Sa 01.09.2001
Anfang Juli demonstrierten auf der Gewerkschafts-Demo 50.000 Menschen gegen die Regierung. Nun plant der ÖGB vom 24.9.-14.10. eine Urabstimmung. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem der Begriff "Streik" zumindest in den öffentlichen Sprachgebrauch zurückgekehrt ist. Ein eintägiger Generalstreik könnte zum Ende der Regierung führen - wäre da nicht die ÖGB-Führung. Der jetzt aufgebrochene Bezüge-Skandal bei den Post-Personalvertretern zeigt das Dilemma. Dazu kommt noch die (fast) Streik-Abstinenz der letzten Jahrzehnte und die Auswirkungen davon: Es gibt kaum noch Beschäftigte, die auf Erfahrungen im Umgang mit Streiks zurückblicken können. Der folgende Artikel ist ein Auszug aus unserer neuen Broschüre “Für einen 24-Stunden-Generalstreik”.
Gründe für Widerstand gibt es genug. Die Liste der Angriffe auf ArbeitnehmerInnen und Arbeitslose, auf Frauen, Jugendliche, PensionistInnen und Immigrant-Innen ist lang: Der Sozialstaat wird zerschlagen, Kollektivver-tragsverhandlungen sollen von der Branchen- auf die betriebliche Ebene verlagert und die Gewerkschaft entmachtet werden, das Pensionssystem wird ausgehebelt und auf "private" Vorsorge umgestellt und die Sozialversicherungskosten sollen stärker auf die Arbeitnehmer-Innen abgewälzt werden.Die Regierung fährt einen Angriff auf die ArbeiterInnenbewegung nach dem anderen (siehe Titel). Auf demokratischer Ebene werden das Demonstrations- und das Streik-recht in Frage gestellt.
Wer fürchtet sich vorm ÖGB?
Dass es so nicht weitergehen kann, ist offensichtlich. Wenn wir diese Politik nicht stoppen, werden wir bald ohne Sozialversicherung aber dafür mit Schulden dasitzen. Widerstand ist also notwendig. Aber wie?
Bis jetzt hat die Gewerkschaftsführung auf Verhandlungen gesetzt, gebracht haben diese nichts. Verhandlungen können etwas bringen, wenn die Gewerkschaft sie aus einer Position der Stärke heraus führt. Der einzige Zweck von Verhandlungen in den letzten Jahren ist es aber, die Gewerkschaft über den Tisch zu ziehen und/oder ihr Zugeständnis zu Angriffen auf den Sozialstaat zu erhalten. Sozialpartnerschaft wollen Regierung und Unterneh-mer nur solange, solange sie in der Defensive sind. Einmal in der Offensive und stark genug, um ihre Anliegen durchzupeitschen, interessiert sie die Sozialpartner-schaft nicht mehr. Daraus muss die Gewerkschaft ihre Lehre ziehen und nicht einseitig an der Sozialpartnerschaft festhalten, sondern mit den passenden Mitteln gegen die Angriffe kämpfen.
Auch die halbherzigen Aktions-tage des ÖGB haben sich als wirkungslos herausgestellt, ebenso wie die 55.000 Unterschriften gegen die Zerschlagung und Privatisierung der Sozialversiche-rung. Selbst die Demonstration mit 50.000 TeilnehmerInnen am 5.Juli 2001 hat die Regierung kaum beeindruckt. Der Grund ist einerseits, dass Regierung und Wirtschaft wissen, dass auch die ÖGB-Führung kein Interesse an einem Streik hat. Und anderseits wissen sie auch, dass es sich um Einzelaktionen der Gewerkschaft handelt und es keinen zusam-menhängenden (Stichwort: Ver-knüpfung der Proteste z.B. von Post und LehrerInnen) Plan gibt.
Streik: Eine effektive Waffe
"Das Herz eines Unternehmens sind seine Beschäftigten." Dieser schon abgegriffene Satz stammt zwar sinngemäß aus "Mitarbeiter-motivation für Anfänger", hat aber einen wahren Kern: Ohne ArbeitnehmerInnen geht nichts im Kapitalismus. Um seinen Betrieb am Laufen zu halten und Profit zu erwirtschaften braucht der Unternehmer eben "seine" ArbeiternehmerInnen. Aus diesem Grund trifft ein Streik sowohl den einzelnen Unternehmer, wie den Kapitalismus als Ganzes an seinem Lebensnerv. Ein bestreikter Betrieb hat die Möglichkeit einen Streik "auszusitzen", Streikbrecher zu engagieren oder den Forderungen einzuwilligen. Eines ist ihnen aber gemeinsam: Sie sind mit zusätzlichen Kosten für den Betrieb verbunden - einmal ganz abgesehen von den Kosten, die durch Streiks "stillstehende" Betriebe entstehen.
Aber weil Unternehmer Streiks fürchten, reicht oft die bloße Ankündigung bzw. Drohung, wie es bei uns in den letzten Jahrzehnten der Fall war. In Wirklichkeit war das und nicht die "Sozialpartnerschaft" der Grund für die erzielten Reformen der letzten Jahrzehnte.
Den Streik als Drohung einzusetzen funktioniert aber nur, wenn die Gefahr eines Streiks eine Reale ist. Weiß der Unternehmer aus Erfahrung, dass es sich um eine leere Drohung handelt, wird sie wirkungslos. Die ÖGB-Spitze hat in den letzten Jahrzehnten zwar immer wieder gedroht, aber so gut wie nie ernst gemacht. Das wissen auch Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung und Regierung.
Volk ohne Streik-Gen?
Trotzdem sind die Österreicher kein Volk ohne "Streik-Gen". In der Ersten Republik gab es eine Reihe wichtiger Arbeitskämpfe und auch nach 1945 war die ArbeiterInnenklasse weit kämpferischer, als das heute zugegeben wird. 1950 wandten sich hundertausende ArbeiterInnen mit dem Oktoberstreik gegen die Packelei von Gewerkschaftsspitze, Regierung und Unternehmern und gegen die sogenannten "Lohn-Preis-Abkommen". Bis in die 60er Jahre gab es hunderte - wenn auch meist kleinere - Streiks. Der große "Knick" kam erst in den 70er Jahren.
Die ÖsterreicherInnen sind also keineswegs von Natur aus "streikfaul" sondern sie haben es über Jahrzehnte von der Gewerk-schaftsbürokratie so gelernt. Die Sozialpartnerschaft hatte v.a. auch die Aufgabe, die Arbeiter-Innenschaft "einzulullen" und vom Kämpfen abzubringen. Die streikfeindliche Politik des ÖGB hat dazu geführt, dass diese Organisation mit 1,44 Millionen Mitgliedern heute zahnlos dasteht. Aber was VER-lernt werden kann, kann auch ER-lernt werden! Durch die Teilnahme an einem Streik lernt die ArbeiterInnenklasse mehr, als durch Bücher oder Gewerkschaftstage. Sie lernt aktive Solidarität und wie die Unternehmer, Staat und die Medien gegen sie vorgehen. Ein Streik ist ein Augenblick, in dem die Widersprüche zwischen den Interessen von Arbeit und Kapital offensichtlich werden und sich die ArbeiterInnenklasse ihrer Stärke und Möglichkeiten bewusst wird.
24-Stunden-Generalstreik organisieren
Ein 24-stündiger Generalstreik wäre ein Schritt, der der Regierung zeigt, das der ÖGB kein "Bienenzüchterverein" ist, sondern, wie es auch in seinen Statuten steht, eine Kampforga-nisation. Mit der Urabstimmung befragt der ÖGB erstmalig in seiner Geschichte seine Mitglieder. Wenn die Abstimmung nicht als Alibiaktion missbraucht wird, kann sie genutzt werden, um alle Gewerkschaftsmitglieder, Be-triebsrätInnen und PersonalvertreterInnen auf den Streik vorzubereiten. Gerade weil die konkreten Erfahrungen mit Arbeitskämpfen bei den meisten fehlen, muss ein Streik besonders gut vorbereitet sein. In Versammlungen müssen die Ziele diskutiert werden und alle müssen sich als Teil des Ganzen sehen. Es muss Information und Diskussion über die Regierungs-politik geben und darüber, welche Alternativen es gibt. Dazu müssen demokratische Strukturen in den Betrieben geschaffen werden. Nicht irgendwelche Funk-tionäre in Zentralen, sondern die aktiven KollegInnen vor Ort sollen die Entscheidungen in einer Streikleitung fällen. Insbeson-dere in Bereichen, in denen Notdienste organisiert werden müssen, wie z.B. in Spitälern oder bei der Feuerwehr, muss dies durch die Beschäftigten vor Ort geschehen. Denn sie wissen am besten, was mindestens notwendig ist. Indem sie ihre Arbeit kollektiv und demokratisch organisieren zeigen sie aber auch, wie effektiv ArbeiterInnen ihre Arbeit selbst verwalten können und das Manager und/oder Unternehmer absolut entbehrlich sind. Erfahrungen zeigen, dass gerade demokratische Strukturen ein wichtiges Rückgrat von Streik-bewegungen sind.
Jenen Bereichen, die gewerkschaftlich gut organisiert sind und eine gewisse Kampftradition haben, fällt in der Vorbereitungs-phase eine wichtige Rolle zu. Post, Bahn, der Öffentliche Dienst und die Reste der Verstaatlichten Industrie können durch Warnstreiks in der Vorbereitungsphase zeigen, dass es mit dem 24-stündigen Generalstreik ernst ist. Sie können den Beschäftigten in anderen Branchen zeigen, dass Streiken möglich ist.
Ein Streik ist eine aktive Angelegenheit. Er ist begleitet von Versammlungen, Demonstrationen und auch die restliche Bevölkerung muss über die Gründe und Ziele des Streiks aufgeklärt werden. In großen, gut organisierten Betrieben ist es leichter einen Streik zu organisieren als in Kleinen. Hier ist Solidarität zwischen den Beschäftigten der einzelnen Betriebe besonders wichtig.
Die Überlegung, keinen General-streik, sondern viele punktuelle, zeitlich und örtlich unterschiedliche Streiks zu organisieren, hat mehrere Haken. Findet ein Streik nur in einzelnen Filialen eines Unternehmens oder nur in einzelnen Unternehmen einer Branche statt, so kann die Produktion rasch in die anderen ausgelagert werden. Der Schaden für die Unternehmer wird somit minimal. Gerade wegen der fehlenden Streikerfahrung ist es wichtig, mit einem Generalstreik so viele Beschäftigten wie möglich in den Streik mit einzubeziehen.
Auch andere Bevölkerungsgrup-pen, die von der Regierungspoli-tik betroffen sind, sollen zur Solidarität aufgerufen werden: SchülerInnen und Studierende, PensionistInnen, Arbeitslose und Hausfrauen/männer. Sie können sich in Unterstützungskomitees organisieren, eigene Aktionen setzen und so die Streikenden unterstützen.
"Ich würd' ja, aber die anderen..."
Viele KollegInnen haben Angst vor einem Streik, viele sind aber trotzdem bereit, für ihre Anliegen zu kämpfen. Eine Umfrage von IFES im Juli 2001 zeigt: 54% sind für Streiks, 37% sogar für Generalstreik, fast 50% der Gewerkschaftsmitglieder signalisieren Bereitschaft, sich an einem Generalstreik zu beteiligen - und das BEVOR eine Kampagne für einen Streik gestartet wurde.
Innerhalb der Gewerkschaft steht die Führung unter einem immer stärkeren Druck, endlich aktiv zu werden. Dass der Bundesvorstand endlich Maßnahmen beschlossen hat, spiegelt diesen Druck wieder. Seit dem Regierungsantritt am 4.2.2000 sind viele Mitglieder aus dem ÖGB ausgetreten, weil dieser nichts getan hat. Auf der Demonstration am 15.7.2001 war der Grundtenor: "Jetzt müssen wir endlich etwas tun. Es reicht!"
Natürlich ist es nicht so, dass die Basis nur auf den Startschuss wartet, um endlich zu streiken. Das wäre eine "romantische" und falsche Sichtweise. Die Aufgabe einer Gewerkschaft ist es aber auch nicht, zu sagen "es geht halt nicht, weil die Basis nicht will", sondern zu erklären, was notwendig ist und die Schlüsse daraus zu ziehen. Also auch Streiks zu organisieren und dafür unter der eigenen Mitgliedschaft zu werben. Eine Gewerkschafts-FÜHRUNG soll tatsächlich Initiativen vorgeben und eine führende Rolle spielen und nicht bremsen und hinterherhinken. Daher ist der ÖGB dazu aufgerufen, jetzt unter den Mitgliedern und FunktionärInnen zu informieren und für einen Streik zu mobilisieren.
Ja dürfen die denn das überhaupt?
Große Unsicherheit herrscht über die rechtliche Situation. Tatsache ist, dass Streiks an sich in Österreich nicht "positivrechtlich" geregelt sind. Es existieren also keine Gesetze speziell für Streiks. Daher gibt es auch keine legalen oder illegalen Streiks. Die Behauptung, Streiks im Öffentlichen Dienst wären verboten beruht auf einem heute nicht mehr gültigen Gesetz aus dem Jahr 1918. Wirklich verboten waren Streiks nur in der Monarchie, im austrofaschistischen Ständestaat und im Nationalsozialismus.
Die Regierung versucht natürlich, die rechtliche Situation der ArbeiterInnenklasse zu verschlechtern. Die Vorstöße von Riess-Passer für ein Streikverbot im Öffentlichen Dienst zeigen das ganz deutlich. Dabei ist Streiken aber ebenso ein Grundrecht wie Demonstrieren. In erster Linie ist es folglich keine juristische Angelegenheit, sondern eine politische Frage, ob Streiken "erlaubt" ist oder nicht. Und diese Frage hängt vom Kräfteverhältnis zwischen Gewerkschaften bzw. ArbeiterInnenklasse und Unternehmern bzw. Staat ab.
Widerstand verknüpfen!
Ein Ziel des 24-stündigen Generalstreiks kann es sein, zu sagen: "Bis hierher und nicht weiter". Das bedeutet aber auch die Verschlechterungen, die schon umgesetzt sind zu akzeptieren. Daher ist es wichtig, die Rücknahme der bisherigen Verschlechterungen von Regierung und Unternehmern zu fordern. Die Regierung wird sagen: "Gegen uns könnt ihr doch nicht streiken, wir sind doch demokratisch legitimiert und arbeiten nur für Österreich." Die Unternehmer werden sagen: "Gegen uns könnt ihr doch nicht streiken, damit schadet ihr euch nur selbst und außerdem, was können wir für die Maßnahmen der Regierung?" Nun, Regierung und Unternehmer sind keineswegs so unabhängig voneinander. ÖVP und FPÖ werden von der Wirtschaft und ihren Institutionen unterstützt und auch finanziert. Sie wurden von den WählerInnen keinesfalls dafür gewählt, das Pensionsantrittsalter hinaufzusetzen oder Studiengebühren einzuführen. Sie betreiben Politik im Sinne der Wirtschaft. Die Unternehmer profitieren von politischen Maßnahmen wie z.B. Flexibilisierung, Zwangsarbeit für Arbeitslose oder Kürzungen im Bildungswesen (es bleibt mehr Steuergeld für Unternehmenssubventionen und wozu muss ein Maurer Englisch können, meinen die Lehr"herren").
Streiks kommen aber auch im Rahmen der globalisierten Protestbewegung eine wichtige Rolle zu. Bis jetzt beschränkt sich diese Bewegung v.a. auf Demonstrationen und Gegengipfel. Die Proteste der Gewerkschaftsbewegung gegen die Kürzungen als Folge der globalen, neoliberalen Politik richten sich zur Zeit v.a. gegen die jeweiligen Regierungen. Diese beiden Bewegungen gilt es zu vereinen, wie es in Ansätzen beim Renault-Streik 1996 der Fall war. Der "Gegner" ist derselbe - der Kapitalismus und seine Auswirkungen. Für die Gewerkschaften ist die Verbindung notwendig, um über den eigenen, nationalen Tellerrand hinauszublicken, für die globalisierte Protestbewegung, um zu effektiven Kampfformen überzugehen. Streiks während oder im Vorfeld der Gipfel könnten diese verhindern bzw. ihre Politik ernsthaft in Frage stellen.
24-Stunden-Generalstreik als erste Warnung
Im Gegensatz zu betrieblichen Arbeitskämpfen, wo es meist um Löhne/Gehälter bzw. Arbeitszeit-fragen geht, stellt ein General-streik eine weit höhere Kampf-form dar. Es geht um generelle Angriffe und auch um politische Fragen, nicht der einzelne Unternehmer, sondern das System selbst wird in Frage gestellt. Ein 24-stündiger Generalstreik kann daher nicht als einzelne Maß-nahme, sondern als Bestandteil in einem Aktionsplan gesehen werden. Es muss klar sein, was nachher kommt. Was, wenn die Forderungen nicht erfüllt werden - dann müssen weitere und längere Streiks durchgeführt werden. Was, wenn die Forderungen erfüllt werden - sollen wir uns dann damit begnügen, oder in die Offensive gehen um Verbesserungen zu erkämpfen.
Vor, während und nach einem Generalstreik passiert viel. Vor allem finden in den Dienststellen und Betrieben, auf der Straße und in Lokalen Diskussionen statt. Menschen, die noch niemals auf einer Demonstration waren, gehen für ihre Anliegen auf die Straße. Menschen, die bisher dachten, was in der Zeitung steht ist wohl auch so, müssen feststellen, das die Medien über ihre Anliegen und ihren Kampf ein falsches Bild präsentieren. Menschen, die nichts verbrochen haben sind mit der Polizei und scharfen Angriffen durch die Regierung konfrontiert. Sie müssen sich von Regierungs-vertretern als "Gewalttäter", "Privilegienritter" und als "egoistisch" beschimpfen lassen.
Das wichtigste bei einem solchen Kampf ist es, konsequent zu bleiben. 1992 streikte in Deutsch-land der Öffentliche Dienst. Entgegen den Streikenden entschied sich die damalige Gewerkschaftsführung für einen Abbruch und einen weiteren faulen Kompromiss. Das Resultat war ein EU-Posten in Brüssel für die Vorsitzende der Gewerkschaft und bei vielen KollegInnen die aufkommende Frage: "Wozu das Ganze?". Dieses Beispiel zeigt die Wichtigkeit des demokratischen Aspekts. Daneben aber auch noch, dass ein "Stehenbleiben" auf halbem Weg bzw. ein fauler Kompromiss von KollegInnen mittel- bis langfristig als eine Niederlage wahrgenommen wird. Wird ein Streik beschlossen und durchgeführt, braucht das die demokratische Teilnahme aller Mitglieder. D.h. auch, dass darüber, ob Verhandlungsergeb-nisse angenommen bzw. der Streik abgebrochen oder beendet werden soll nicht eine handvoll Funktionäre sondern die Streikenden selbst entscheiden müssen. In den Verhandlungsteams müssen von den Streikenden gewählte VertreterInnen sitzen, die Verhandlungen müssen offen - z.B. Live im Fernsehen - übertragen werden.
Für kämpferische und demokratische Gewerkschaften
Eines ist klar, mit der jetzigen ÖGB-Führung wird ein derartiger Kampf nicht möglich sein. Die Urabstimmung wird nicht zur Mobilisierung genutzt, die Fragen werden sehr allgemein sein, die Forderungen nicht breit diskutiert. Die Gewerkschaftsbürokra-tie hat Angst vor einem Streik. Auch deshalb, weil sie die Kontrolle über den Streik und die Basis verlieren könnte, wenn diese beginnt, selbst aktiv zu werden.
Wir brauchen kämpferische und demokratische Gewerkschaften, die sich nicht auf Verhandlungen beschränken, die auf keine faulen Kompromisse eingehen und die Mitglieder nicht nur als BeitragszahlerInnen sieht. In einer demokratischen Gewerkschaft vergehen nicht 50 Jahre, bis eine Urabstimmung stattfindet, sondern sind die Mitglieder in den Entscheidungsprozess eingebunden. In einer demokratischen Gewerkschaft werden die FunktionärInnen tatsächlich gewählt und nicht bestellt, wie das im ÖGB teilweise der Fall ist. In einer demokratischen Gewerk-schaft sind die FunktionärInnen den Mitgliedern rechenschaftspflichtig und können jederzeit abgewählt werden. Viele GewerkschafterInnen wissen aufgrund ihres Spitzenverdienstes gar nicht mehr, wo den "einfachen" Mitgliedern der Schuh drückt. Das einzige Mittel um Skandale, wie den jetzigen um die Löhne der SpitzengewerkschafterInnen der Post, und Missbrauch von Gewerkschaftsgeldern zu vermeiden ist, die konsequente Umsetzung der Forderung von "Facharbeiter-Innenlohn für FunktionärInnen".
Für eine sozialistische Gesellschaft
Bei Streiks machen ArbeiterInnen die Erfahrung, dass sie gemeinsam stark sind und etwas erreichen können. Solidarität wird gelebt und erlebt. Beim Streik der Liverpooler Hafenarbeiter organisierten sich die Frauen der Hafenarbeiter in WOW ("Women of the Waterfront" - Frauen der Wasserfront) und führten verschiedenste politische Aktionen durch. Sie sind dadurch selbstbewusster geworden und die Männer haben gelernt, dass "ihre" Frauen v.a. ihre Mitkämpferinnen sind. Ein Aktivist des deutschen ÖTV-Streiks von 1992 meinte: "Elf Tage gemeinsame Kampferfah-rung haben mehr gegen AusländerInnenfeindlichkeit bewirkt, als alle moralischen Predigten der Politiker zusammen."
In einer kapitalistischen Gesellschaft wird es aber immer Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Unterdrückung geben. Die düsteren Aussichten für die Weltwirtschaft lassen weitere Angriffe erwarten, auf die die ArbeiterInnenklasse auch mit Streiks reagieren wird müssen. Jeder Streik, jeder Klassenkampf stellt auch die Machtfrage - wer soll entscheiden, die ArbeiterInnen oder die Unternehmer? Im Generalstreik der französischen ArbeiterInnen 1968 mit zehn Millionen TeilnehmerInnen ging es genau um diese Frage. Damals lag die Macht auf der Straße - aber die KPF (Kommunistische Partei Frankreichs) ergriff sie nicht und so ergriffen sie die Bürgerlichen.
In einem Streik wird den Unternehmern teilweise ihre Machtlosigkeit vor Augen geführt. Auf der anderen Seite erinnert jeder Streik die ArbeiterInnenklasse daran, dass ihre Situation nicht "Gott gegeben" ist und dass sie nicht alleine sind.
Unser Ziel ist eine sozialistische Gesellschaft, in der die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beendet wird, in der nicht Profite, sondern Bedürfnisse zählen. Um eine solche Gesellschaft zu erreichen, braucht es den gemeinsamen Kampf der ArbeiterInnenklasse. Ein Kampf, dessen wichtigste Bestandteile - Solidarität und Widerstand - Elemente jedes Streiks sind. Ein Kampf der nur dann erfolgreich sein kann, wenn die ArbeiterInnenklasse in den Kämpfen davor - also auch in Streiks - ihre eigene Stärke erfahren hat. Streikende ArbeiterInnen können rasch mit dem System des Kapitalismus an sich in Konflikt kommen. Das Vertrauen in die bürgerlichen Medien ist gebrochen, die ArbeiterInnen beginnen, sich ihre eigenen Medien zu schaffen. Nicht die Strukturen der bürgerlichen Demokratie, sondern jene, die sich die Streikenden selbst schaffen sind wichtig. Um "Aussperrungen" zu verhindern, werden Betriebe besetzt und damit die Eigentumsfrage gestellt. Wenn Unternehmer Arbeitsplätze durch Betriebsschließungen vernichten wollten kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Betriebsbesetzungen. Das bekannteste Beispiel ist die französische Uhrenfabrik LIP, die 1973 von der Belegschaft besetzt wurde. Die Produktion wurde selbst verwaltet und weitergeführt, es wurden Löhne ausbezahlt. Die LIP-ArbeiterInnen erhielten Unterstützung durch eine Welle von Solidarität von ArbeiterInnen aus vielen Ländern. Die Regierung beendete dieses Projekt mit Hilfe der Polizei. Rasch stellt sich dabei auch die Frage "wie können wir uns z.B. gegen einen Polizeiangriff wehren, wie gegen Streikbrecher?" . Sehr rasch kann damit der bürgerliche Staat in Frage gestellt werden und die Verteidigung der ArbeiterInnen-klasse wird auf die Tagesordnung gebracht. Streiks an sich sind noch keine Revolution, aber wichtige Schritte auf dem Weg dorthin, sie sind, wie Friedrich Engels es ausdrückte: "Kriegsschulen der ArbeiterInnenklasse".