VORWÄRTS-Schwerpunkt: Feministischer Streik!

aus der sozialistischen Zeitung VORWÄRTS Ausgabe 319 / Februar 2024

“Wenn Frau will, steht alles still”

von Christina Schilcher

In der Schweiz kam es am 14. Juni 1991 zu einem Streik unter dem Motto “Wenn Frau will, steht alles still”, welcher als die größte öffentliche Mobilisierung seit dem Landesstreik 1918 galt. Forderungen waren u. a. Lohngleichheit, Bekämpfung von sexueller Belästigung und Aufteilung der Hausarbeit.

2019 und 2023 demonstrierten dort erneut hunderttausende Menschen. Der Fokus der Forderungen lag auf einer Umverteilung von oben nach unten, Einkommensgerechtigkeit und Verbesserungen im Pensionssystem. In der feministischen Bewegung findet eine Radikalisierung statt - weg vom in den engen Regeln der etablierten Politik gefangenen bürgerlichen Feminismus, hin zum Kampf für reale Verbesserungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen für Frauen.

Feministischer Streik als Kampfform gewinnt immer mehr an Popularität. Dies ist kein Zufall - die kapitalistische Krise spitzt sich zu, wodurch Gewalt und Unterdrückung zunehmen. Die Pandemie hat diese Entwicklung beschleunigt, da Beschäftigte in Care-Sektoren (z.B. Gesundheit, Soziales, Bildung) immer größeren Belastungen ausgeliefert sind und deutlich wurde, dass Care-Arbeit, welche überwiegend von Frauen durchgeführt wird, unverzichtbar ist. Dadurch haben Frauen und Beschäftigte in Care-Sektoren an Selbstbewusstsein gewonnen und wollen sich die Ausbeutung nicht länger gefallen lassen.

So ist der Care-Bereich ein wichtiger Mobilisierungspunkt für die feministische Bewegung. Am 30. November 2023 kam es im Baskenland zu einem historischen Generalstreik für bessere Arbeitsbedingungen im Care-Sektor. In über 100 Städten fanden Mobilisierungen statt, und in vier Städten gab es riesige Demozüge. Hauptforderung war der Aufbau eines öffentlichen, nicht profitorientierten Pflegesystems.

Frauen stehen oft an der Spitze von Revolutionen, da die fortschreitende kapitalistische Krise vor allem die Lebensrealität von Frauen angreift. Frauendominierte Berufe werden am schlechtesten bezahlt, unbezahlte Arbeit wird verstärkt auf Frauen abgeladen. Daraus ergibt sich oft ein verstärktes Bewusstsein. Das wohl beste Beispiel hierfür:

Am 8. März 1917 legten in St. Petersburg Textilarbeiterinnen ihre Arbeit für Brot, Gerechtigkeit und Frieden nieder. Sie lösten damit die Russische Revolution aus. Am nächsten Tag streikten bereits 200.000 Arbeiter*innen.

 

Für Brot und Rosen: Feministisch streiken - damals und heute

von Sarah Moayeri

“Der Märzentag bestätigt durch die Tat, dass das Bürgerrecht der Frau ein wesentlicher, unlösbarer Teil des proletarischen Klassenkampfes für die volle politische Demokratie bedeutet.” Aus dem Aufruf der “Gleichheit” in Deutschland zum ersten internationalen Frauentag 1911, der den Kampf um das Frauenwahlrecht im Zentrum hatte, geht deutlich hervor, welche Rolle Feminismus für den Klassenkampf spielt - und umgekehrt. 

Hundert Jahre später begann eine neue Periode: Die 2010er Jahre leiteten eine feministische Welle ein, die sich zunehmend in Massenbewegungen ausdrückt und den feministischen Streik als Kampfform immer präsenter aufgreift. In Chile kulminierte die Wut über die Explosion sexualisierter und staatlicher Gewalt und Femizide in einer neuen feministischen Revolte, unter anderem mit Besetzungen an den Universitäten und dem Aufflammen von feministischen Gruppen und Strukturen im ganzen Land - ein längerer Organisierungsprozess, der im historischen feministischen Streik am 8. März 2019 mit einer Million Teilnehmer*innen gipfelte. Kurz darauf streikten Lehrer*innen, ein von Frauen dominierter Beruf, gegen ihre untragbaren Arbeitsbedingungen, Straßenproteste brachen gegen Preiserhöhungen aus und im Oktober fand die größte Demonstration in der Geschichte des Landes in Santiago de Chile statt, die die Regierung zum Erschüttern brachte.

Der Streik als Kampfform der Arbeiter*innenklasse

Das Beispiel Chiles zeigt nicht nur, welche Radikalität die neue feministische Revolte angenommen hat; es zeigt auch, welche Kampf-, Protest- und Organisierungsformen effektiv sind und welche Wechselwirkung mit verallgemeinerten Kämpfen der Klasse besteht. Streiks sind nicht nur ein Mittel, ökonomischen Druck aufzubauen und die Wirtschaft zum Stillstand zu bringen, sondern auch eine breite, solidarische, politische Bewegung aller Geschlechter aufzubauen. Der Aufruf für den feministischen Streik am 14. Juni 2023 in der Schweiz macht beispielsweise deutlich, wie die Bewegung ausgeweitet werden muss, um Forderungen durchsetzen zu können:

“Frauen bekommen immer noch weniger Lohn und tiefere Renten. Sie übernehmen mehr unbezahlte Arbeit. Und sie sind mit Diskriminierungen und Belästigungen konfrontiert. [...] Deshalb haben wir am 14. Juni 2023 zu einem großen feministischen Streik aufgerufen! Und uns mobilisiert. Am Arbeitsplatz, weil viele Ungleichheiten ihre Wurzeln in der Arbeitswelt haben. Aber auch in der Öffentlichkeit, damit sich die ganze Gesellschaft bewegt.”

Überall dort, wo wir in den letzten Jahren schlagkräftige feministische Streiks gesehen haben, sehen wir auch Versuche, diese in Form von Organisierung am Arbeitsplatz, in den Nachbarschaften, Universitäten und Schulen gezielt aufzubauen. Über 1.500 betriebliche Komitees, unterstützt von allen großen baskischen Gewerkschaften, schlossen sich dem Aufruf für einen feministischen Streik am 30. November 2023 an. Aber auch dort, wo die Gewerkschaften / Gewerkschaftsführungen eine ambivalente, bremsende oder gar keine Rolle spielen, bahnen sich kämpfende Frauen und queere Personen ihren Weg - und setzen damit wiederum die Gewerkschaften unter Druck. Der berühmte Streik von über 20.000 New Yorker Näher*innen 1909 war exemplarisch für diese Wechselwirkung: Was als spontane Arbeitsniederlegungen für höhere Löhne und gegen Schikanen am Arbeitsplatz begann, wurde mit brutaler Unterdrückung durch die Chefs, die Polizei und die Gerichte beantwortet. Diese Repression veranlasste die Frauen, ihre Gewerkschaft - angeführt von männlichen Vertrauensleuten - zu einem Streik in der gesamten Branche zu treiben. Dieser Streik transformierte die gesamte Gewerkschaftsbewegung in den USA und diente Clara Zetkin und anderen als Inspiration für den internationalen Frauenkampftag.

Feministische Bewegungen heute haben einen riesigen Einfluss auf das Bewusstsein und Selbstbewusstsein von Frauen und queeren Personen weltweit - aber auch auf Männer und breitere Schichten der Arbeiter*innenklasse. Die Politisierung gegen Gewalt, Sexismus, Übergriffe und jede Form von Unterdrückung kombiniert sich beispielsweise mit der Wut über ausbeuterische Verhältnisse am Arbeitsplatz und beeinflusst und beschleunigt gleichzeitig Prozesse von Widerstand und Organisierung. Feministische Streiks heute sind daher auch das, was die revolutionäre Sozialistin Rosa Luxemburg 1906, inspiriert von den Erfahrungen der russischen Revolution ab 1905, über die Dynamik von politischen und ökonomischen Kämpfen schrieb: 

“Allein die Bewegung im Ganzen geht nicht bloß nach der Richtung vom ökonomischen zum politischen Kampf, sondern auch umgekehrt. Jede von den großen politischen Massenaktionen schlägt, nachdem sie ihren politischen Höhepunkt erreicht hat, in einen ganzen Wust ökonomischer Streiks um. [...] Mit der Verbreitung, Klärung und Potenzierung des politischen Kampfes tritt nicht bloß der ökonomische Kampf nicht zurück, sondern er verbreitet sich, organisiert sich und potenziert sich seinerseits in gleichem Schritt. Es besteht zwischen beiden eine völlige Wechselwirkung. Jeder neue Anlauf und neue Sieg des politischen Kampfes verwandelt sich in einen mächtigen Anstoß für den wirtschaftlichen Kampf, indem er zugleich seine äußeren Möglichkeiten erweitert und den inneren Antrieb der Arbeiter, ihre Lage zu bessern, ihre Kampflust erhöht.”

Ein notwendiger Schritt im Klassenkampf

Feminismus und Streikbewegungen in frauendominierten Branchen haben in diesem Sinne in den letzten Jahren eine zentrale Rolle in der Entwicklung der Arbeiter*innenbewegung gespielt: Das ist kein Zufall, sondern hat mit der Stellung von Frauen (und auch queeren Personen und von Rassismus betroffenen Beschäftigten) in Produktion und Reproduktion zu tun. Der feministische Streik als Kampfmittel hilft dabei, diese Kämpfe zu verallgemeinern, zusammenzuführen und zu vertiefen. Im spanischen Staat haben Streiks am 8. März zu einer gestiegenen Aktivität der Klasse allgemein und zu wichtigen Kämpfen bei konkreten Anlässen geführt, wie zuletzt gegen die Übergriffe von Luis Rubiales, Präsident des Fußballverbands. In Deutschland haben in den letzten Jahren Tarifverhandlungen (KV-Verhandlungen) einen Ausdruck in Mobilisierungen am 8. März gefunden, auch durch den Druck von Feminist*innen, was wiederum die gewerkschaftlichen Kämpfe politisch bereichert hat.

Sexismus, Rassismus, Queerfeindlichkeit - jede Form von Unterdrückung wurzelt in der zutiefst von Ungleichheit geprägten kapitalistischen Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die auf der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen basiert. Wenn die neue feministische Revolte eines ausdrückt, dann die Tatsache, dass es im Rahmen dieses Systems nie zu einer wirklichen Gleichberechtigung der Geschlechter oder einem Ende der Gewalt kommen kann. Im Gegenteil, je tiefer die Krise des Systems wird, desto eher sind die Herrschenden darauf angewiesen, durch verschärfte rassistische und sexistische Unterdrückung, durch die Verfestigung von Rollenbildern und der “traditionellen” Familie, durch doppelte und dreifache Ausbeutung von Teilen der Arbeiter*innenklasse, die von Diskriminierung betroffen sind, ihre Macht zu stabilisieren. Der Kampf gegen dieses System muss daher auch umfassend sein: Feministische Streiks können das volle Potential der Arbeiter*innenklasse zum Ausdruck bringen und damit ein Motor des Klassenkampfs sein. Das Potential, als die gesellschaftliche Kraft, die den Reichtum überhaupt erst schafft, das System grundlegend umwälzen und in diesem Kampf jede Form der Ungleichheit und Spaltung zurückdrängen zu können. 

 

Marx aktuell: Reproduktionsarbeit

von Anna Hiermann

Care-Arbeit - ein weit gefasster Begriff. Darunter fällt alles zur Herstellung bzw. Wiederherstellung von Arbeitskraft. Dazu zählt der Gesundheitsbereich, der Bildungsbereich und der Sozialbereich. Um Lohnarbeit verrichten zu können, müssen Menschen medizinisch versorgt sein und Hilfestellung in bestimmten Lebenssituationen bekommen. Außerdem braucht es eine schulische bzw. berufliche Ausbildung, um auf die Arbeitswelt vorbereitet zu werden. So ist dieser Bereich für den Kapitalismus absolut notwendig. Doch all diese Tätigkeiten verursachen für den Staat oder private Anbieter*innen Kosten und bringen im Vergleich zum Produktionssektor meistens keinen oder nur wenig Profit. Gewinn zu erwirtschaften ist im Kapitalismus jedoch essenziell. Daher werden die Beschäftigten in diesen Bereichen meist schlechter bezahlt als ihre Kolleg*innen im Produktionsbereich. 

Da Kindergärten, Schulen oder Krankenhäuser oftmals sogar ein Verlustgeschäft darstellen, im Gegensatz zu Banken oder dem Metallsektor, wird gerade in wirtschaftlichen Krisen in den drei erstgenannten Bereichen zuerst eingespart. Einrichtungen werden meist nicht komplett geschlossen, jedoch werden die Bedingungen schlechter. Als Folge werden Tätigkeiten wie die Kinderbetreuung oder die Altenpflege wieder in die Hand der Familie bzw. in jene der Frauen gelegt (Stichwort “Herdprämie” oder Anstellung pflegender Angehöriger). Dadurch sind überwiegend Frauen entweder mehrfach belastet oder sie können gar keiner Lohnarbeit nachgehen. Zweiteres führt zu einer starken Abhängigkeit vom Partner und Trennungen, z. B. bei häuslicher Gewalt, sind so nur schwer möglich. Dieser Widerspruch führt dazu, dass rechte Kräfte wieder verstärkt traditionelle Geschlechterrollen propagieren. Sie rufen Frauen dazu auf, Kinderbetreuung und Altenpflege unbezahlt zu Hause zu übernehmen. Gegen den rechten Backlash müssen wir daher auf die Straße gehen und streiken, um den Care-Bereich nicht nur vor Einsparungen zu schützen, sondern für eine professionelle und von der Gesellschaft organisierte Betreuung und Pflege für alle, die sie brauchen, zu kämpfen!

 

Wie können wir feministisch streiken?

von Andrea Gasperlmair

Im Oktober legten mehr als 11.000 Freizeit-, Hort- und Elementarpädagog*innen die Arbeit nieder, im November und Dezember gab es zum ersten Mal in der österreichischen Geschichte bundesweit Streiks im Handel. Arbeitskämpfe in diesen Bereichen sind schon allein durch den großen Frauenanteil auch ein feministischer Kampf.

Wir haben mit ROSA diese Kämpfe unterstützt und uns solidarisch mit allen Streikenden gezeigt, in Wien sind sogar Thalia-Beschäftigte selbst mit uns in Kontakt getreten und haben um Unterstützung gebeten, weil sie sich auf die Gewerkschaftsführungen nicht verlassen konnten. Das zeigt einmal mehr, wie kämpferisch diese Branchen sind und wie wichtig die Erkenntnis ist, Druck von unten aufzubauen und nicht auf die Initiative der Gewerkschaften zu warten.

Ebenso haben die Kämpfe gegen Gewalt an Frauen und queeren Personen zugenommen. Das feministische Bewusstsein in Österreich ist durch die neueste Welle von #metoo gestiegen, und der 8. März hat sich als feministischer Kampftag etabliert, an dem jedes Jahr immer mehr Menschen auf der Straße protestieren. Auch der 25.11, int. Tag gegen Gewalt an Frauen und LGBTQ+, wird in Österreich endlich als feministischer Aktionstag wahrgenommen; ein großer Erfolg - und das, weil ROSA seit Jahren dafür mobilisiert und Demos sowie Aktionen organisiert.

Feminismus und Arbeitskampf gehören zusammen

Der 8. März war von Anfang an ein feministischer Streiktag, und ein Blick in die Gegenwart spiegelt wider, dass die frauendominierten Berufsfelder des Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich weiterhin die kämpferischsten Streiks führen. Die Schwäche der Gewerkschaften und einiger Teile der Linken ist, Arbeitskämpfe und feministische Kämpfe separat wahrzunehmen. Doch Feminismus und Arbeitskampf sind im Kapitalismus verbunden, das betonen wir auf den Demos jedes Jahr.

Ein erster Schritt hierzu wäre es, demokratisch geführte Streikkomitees in den Betrieben zu bilden, sich auf den 8. März vorzubereiten und entsprechende (berufsspezifische) Forderungen aufzustellen. Ein Beispiel hierfür ist die Initiative „Sozial aber nicht blöd“, die letztes Jahr schon öffentliche Betriebsversammlungen im Sozialbereich am 8. März veranstaltete. Kurze Walk-Outs (Protestkundgebungen vor dem Betrieb) gegen Sexismus am Arbeitsplatz können ebenfalls ein erster Schritt sein. Das Potenzial liegt aber auch in Schulen und Unis, wo die Arbeitsbedingungen für das Lehrpersonal katastrophal sind, Migrant*innen von Anfang an unter dem rassistischen Bildungssystem benachteiligt werden und Schülerinnen bereits in jungen Jahren mit sexistischen Kleidervorschriften vermittelt wird, dass sie daran Schuld seien, wenn ihre Körper sexualisiert werden. ROSA hat deshalb den ersten Schulstreik am 8. März 2022 in Wien organisiert, bei dem über 200 Schüler*innen teilnahmen. Um in den kommenden Jahren weitere und größere Streiks zu planen, wäre ein erster Schritt, Aktionsgruppen für den 8. März unter Schüler*innen und Lehrpersonal zu gründen. Ein weiteres, enormes Potenzial haben Streiks im Care-Bereich, vor allem in der Kindergartenbetreuung und Freizeitpädagogik. Mit der richtigen Planung und Kommunikation kann ein Dominoeffekt an Arbeitsniederlegungen entstehen: Wenn die Kinderbetreuung streikt, wer passt dann auf die Kinder auf? Die Eltern, die ebenfalls streiken! Somit wird der wirtschaftliche Druck weiter ausgeweitet und echte Verbesserungen können erkämpft werden.

Es ist also nicht nur wichtig, am 8. März zu streiken - sondern absolut notwendig im Angesicht der steigenden Inflation, Rechtsruck, rassis- tischen Hetze und 26 Femiziden im Jahr 2023. Der 8. März wird von den etablierten Parteien genutzt, um ein paar leere Worte über „Sexismus in der Gesellschaft“ zu sprechen. Doch genau sie sind es, die dieses sexistische, frauenhassende System aufrechterhalten, indem sie kürzen und hetzen. Wir müssen zusammen Widerstand zeigen - wir müssen den 8. März wieder zu einem feministischen Streiktag machen und uns gemeinsam gegen das kapitalistische System der Ausbeutung auflehnen!

 

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