*innen festhält, wirklich der Weisheit letzter Schluss ist, wurde bis jetzt kaum gestellt. So gab es z.B. kaum eine Verbindung zu den Protesten im Sozialbereich, im Frauenbereich oder anderen Bewegungen, um gemeinsam z.B. für mehr Geld und mehr Infrastruktur zu kämpfen. Und das, obwohl viele Künstler*innen zum Überleben im Sozialbereich arbeiten und es zeitgleich mit dem Beginn der Pandemie Ansätze einer Frauen- und einer LGBTQ+-Bewegung in der Kunst gab. Die Trennung Publikum und Künstler*innen ist Ausdruck eines konservativ-bürgerlichen Kunstbegriffs, der davon ausgeht, dass die breite Masse bestenfalls einen passiven Konsumzugang zu Kunst haben kann. Das muss nicht sein: In der Flüchtlingsbewegung 2013 traten Geflüchtete mit einem eigenen Lied beim Protestsongcontest auf, der Rapper Kidpex rappte gemeinsam mit Geflüchteten uvm. Diese Aktionen waren solidarisch und überwanden die Trennung von Publikum und Künstler*innen. Sie produzierten neue Kunst, neue Künstler*innen und ein anderes Kunstverständnis. In den 1970ern kämpften viele Kärntner Slowen*innen um den Erhalt ihrer Sprache und Kultur. Es entstanden Kulturinitiativen, Laientheater, Slowen*innen begannen verstärkt selbst slowenische Literatur zu machen uvm. All das zeigt: Die „Kunstszene“ war schon mal weiter...  

 

 

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