Mo 14.09.2015
Der rote Sonnenkönig Michael Häupl grinst von allen Plakatwänden und protzt: „Wir bauen wieder Gemeindewohnungen!“ Ganze 2.000 davon. Angeblich. Laut Häupl ist „Wien ein Gesamtkunstwerk.“ Doch schaut man sich das Kunstwerk an wandelt es sich schnell in einen Flickenteppich, in dem Großunternehmen, Banken und ParteifunktionärInnen sich gegenseitig Geld und Einfluss zuschießen. Die Grünen haben bei diesem Spiel die letzten fünf Jahre kräftig mitgeschnitten. Machen wir eine kleine Bilanz des „Kunstwerkes Wien“.
Die „neuen“ Gemeindebauten, oder: Geschenkten Gäulen schaut man nicht ins Maul
Richtig ist, dass die Menschen in Wien leistbaren Wohnraum dringend brauchen. Zehntausende Menschen ziehen jedes Jahr in diese Stadt. Sie treffen auf einen zunehmend de-regulierten Wohnungsmarkt. Befristete Mietverträge, schimmelnde Wohnungen, steigende Mieten. Das alles gehört zum Alltag vieler Menschen und ist gleichzeitig die Kehrseite stagnierender Löhne. Wohnen ist Thema. Die rund 80.000 aus spekulationsgründen leerstehenden Wohnungen sind für die Stadtverwaltung kein Thema und bleiben unangetastet. Man setzt ausschließlich auf Neubau. Oder doch nicht?
Die Ankündigung von 2.000 neuen Gemeindebauten kam buchstäblich aus dem Nichts. Den gesamten Sommer hindurch wurde sie in den stadtnahen Medien, also auch „Österreich“, „Heute“, usw., wiedergekäut. Doch dieser Ankündigung fehlt jede Substanz. Die Wiener SPÖ hat einfach eine Ankündigung aus der Luft gegriffen. Die neuen Gemeindebauten existieren derzeit vielerorts nicht einmal auf dem Papier. Dort wo sie auf dem Papier auftauchen, hat man einfach bei bereits geplanten Bauprojekten einige Wohnungen zu Gemeindebauten deklariert. Doch auch hier besteht keine Planungssicherheit. So schnell wie sie verkündet wurden, so schnell können sie nach den Wiener Wahlen wieder in der Versenkung verschwinden.
Beispiel Projekt „Wildgarten“ - Wiener Baupolitik konkret
Auf einem brachliegenden Gelände in der Nähe des Südwestfriedhofs in Meidling sollen in den nächsten Jahren 1.100 neue Wohnungen gebaut werden. Das zu bebauende Gelände gehört der Bundes-Immobilien-Gesellschaft BIG. Deren Tochter, die Austrian Real Estate (ARE) tritt als Bauträgerin auf. Die ARE ist ein ausdrücklich profitorientiertes Unternehmen, wie auf deren Webseite unter der Rubrik „Ziele und Strategie“ nachzulesen ist. (http://www.are.at/unternehmen/ziele-strategie/) Entsprechend stellt sich das Bauprojekt dar. Nur 55% der geplanten Wohnungen sollen Mietwohnungen werden. Der Rest sind Eigentumswohnungen.
Das ist eine bittere Statistik. Hier wird auf Gelände im Staatsbesitz mehrheitlich privater Wohnraum gebaut. Eine Privatisierung durch die Hintertür. Das passt aber ins Bild. Die Mehrheit der geplanten 10.000 Wohnungen in Wien wird für den privaten Wohnungsmarkt geplant. Das Projekt Wildgarten steht hier nur als Beispiel. Ursprünglich sollten die im „Wildgarten“ geplanten Mietwohnungen in frei finanzierte und geförderte aufgeteilt werden. Seit Juni wird behauptet, dass ein Teil der Mietwohnungen als Gemeindewohnungen geplant wird. Wie viele? Darüber gibt es keine Infos. Die Verantwortlichen bei der ARE wissen auf Nachfrage keine Antwort. Häupl hat die „neuen“ Gemeindebauten aus dem Ärmel geschüttelt, konkrete Gedanken zur Umsetzung gibt es bislang keine.
300 der geplanten 1.100 Wohnungen sollen so genannte geförderte Wohnungen werden. Hier werden also Wohnbaugenossenschaften tätig werden. Um eine dieser Wohnungen zu bekommen wird man also bis zu 40.000 Euro Genossenschaftsanteil vorlegen müssen. Dafür werden die Mieten für einige Jahre gedeckelt. Bis die Förderung ausläuft. Dann werden die Mieten an den derzeitigen Marktwert angepasst. Für die Mieter droht in diesem Fall eine happige Mieterhöhung.
Deshalb sind Genossenschaftswohnungen keine Alternative zu Gemeindewohnungen. Gemeindewohnungen sind Wohnungen in Besitz der Gemeinde. Genossenschaftswohnungen sind Wohnungen im Besitz staatsnaher, aber letztendlich privater Konzerne. Dennoch haben Häupl, Ludwig und auch Vassilakou in den letzten Jahren Genossenschaftswohnungen unermüdlich als Modell für den sozialen Wohnbau gepriesen. Die Geschichte zeigt: Das Gegenteil ist der Fall.
Wie die die österreichischen Parteien den Wohnungsmarkt für das große Geld öffneten.
Seit Mitte der 1980er Jahre liberalisiert die österreichische Politik systematisch den Wohnungmarkt. Anders formuliert: SPÖ und ÖVP haben systematisch Gesetze erlassen um den Wohnungs- und Immobilienmarkt für Wirtschaftsinteressen profitabel zu machen. 1986 wurden die Mietobergrenzen für Wohnungen der Kategorie A abgeschafft. Das öffnete der ersten Welle von flächendeckenden Mieterhöhungen die Tür. 1994 ermöglichten SPÖ und ÖVP die Einführung befristeter Mietverträge. Außerdem wurde ein Richtwertsystem für Mieten eingeführt. Soll heißen: VermieterInnen können allerlei Ausreden für Mieterhöhungen heranziehen. Deine Wohnung liegt in der Nähe einer U-Bahnstation? Dafür darfst du gleich mal mehr Miete zahlen. U-Bahnstationen gelten als wertsteigernd. Ungefähr zeitgleich wurde der Bau neuer Gemeindewohnungen gestoppt. Die Wiener SPÖ hätte seit zirka 1995 Gelegenheit zum Bau vieler neuer Gemeindebauten gehabt. Da hilft auch ein magerer Wahlkampfgag 20 Jahre später nichts.
Stattdessen baute man zahllose Bürotürme. Zehntausende Büros stehen heute in Wien leer. Der Hauptgrund: Pensionsfonds internationaler Großbanken nutzten die neue Wiener Goldgräberstimmung und investierten in „Betongold“. Ein schönes Beispiel dafür, dass es in der Marktwirtschaft nicht um Bedürfnisse sondern ums Geldscheffeln geht.
Eine letzte Bastion regulierter Mieten gibt es in vor 1945 erbauten Häusern. Hier gibt es noch Elemente von MieterInnenschutz, die es in anderen privaten Wohnungen nicht gibt. Menschen mit „alten“ oder „vererbten“ Mietverträgen kann man nicht kündigen. Ihre Mietverträge sind in der Regel unbefristet. Man muss diese Leute also anderweitig aus ihren Häusern ekeln. Etwa, in dem man Altbauten verfallen lässt. Im 15. Bezirk sind deshalb in letzter Zeit immer wieder Häuser eingestürzt. Oder man macht MieterInnen das Leben zur Hölle bis sie ausziehen. Dabei spielt die Stadt Wien gerne mit. Ein Beispiel ist die Pizzeria Anarchia. Dort hatte sich eine Gruppe Punks mit MieterInnen in einem Altbau solidarisiert, die vom Hausbesitzer heraus-geekelt werden sollten. Schließlich räumte die Polizei mit Räumpanzer, Wasserwerfer und hunderten Beamten das Haus.
„Wien ist leiwand, aber was bringts wenn du dir die Miete nicht leisten kannst?“ Diese Frage stellt sich ein junger, Fahrrad fahrender Mann auf einem SPÖ-Wahlplakat. Aber gerade junge Menschen können sich die Wiener Mietensituation nicht leisten. Nicht genug, dass es immer schwieriger wird einen stabilen Job zu finden. Beispiel Haus Döbling, ein Wohnheim für studierende Kinder aus ArbeiterInnenfamilien: Dieses Haus im Besitz der Stadt Wien wurde teilweise abgerissen um es durch ein profitorientiertes Baumodell zu ersetzen. Wiens einziger „Gemeindebau“ für Studierende ist dadurch verloren gegangen. Die Mieten neu gebauter Studierendenwohnheime in Wien orientieren sich an den marktüblichen Preisen. Ein Grund mehr, warum sich der junge Mann auf dem SPÖ-Wahlplakat keine Wohnung leisten kann.
Jede Woche werden in Wien sieben Menschen aus ihrer Wohnung geschmissen. Dabei stehen bis zu 80.000 Wohnungen leer. Im August 2015 wurde sogar eine Frau aus einem Hernalser Gemeindebau geworfen, weil sie mit der Miete im Rückstand war. Gerade im Gemeindebau sollte so etwas eigentlich nicht passieren. Doch die Interessen von Menschen mit niedrigem Einkommen spielt da eh keine Rolle, wie auch eine jüngste Reform aus dem Hause des Wohnbaustadtrats zeigt.
Rassistisch und unsozial: Das Wiener Wohnticket
Seit Juli 2015 gilt in Wien ein einheitliches Vergabeschema für Genossenschafts- und Gemeindewohnungen. Das ganze nennt sich „Wohn-Ticket“. Um Aussicht auf eine Wohnung von der Gemeinde zu haben muss man nun mindestens zwei Jahre in Wien an der selben Adresse gemeldet sein. Wer neu nach Wien zieht, hat keine Chance.
Man kann auf der Warteliste nach vorne gereiht werden, wenn man Überbelegung nachweisen kann. Das funktioniert aber nur, wenn man tatsächlich mit Verwandten aus der „Kernfamilie“, also Vater, Mutter, Schwester, Opa oder Oma auf engstem Raum zusammenlebt. Teilt man sich eine Wohnung mit Bekannten und möchte gerne einen eigenen Platz dann ist das für die Stadt Wien keine Überbelegung.
Außerdem muss man österreichische Staatsbürgerin sein oder einen gleichgestellten Status haben. Eine sehr enge Auslegung des „echten“ Wieners. Wer nicht in dieses Schema passt, bleibt draußen. Wohnbaustadtrat Ludwig begründete das in der „Krone“ so: „Im Supermarkt stellt man sich ja auch hinten an.“
Gemeindewohnungen und geförderte Wohnungen werden nicht nach sozialen Kriterien vergeben. Das hat jahrzehntelange Tradition und ist ein Grund, warum MigrantInnen vergangener Generationen mehrheitlich in Substandardwohnungen der Arbeiterviertel jenseits des Gürtels einziehen mussten. Diese Tradition setzt die SPÖ nun mit dem Wohn-Ticket fort.
Die Grünen, die Stadtplanung und der Kapitalismus
Doch die SPÖ war es nicht alleine. Die letzten fünf Jahre hat sie Wien gemeinsam mit den Grünen regiert. Für die SPÖ ist es immer lästig wenn sie sich die Macht mit einer anderen Partei teilen muss. Weil das immer mal vorkommt haben die SozialdemokratInnen dafür ein narrensicheres Konzept entwickelt: Man gibt dem Koalitionspartner das Stadtplanungsressort. Wie zuletzt die ÖVP während der rot-schwarzen Koalition im Wien der Jahre 1996 bis 2001 mussten sich 2010 auch die Grünen in der MA21, der Magistratsabteilung für Stadtplanung, niederlassen. Aus Sicht der SPÖ ist das toll. Denn die Stadtplanung hat relativ wenig Geld zur Verfügung und kaum Befugnisse.
Außerdem ist die Stadtplanung ein unübersichtliches Dickicht an ressortübergreifenden Arbeitsgruppen. Bei vielen Aspekten der Stadtplanung haben der Wohnbaustadtrat und die Finanzstadträtin das letzte Wort. Gleichzeitig kann man den Juniorpartner in der Koalition dadurch hervorragend in das „System Wien“ einbinden.
Und die Grünen haben sich komplett einbinden lassen. Vor der Regierungsbeteiligung haben sie sich in vielen Wiener Bezirken zu VerteidigerInnen von Grünflächen gemacht. Viele Bürgerinitiativen gegen Großbauprojekte wurden von ihnen unterstützt. Seitdem Maria Vassilakou zur Chefin der Stadtplanung gekürt wurde haben alle Bezirksgruppen der Wiener Grünen einen Maulkorb. Die früheren BetonskeptikerInnen sind zu den größten BefürworterInnen von umstrittenen Bauprojekten geworden.
Damit haben sie ein Politikfeld für die FPÖ geräumt, die seitdem versucht hier Fuß zu fassen. Kaum eine Bürgerinitiative in Wien, die nicht von der FPÖ mit „internen“ Infos aus dem Rathaus versorgt wird. Bei jeder im Petitionsausschuss verhandelten Unterschriftenliste fordert die FPÖ das Rederecht für Bürgerinitiativen. Die rot-grüne Mehrheit stimmt regelmäßig dagegen.
Bauen in Wien bedeutet vor allem unkontrolliertes bauen. Über Zusammenhänge wird sehr wenig nachgedacht. Es gibt zwar viele wohlklingende Absichtserklärungen – wie etwa die Stadtentwicklungspläne – aber keinerlei durchgeplante Strategie. Eine solche Strategie müsste versuchen eine Balance zwischen neuen Wohnungen, Grünflächen, kulturellen Angeboten, öffentlichem Nahverkehr und sozialer Infrastruktur zu finden.
Das ist aber schwer, wenn die Profitinteressen von Bauträgern und Baukonzernen zu befriedigen sind. So werden wichtige Infrastrukturmaßnahmen zu Spielbällen der Wirtschaft. Etwa die U1-Verlängerung in Favoriten. Diese sollte ursprünglich nach Rothneusiedl führen. Frank Stronach und Bürgermeister Häupl hatten lange einen entsprechenden Deal. Stronach wollte in Rothneusiedl ein neues Stadion und ein riesiges Einkaufszentrum bauen lassen.
Daraus wurde nichts. Deshalb wird die U1 jetzt nach Oberlaa ausgebaut. Auf dem Verteilerkreis in Favoriten soll nun der ASFINAG ein neues Hochhaus gebaut werden. Bis 2012 war hier eine Begrünung vorgesehen. Doch Baukonzerne wie PORR und STRABAG brauchen ihren Profit. Nach diesen Interessen wird alles ausgerichtet. Im umliegenden Gemeindebau stößt dieses Bauprojekt auf große Ablehnung. Besorgnis gibt es in Favoriten auch deshalb, weil Mietkosten durch die U1-Erweiterung um 25%-45% steigen werden. Das ist eine Warnung für die Menschen im Wiener Bezirk Hernals, wo in den kommenden Jahren eine völlig neue U-Bahnlinie gebaut werden soll. Das ist der Wahnsinn des „freien Marktes“. Eigentlich sinnvolle Infrastrukturprojekte werden zum Nachteil für die BewohnerInnen.
Für die meisten Menschen sind die Entscheidungsprozesse bei der Stadtplanung komplett undurchsichtig. Das ist kein Zufall. In Österreich ist inzwischen eine ganze Stadtplanungsindustrie entstanden. Im Wiener Rathaus existieren zahlreiche, von Privatkonzernen besetzte, Beraterkreise. Diese „helfen“ der Stadt Wien dabei, die „richtigen“ Entscheidungen zu treffen.
Für eine demokratische, sozialistische Stadtplanung
Aber was sind die „richtigen“ Entscheidungen im Interesse der BewohnerInnen dieser Stadt? Zunächst einmal gilt: Um für das Gemeinwohl planen zu können, müssen die dafür nötigen Bestandteile der Gemeinschaft gehören. Privatkonzerne handeln nur im Interesse der EigentümerInnen. Und das ist eine sehr kleine Minderheit in der Gesellschaft.
Also gehören die großen Baukonzerne in öffentliche Hand. Der geförderte Wohnbau gehört komplett in die Hand der Gemeinde. SpekulantInnen, die Wohnungen leer stehen und verfallen lassen, gehören enteignet. Die Besetzung solcher Bauten darf keine Straftat mehr sein. Eine echte linke Stadtregierung ruft nicht die Polizei um die letzten MieterInnen aus einer Bruchbude zu vertreiben.
Das rot-grüne Wien redet oft von BürgerInnenbeteiligung. Dabei geht es in Wirklichkeit aber nur darum, dass auch passiert was das Rathaus und die Bonzen aus Banken und Konzernen wollen. Wir brauchen eine BürgerInnenbeteiligung, in der Nachbarschaften demokratisch mit StadtplanerInnen entscheiden, welche Infrastruktur wo gebraucht wird. So könnte der Grundstein für eine Politik gelegt werden, die Wien zu einer für alle Menschen leistbaren und lebenswerten Metropole macht. Das wäre ein Gesamtkunstwerk für das es sich zu kämpfen lohnt.