Fr 27.02.2009
Der russisch-ukrainische Gasstreit und die damit ausgelöste Energiekrise in der EU Ende 2008/Anfang 2009 hat der EU-Atomlobby massiven Rückenwind verschafft. Die noch vor wenigen Jahren propagierten Ausstiegsszenarien sind vorerst vom Tisch. Liegt im Ausbau von nuklearen Energiequellen die Zukunft?
Der Streit zwischen Russland und der Ukraine begann erstmals im März 2005. Im Mittelpunkt des Konflikts stehen seither die ukrainischen Gasschuldenzahlung an die Gazprom, Preiskonditionen und Lieferbedingungen an die Ukraine und die Fragen des Transits nach Europa.
Am 1. Jänner 2009 eskalierte der Streit, Gazprom drehte den Gashahn zu. Innerhalb weniger Tage kam es in der EU zu massiven Lieferengpässen. In Bulgarien, Griechenland oder Tschechien froren die Menschen bei bis zu -20°C.
Die Kontroverse steht einerseits in Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise und der Zahlungsunfähigkeit der Ukraine. Sie reflektiert aber auch den Machtkampf zwischen dem russischen Militärblock und der Annäherung der Ukraine an die NATO.
Auf EU-Ebene wurden der Ruf nach einer Versorgungssicherheit und Energieunabhängigkeit laut, die „Atomlobby“ propagierte den Ausbau nuklearer Technologien als Universallösung.
„Saubere“ Kernenergie?
Argumentativ wird oft die billige Energieproduktion und die bessere Klimabilanz von Atomkraftwerken (AKWs) gegenüber z.B. Kohlekraftwerken vorangestellt. Ohne massive Subventionen durch den EU-Atomfördervertrag (EURATOM), von der EU-Steuermilliarden in Forschung und Entwicklung sowie Kreditvergabe für AKW-Betreiber fließen, hätte der Ausbau von derzeit EU-weit 155 AKWs nie stattgefunden.
Gleichzeitig werden jedoch die ökologischen Kosten des Uranerzabbaus, das ungelöste Problem einer sicheren Endlagerung der abgebrannten Brennstäbe oder die Gesundheitsschäden der Bevölkerung in der Kosten-Nutzen-Analyse ausblendet.
Zahlreiche Störfälle vor und nach dem Super-GAU in Tschernobyl, wie etwa in Sellafield/GB (1957 - Reaktorbrand, 2005 – Austritt radioaktiver Flüssigkeit) oder in Krümmel/D (2007 – Brand) korrelieren mit dem Anstieg von Leukämieerkrankungen in der lokalen Bevölkerung und belegen die potentielle Bedrohung der Umwelt durch diese Technologie.
Hinter den AKW-Befürwortern stehen die Profitinteressen der Energiekonzerne (EON, RWE, Vattenfall, …) sowie jene der Technologielieferanten wie etwa der SIEMENS AG.
Atomwaffen beziehungsweise die Option auf eine weitere nukleare Aufrüstung – das ist ein angestrebtes Nebenprodukt der Energieversorgung mit Atomstrom.
Neuauflage Zwentendorf?
Die deutsche Atomlobby hat in Bundeskanzlerin Merkel eine Vorkämpferin für ihre Interessen gefunden. Der noch unter Rot-Grün beschlossene „Atomausstieg“ bis 2030 (!) ist vom Tisch, der Neubau zusätzlicher AKWs fixiert.
Am 11.1.09 hat die Slowakei die Wiederinbetriebnahme des 2008 stillgelegten Atomkraftwerk Jaslovske Bohunice beschlossen, einem Uralt-Reaktor sowjetischer Bauart erster Generation knapp 100 km östlich von Wien.
1979 wurde die Inbetriebnahme des fertig gestellten AKW Zwentendorf durch eine Volksabstimmung verhindert. Auch wenn die jetzige Inbetriebnahme nicht wirklich zur Diskussion steht, so ist mit der Marktliberalisierung und dem Ausverkauf der Anteile der steirischen Energie AG (EstAG) an den französischen Atomstromkonzern EDF die Atomlobby auch in Österreich präsent.
Wege aus der (Energie-)Krise?
Die Gaskrise Anfang 2009 reflektiert die Verschärfung der imperialistischen Widersprüche und den Versuch des europäischen Kapitals, die Abhängigkeit vom russischen Erdgas zu reduzieren (z.B. Nabucco-Pipeline-Projekt).
Sie spiegelt aber auch die Unfähigkeit der Kapitalisten wider, auf die Folgen von unkontrolliertem Wachstum, die Zerstörung unserer Umwelt und die damit einhergehenden sozialen Krisen passende Antworten zu geben.
Statt einer Energiedebatte, die sich um Einsparungspotentiale, Entwicklung nachhaltiger Technologien und öffentliche Investitionen im Bereich Verkehr und Wohnen dreht, wird versucht, durch das Hintertürchen die Kernenergieerzeugung wieder ‚en vogue’ zu machen.
Es gibt einen möglichen Weg, Energiekrisen, Umweltzerstörung und damit einhergehende soziale und politische Probleme zu lösen und sich so an den Bedürfnissen der Menschen zu orientieren: dieser Weg liegt in der Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise und deren Ersatz durch eine sozialistischen Planwirtschaft, die demokratisch kontrolliert und bedarfsorientiert ausgerichtet ist.