Fr 27.02.2009
Was könnte sozialistische Demokratie bedeuten? Nach der Pariser Commune im 19. Jahrhundert gibt vor allem ein Phänomen, welches massiv am Ende des Ersten Weltkrieges in Europa auftrat, Aufschluss darüber, wie eine neue, alternative und sozialistische Gesellschaft – zumindest in ihrer Keimform – aussehen könnte: Die ArbeiterInnenräte. Die ersten Räte, oder Sowjets, entstanden bereits während der – gescheiterten - russischen Revolution von 1905. Ihre Aufgabe war nicht nur die Bewegung demokratisch zu organisieren, sondern auch bereits die Kontrolle in den Betrieben und der Versorgung zu übernehmen. Die Februarrevolution 1917 knüpfte von selbst wieder an diese Tradition an. Mit der internationalen revolutionären Welle, welche die russische Revolution auslöste, machte dieses Beispiel in ganz Europa Schule. Auch Österreich bildet hier keine Ausnahme – im Gegenteil.
Österreich 1918: Revolutionäres Zentrum in Europa
Die Entwicklung der österreichischen Arbeiterräte beginnt am 15. Jänner 1918, dem zweiten Tag des großen Jännerstreiks. Die Räte wurden in erster Linie zur Organisierung des Streiks, sowie grundlegender Dinge, wie Lebensmittelversorgung usw. gebildet. Wichtig für die spätere Entwicklung der ArbeiterInnen- und Soldatenräte und –Bewegungen waren nicht zuletzt auch heimgekehrte Kriegsgefangene aus Sowjetrussland, die dort revolutionär- politisch geprägt wurden und diese Erfahrung in die österreichische ArbeiterInnenbewegung tragen konnten. Die Gründe für diese riesige Streikbewegung waren
- Akuter Nahrungsmangel während des Krieges
- Militarisierung der Betriebe
- unmenschliche Arbeitsbedingungen
- Aussichtslosigkeit des Krieges
- Einschränkung bzw. vollständige Beseitigung grundlegender Rechte der Bevölkerung
- Enorme Teuerung von Lebensmitteln
Die Regierung, die Sozialdemokratie sowie die Gewerkschaften waren nur am Beginn des Streiks ratlos, wie man dieser neuen Entwicklung begegnen könne. Appelle die Arbeit wieder aufzunehmen, verhallten ungehört. Die Führung der österreichischen Sozialdemokratie reagierte darauf hin flexibel: Sie entsandte ihre eigenen Leute in die Räte, um dadurch die Bewegung unter Kontrolle zu bringen. Ein entscheidender Grund dafür lag in der Schwäche und Unorganisiertheit der Linken innerhalb der Rätebewegung. Vor allem eine Partei, wie die Bolschewiki in Russland, welche klar die ganze Macht für die Räte und ihre Organe forderte, gab es erst in Ansätzen (die KPÖ wurde erst im selben Jahr gebildet und blieb vorerst relativ bedeutungslos). Die konsequentesten Kräfte gab es im Epizentrum des Streiks, Wr. Neustadt. Hier wurde der Rat von den radikalsten ArbeiterInnen, die revolutionäre Ansichten vertraten, maßgeblich geprägt, während im übrigen Österreich, vor allem in Wien, die „alte“ Sozialdemokratie rasch die Führung übernahm. Nach dem Jännerstreik verloren die neuen Organe rasch an Bedeutung, befassten sich hauptsächlich mit organisatorischen Dingen und wurden bürokratisch in den Staat bzw. die traditionellen Gewerkschaftsstrukturen integriert.
Mitten drin: Räterepubliken in Bayern und Ungarn
Nachdem Österreich zunächst das Zentrum der revolutionären Entwicklung gewesen war, verlagerte sich dieses in die Nachbarstaaten – Deutschland und Ungarn. Zuerst am 21. März 1919 in Ungarn, und kurz darauf am 5. April in München wurde die Räterepublik ausgerufen. 1200 Freiwillige gingen nach Ungarn und schlossen sich der dortigen Roten Armee an. Auch in anderen Ländern, wie der Ukraine, der Slowakei und sogar im Iran bildeten sich im Laufe des Jahres 1919 solche neuartigen Staatsformen. Die österreichische Sozialdemokratie antwortete auf die Aufforderungen der ungarischen GenossInnen: “Ihr habt an uns den Ruf gerichtet, Eurem Beispiel zu folgen. Wir täten es vom Herzen gern, aber zur Stunde können wir das leider nicht.“ Tatsächlich betrieben die Führer der SDAP – von Karl Renner bis Otto Bauer – in der Regierung längst „nationale“ Interessenspolitik und waren um ein gutes Verhältnis zu den Westmächten (nicht zuletzt wegen des Burgenlandes, welches damals noch bei Ungarn war) bemüht. Die Räterepubliken – ohne das österreichische Bindeglied isoliert - hielten dem inneren und äußeren Druck nicht lange stand. Am 2. Mai 1919 wurde die Münchner Räterepublik von den antibolschewistischen und rechtsradikalen Freikorps, die die Sozialdemokratie gegen Revolutionäre einsetzte, blutig niedergeschlagen. Auch die ungarische Räterepublik wurde, auch mit Hilfe ausländischer Truppen, im August 1919 wieder aufgelöst.
Anhand dieses Beispieles sieht man, dass es sich bei der Rätebewegung um eine der substantiellsten revolutionären Entwicklungen in der ArbeiterInnenklasse handelt. Sind bestimmte Bedingungen erfüllt, kann sich solch eine Bewegung sehr schnell – quasi von selbst - vollziehen. Die Entwicklung der Rätebewegungen zeigen aber auch, dass diese stets ein Feld der politischen Auseinandersetzung waren, in welches unterschiedliche politische Gruppen und Zugänge mehr oder weniger gezielt intervenierten. Ob die Räte daher ihr systemüberwindendes Potential ausschöpfen können, hängt nach den historischen Erfahrungen, letztlich von der Existenz und Stärke der organisierten revolutionären Kräfte ab. Auch wenn die Rätebewegung in Zentraleuropa aufgrund der Stärke der organisierten reformistischen Kräfte – also jener, die keine Revolution wollten – gescheitert ist, war ihre Wirkung enorm. Sie mündete nicht zuletzt in der Bildung neuer, kommunistischer, Parteien, welche sich binnen weniger Jahre im Rahmen der ebenfalls 1919 gebildeten Kommunistischen Internationale zu Massenkräften entwickelten.