Do 13.10.2022
Der Öl- und Gasausstieg wurde von Schwarz-Grün vor dem Ukraine-Krieg großspurig für die nahe Zukunft verkündet. Aber ohne eine Vorstellung, wie das für nicht wohlhabende Menschen möglich sein soll. Viele Expert*innen kritisierten zu Recht, dass ein Energieumstieg in diesem Ausmaß riesige öffentliche, geplante Anstrengungen brauche. Zuerst müssten alternative Ressourcen geschaffen und schließlich auch die Anschlüsse bis in die Wohnungen & Häuser gelegt werden. Ihr Fazit: Mit dem vorliegendem Plan der Regierung in knapp 15 Jahren nicht ansatzweise möglich. Dann kam der Angriff Putins auf die Ukraine, der EU-Wirtschaftskrieg gegen Russland und damit eingeschränkte Gaslieferungen. Gas wird im Winter also knapp und könnte tatsächlich ausgehen, Menschen im Kalten frieren! Unvorstellbar! Angesichts dieser katastrophalen Perspektive will die Regierung die Energiewende mit noch weniger Plan in noch kürzerer Zeit schaffen. Das Misstrauen der Menschen ist groß, ebenso die Verunsicherung.
In Baumärkten sind elektrische Heizkörper ausverkauft, die Warteliste bei Holzöfen reicht im Sommer schon bis 2023. Selbst wer genug Geld und die Möglichkeiten für Solar oder Wärmepumpen hat, wird über den Winter hinaus warten müssen. Für die meisten Menschen, die nicht im eigenen Haus wohnen, gibt es sowieso keine Alternativen. Mit was soll ich in einer Wohnung in Wien mit Gas oder Fernwärme sonst heizen? In ihrer Verzweiflung hat die Regierung dazu aufgerufen, dass wer kann, von Gas wieder auf Öl umrüsten soll. Die klima- und menschenfeindliche Atomenergie wurde von der EU rasch zur grünen und nachhaltigen Energieform erklärt. Was für eine politische Bankrott-Erklärung im Klimawandel! Von den überforderten und unter Einfluss diverser Lobbygruppen stehenden Regierungen wird uns die Energiekrise als eine Art unvorhersehbare Naturkatastrophe präsentiert. Das stimmt nicht, sondern soll von der eigenen Verantwortung ablenken. Die Brisanz des Klimawandels ist spätestens seit dem Weltklimagipfel 1997 im japanischen Kyoto einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Russland hat 2014 die Krim annektiert, seitdem stehen die Zeichen auf weitere Konflikte. Getan wurde nicht nur nichts, sondern die Abhängigkeit vom (billigen) russischen Gas ist in Österreich in dieser Zeit noch gestiegen. Von nahezu allen europäischen und österreichischen Politiker*innen gibt es freundschaftliche Fotos mit Putin. Ist er über Nacht böse geworden oder konnte er sich so gut verstellen? Weder noch, es war einfach gewinnbringend für die Wirtschaft und Konzerne und damit war alles andere vergeben und vergessen. Unsere Proteste in- und außerhalb Russlands gegen die zunehmende Diktatur, Wahlbetrug, Unterdrückung der Medien und Meinungsfreiheit, gewerkschaftsfeindliche Gesetze usw. waren den Herren und Frauen Politiker*innen damals lästig und störten ihre gute Gesprächsbasis zu Putin. Was hat also diesen Meinungsumschwung in den europäischen Eliten bewirkt? Ganz einfach, ihr Geld steckt zum Teil in der Ukraine und den dortigen Unternehmungen und im Hintergrund „pushen“ die USA.
Weder Krieg noch Energiekrise sind “passiert”
Aber nicht nur der Wirtschaftskrieg gegen Russland wird uns als alternativlos dargestellt. Auch die Energiewirtschaft und die offenbare extreme Krisenanfälligkeit sind demnach ein Naturgesetz. Auch das stimmt nicht. In vielen europäischen Ländern waren Energielieferanten nach dem 2. Weltkrieg kommunale bzw. regionale Einrichtungen zur Energieversorgung der Bevölkerung. In Österreich waren das Landesenergieversorger. Ihre Aufgabe war, wie der Name schon sagt, die Länder und damit die dort ansässige Bevölkerung mit Energie zu versorgen. Heute sind das marktwirtschaftliche Unternehmungen, die teilweise noch im Eigentum der Länder und Gemeinden stehen, teilweise nicht. An ihrer grundlegenden „neuen“ Ausrichtung, nämliche Gewinne zu erzielen ändert das wenig bis nichts. Am Beispiel des größten Energieversorgers Österreichs, der Wienenergie, sehen wir das sehr gut. Alleine in den drei Jahren von 2019 bis 2021 erzielte die Wienenergie einen Überschuss von 700 Millionen(!) Euro. Viel Geld, ein Riesenkonzern mit eigenen von den Menschen losgelösten, kapitalistischen Interessen. Während wir um unsere Zukunft im Herbst zittern, werden in Wien und Niederösterreich mit 1. September Strom und Gas wieder teurer. Für einen durchschnittlichen Haushalt macht das in Summe monatlich (!) ein Plus von knapp 170,- Euro aus. Begründet wird das als „automatische“ Indexanpassung aufgrund der stark gestiegenen Marktpreise. Wieder eine faule Ausrede, weil bei unseren Löhnen gibt es keine automatische „Indexanpassung“.
Alles wurde nach den Vorgaben der EU und unter Applaus der Herrschenden seit den 1990ern „liberalisiert“: Strom und Gas samt den Leitungen, Festnetz-Telefon, Mobilfunk, Paketzustellung – alles. womit sich Geld verdienen lässt. Das hat weitreichende Konsequenzen. Ein kommunaler Energieversorger hat ein stärkeres Interesse, wenig Energie produzieren bzw. zukaufen zu müssen und damit mehr Hang zum Stromsparen als ein privatwirtschaftliches Unternehmen. Das verdient am Verkauf von Strom, je mehr umso besser. Energiesparen ist hier betriebswirtschaftlich kontraproduktiv. Das gleiche beim Gas. Wozu auf teure, alternative Energiegewinnung setzen, wenn ich Gas billig aus Russland importieren kann? Dieses kapitalistische Dilemma hat selbst in den letzten Jahren zu einer immer stärkeren Gasabhängigkeit geführt. Die liberalisierte Postzustellung hat ein betriebswirtschaftliches Interesse an Werbeflut, die unsere Postkästen und Altpapiercontainer vollstopft. Dank der Paketdienst-Liberalisierung fährt nicht ein Paketzusteller mit möglichst schadstoffarmen Fahrzeugen durch die Straßen, sondern viele unterschiedliche manchmal direkt hintereinander. Hatten früher noch die Länder die Kontrolle über ihre Netze (z. B. Strom und Gas), haben sie das jetzt nicht mehr. Nicht nur Anbieter, sondern auch Produktion und Lieferung wurden getrennt. Im Kleinen drückt sich das dadurch aus, dass ich als Stromkunde in Wien sowohl von Wienenergie (Stromlieferant) als auch Wienernetze je eine Rechnung für meinen Stromverbrauch erhalte. Letztlich hat die Politik mit der Liberalisierung ihren eigen Handlungsspielraum aufgegeben. Haben wir ein Energieproblem, ist es nicht ihre Verantwortung, sondern die des „Marktes“, um den wir nicht vorbeikommen. Auch das stimmt nicht und hat sogar im Kapitalismus schon anders funktioniert. Die, die uns sagen, das geht nicht, sind die, die das einfach nicht wollen, weil sie selbst davon profitieren!
Wien ist nicht anders
Der immer behauptete andere „Wiener Weg“ ist, wie wir am Beispiel Wienenergie gezeigt haben, kein qualitativ anderer. SPÖ und Gewerkschaftsführung beschränken sich auf Zurufe von der Seite, anstatt kräftig mit Bewegungen und der Organisierung der Kolleg*innen bis hin zu Streiks einzugreifen. Eine Patt-Situation, die einerseits eine politisch bankrotte Regierung am Leben hält und andererseits wirkliche Alternativen verhindert. Wenn wir diese Situation überwinden wollen, müssen wir uns selbst organisieren und den Druck aus den Betrieben, Schulen und der Straße auf die Gewerkschaftsführung massiv erhöhen. Wir brauchen einen heißen Herbst, um einen kalten Winter zu verhindern!